Expertin fürchtet Instrumentalisierung eines Kyrill-Treffens

"Es passiert sehr viel hinter den Kulissen"

Wird Papst Franziskus Anfang September den Moskauer Patriarchen Kyrill treffen? Beide sollen an einer Konferenz in Kasachstan teilnehmen. Die Osteuropa-Expertin Regina Elsner sieht wenig Positives von solch einem Treffen ausgehen.

Papst Franziskus und Kyrill I. 2016 auf Kuba / © Paul Haring (KNA)
Papst Franziskus und Kyrill I. 2016 auf Kuba / © Paul Haring ( KNA )

DOMRADIO.DE: Der Ausbruch des Ukraine-Krieges ist jetzt ein knappes halbes Jahr her. In dieser Zeit wurden auch die Beziehungen zwischen katholischer und russisch-orthodoxer Kirche belastet. Wie hat sich die Beziehung von Papst Franziskus und Moskaus Patriarch Kyrill seit dem Ausbruch des Krieges verändert?

Regina Elsner (privat)

Regina Elsner (Zentrum für Europa- und internationale Studien in Berlin): Papst Franziskus hatte zu Beginn des Krieges offenbar noch die aufrichtige Hoffnung, durch Gespräche mit Patriarch Kyrill etwas am Verlauf des Krieges ändern zu können. Sowohl die vatikanischen Diplomaten als auch der Papst selbst suchten das Gespräch, schickten Grußadressen, der Papst sprach von dem guten Verhältnis, das er zu Kyrill hätte.

Moskau hingegen nutzte die Gespräche ausnahmslos, um der eigenen Öffentlichkeit die Solidarität Roms zu präsentieren, man hätte die gleiche Sicht auf die Situation und Rom wäre einer der wenigen zuverlässigen Partner Russlands, welcher an einem Gespräch auf Augenhöhe interessiert wäre.

Die Richtigstellung des Video-Gesprächs im Mai, als der Papst Kyrill warnte, ein "Messdiener Putins" zu werden, zeigte einen Wandel in der Beziehung an, Moskau reagierte sofort unzufrieden. Von weiteren Gesprächen ist vorerst nichts bekannt, der Papst sprach seitdem nur noch von einem möglichen Treffen mit Putin. Je länger der Krieg dauert und je unnachgiebiger Kyrill diesen Krieg legitimiert, umso mehr dürfte auch der Papst verstanden haben, dass mit einem Einlenken Russlands und einer vermittelnden Rolle des Patriarchen nicht zu rechnen ist.

DOMRADIO.DE: Nun kündigt Rom an, dass Papst Franziskus Anfang September an einem Treffen internationaler Religionsführer in Kasachstan teilnehmen wird, dem auch Patriarch Kyrill beiwohnt. Der Vatikan hält sich im Moment bedeckt, was ein mögliches Treffen von Franziskus und Kyrill angeht. In der Protokoll-Ankündigung ist von "Gesprächen mit religiösen Führern" die Rede. Experten halten es für ziemlich sicher, dass dazu auch ein Gespräch mit Kyrill zählt. Warum, denken Sie, hält sich der Vatikan da so bedeckt im Moment?

Elsner: Es passiert vermutlich sehr viel hinter den Kulissen, wovon wir nichts wissen. Ich hoffe, man hat sich gut überlegt, wie ein solches Treffen ablaufen kann, damit es nicht wieder von Moskau instrumentalisiert werden kann. Eventuell gibt es auch Bedingungen, die jeweils eine Seite nicht akzeptieren kann, und das Gespräch findet gar nicht statt. Auch die Frage nach dem Besuch des Papstes in der Ukraine vor einem Treffen mit Kyrill dürfte ein entscheidender Punkt sein.

Zudem ist aus Moskau bisher noch nicht mit der gleichen Euphorie zu hören, dass Kyrill kommt und sich mit dem Papst trifft. Wir sollten keine Illusionen darüber haben, wie sehr dieses Treffen Teil russischer politischer Strategien ist.

DOMRADIO.DE: Was könnte solch ein Gespräch denn realistisch bewegen, wenn es denn stattfindet?

Elsner: Ich fürchte leider: nichts oder nichts Gutes. Der Papst und alle Welt wünschen sich, dass die Waffen in der Ukraine schweigen. Russland hat mehrfach klar gesagt, unter welcher Bedingung das aus seiner Sicht passieren wird: nach einer vollständigen Vernichtung der ukrainischen Staatlichkeit. Kyrill hat keinen Einfluss auf diese politischen Entscheidungen, alles, was er tut, ist die Kirche durch eine Unterstützung der Kriegsideologie im Umkreis der politischen Führung zu halten.

Darüber hinaus ist er selbst der Überzeugung, dass die Ukraine und Belarus Teil des größeren Russlands sind.

