Novemberpogrome/ Pogromnacht 1938

Zerstörte Fenster der Kieler Synagoge nach der Reichspogromnacht (Foto von 1938) / © Stadtarchiv Kiel/Stadtarchiv_kiel (dpa)
Zerstörte Fenster der Kieler Synagoge nach der Reichspogromnacht (Foto von 1938) / © Stadtarchiv Kiel/Stadtarchiv_kiel ( dpa )

Die Novemberpogrome von 1938 waren eine vom nationalsozialistischen Regime organisierte und gelenkte Zerstörung von Einrichtungen von Jüdinnen und Juden im gesamten Deutschen Reich. Der Begriff Novemberpogrome bezieht sich hauptsächlich auf die Nacht vom 9. auf den 10. November 1938. Der regimekritische, ironische Unterton der Bezeichnung "Reichskristallnacht", der eine reichsweite koordinierte Aktion unterstellt, wurde später nicht mehr verstanden. Der Begriff wurde im Nachhinein von manchen Menschen als beschönigend empfunden.

Die Pogrome markieren den Übergang von der Diskriminierung der deutschen Juden seit 1933 zur systematischen Verfolgung, die knapp drei Jahre später in den Holocaust - der Deportation und Vernichtung von mehr als sechs Millionen Jüdinnen und Juden - mündete. Mit den Novemberpogromen gingen die Nationalsozialisten zur offenen Gewalt gegen die jüdische Minderheit vor.

Nach unterschiedlichen Schätzungen wurden zwischen dem 7. und 13. November 1938 im damaligen Reichsgebiet zwischen 400 und 1.300 Menschen ermordet oder in den Suizid getrieben. Über 1.400 Synagogen, Betstuben und sonstige Versammlungsräume sowie Tausende Geschäfte, Wohnungen und jüdische Friedhöfe wurden zerstört. Ab dem 10. November wurden ungefähr 30.000 Juden in Konzentrationslagern inhaftiert, von denen Hunderte ermordet wurden oder an den Haftfolgen starben.

Als Vorwand für die Übergriffe diente den Nationalsozialisten das Attentat des aus Hannover stammenden 17-jährigen Juden Herschel Feibel Grynszpan auf den deutschen Diplomaten Ernst vom Rath am 7. November 1938 in Paris. Propagandaminister Joseph Goebbels nutzte die Gelegenheit, um bei einem Treffen von Parteiführern in München das Signal für die Gewaltaktionen in ganz Deutschland und Österreich zu geben. In der Öffentlichkeit versuchte die NS-Führung, die Welle der Gewalt als "spontanen Ausbruch des Volkszorns" erscheinen zu lassen.

Die Ausschreitungen begannen bereits am 7. November in Nordhessen und dauerten bis zum 13. November. An den Gewalttaten beteiligten sich vor allem SA- und SS-Männer und Parteimitglieder, vielerorts aber auch Deutsche, die nicht den NS-Organisationen angehörten. Wissenschaftler gehen heute davon aus, dass während und infolge der Gewalt mehr als 1.300 Menschen getötet und mindestens 1.400 Synagogen stark beschädigt oder zerstört wurden.

Das öffentliche Leben der Juden in Deutschland kam nach den Pogromen völlig zum Erliegen. Nach den gewaltsamen Übergriffen begann auch die flächendeckende staatliche Enteignung jüdischen Besitzes. Drei Jahre später, im Jahr 1941, setzten die Deportationen deutscher Juden in die Todeslager ein. 

Nach den Novemberpogromen bürdete die Reichsregierung Jüdinnen und Juden eine "Sühneleistung" von einer Milliarde Reichsmark auf. Außerdem leiteten die Nationalsozialisten deren vollständige Ausschaltung aus dem deutschen Wirtschaftsleben, die Schließung aller jüdischen Geschäfts- und Handwerksbetriebe und den Ausschluss der jüdischen Kinder von öffentlichen Schulen in die Wege. Der Besuch von Theatern, Konzerten und Kinos wurde verboten.

Die NSDAP deklarierte die Gewaltwelle als spontanen Akt des Volkszorns und als Reaktion auf die Ermordung des deutschen Diplomaten Ernst vom Rath in Paris durch den 17 Jahre alten Juden Herschel Grünspan. Tatsächlich war das Pogrom aber von der Parteiführung geplant und organisiert.

Die Kirchen schwiegen weitgehend zu den Ausschreitungen und Morden. Zu den wenigen mutigen Kritikern zählte der Berliner Dompropst Bernhard Lichtenberg. Er lud am Tag nach den Pogromen zu einem Gottesdienst "für die verfolgten nicht-arischen Christen und für die Juden" ein. Dafür wurde er zu Gefängnis verurteilt und ins Konzentrationslager Dachau gebracht. Auf dem Weg dorthin starb er. (KNA/epd)

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