DOMRADIO.DE: Welche Kompromisse kann der Papst hier erreichen?

Elsner: Es wäre leider im Geiste des Religions-Kongresses und im Geiste aller bisherigen gemeinsamen Stellungnahmen mit der russischen Kirche, dass man sich für den Frieden und gegen das Töten, Zerstörung, Ungerechtigkeiten und den Missbrauch religiöser Rhetorik ausspricht, ohne irgendwelche konkreten Verantwortungen dafür einzufordern. Ein solcher Appell bleibt aber immer ein Vorteil für Moskau und macht die Ukraine zu einem der angeblich gleich verantwortlichen Konfliktparteien. Das Einzige, was in einer solchen Situation wirklich ein Fortschritt wäre, wäre eine klare Selbstverpflichtung Moskaus zu konkreten deeskalierenden Schritten. Ich fürchte aber, dass das nicht passieren wird.

Videoanruf von Papst Franziskus mit Kyrill I. / © Vatican Media/Romano Siciliani (KNA)
Videoanruf von Papst Franziskus mit Kyrill I. / © Vatican Media/Romano Siciliani ( KNA )

DOMRADIO.DE: Aus der Ukraine hört man solch ein Treffen würde fatale Zeichen in die falsche Richtung setzen. Von einer Bestätigung für den Putin-freundlichen Kurs von Kyrill und der russisch-orthodoxen Kirche ist die Rede. "Wir Diplomaten tun alles, um das Treffen zu verhindern", hatte Kiews Vatikan-Botschafter Andrij Jurasch noch Mitte Juli angekündigt. Franziskus hat sich aber an anderer Stelle ja durchaus kritisch gegenüber Kyrills Kurs geäußert. Wie ist das Verhalten des Vatikans also einzuordnen?

Elsner: Eines der größten Probleme der vatikanischen Diplomatie aktuell ist das Übergehen der Interessen, der Erfahrungen und Wahrnehmungen der Ukraine bzw. auch anderer Länder zwischen Rom und Moskau. Es wäre meiner Ansicht nach dringend notwendig, sich intensiv von den ukrainischen Gläubigen und Politiker*innen, auch von polnischen und belarussischen Akteuren oder den von ihrer eigenen Kirche unterdrückten Gläubigen in Russland über den Umgang mit Russland und der russischen Kirche beraten zu lassen.

Regina Elsner

"Eines der größten Probleme der vatikanischen Diplomatie aktuell ist das Übergehen der Interessen (...) der Ukraine."

Es ist nicht das erste Mal in diesem Krieg, dass ukrainische Vertreter der Kirchen und der Politik entsetzt sind über die vatikanische Diplomatie mit Russland und über so manche auch geistliche Gesten des Vatikans. Diese Kritik muss man ernst nehmen, ernster vielleicht sogar als die Einschätzungen westlicher Expert*innen.

DOMRADIO.DE: Das mögliche Treffen von Papst und Patriarch würde Anfang September stattfinden. Franziskus hat aber den Wunsch schnellstmöglich auch die Ukraine zu bereisen, das könnte sogar unter Umständen schon im August stattfinden. Wie stehen Sie zu solch einem Papstbesuch?

Elsner: Ich würde einen solchen Besuch nach wie vor sehr begrüßen, halte ihn aber nach wie vor für wenig wahrscheinlich. Der Besuch in der Ukraine macht das Treffen mit Kyrill sehr viel schwieriger, vielleicht auch unmöglich. In der Ukraine selbst wäre nach wie vor sehr kompliziert, wie man sich zu den orthodoxen Kirchen verhält. Kardinalstaatssekretär Parolin hatte im Juli ausdrücklich gesagt, der Papst würde sich mit katholischen Gläubigen und mit der ukrainischen Gesellschaft treffen – er reist aber in ein mehrheitlich orthodoxes Land, er muss einen durchdachten Zugang zu der komplizierten orthodoxen Lage finden, ohne neue Konflikte zu provozieren. All das scheint mir angesichts des großen Wunsches, mit Russland zu sprechen, eher unwahrscheinlich.

DOMRADIO.DE: Wie ist denn das angedachte Religionsführertreffen in Kasachstan einzuordnen?

Elsner: Wenn man sich die Geschichte des Kongresses anschaut, ist er ein Element der internationalen Selbstdarstellung Kasachstans als Land ethnischer und religiöser Toleranz. Der Vatikan hat von Anfang an mit wechselnden Dikasterien teilgenommen, vor allem aber mit den katholischen Vertretern in Kasachstan selbst, wo sie erst seit 2003 als eigenständige Struktur vorzufinden sind. Mehrere der katholischen Bischöfe in Kasachstan sind bisher vor allem mit ihrer stark konservativen Haltung und einer ausdrücklichen Kritik an Papst Franziskus aufgefallen. Der Papst begibt sich hier also auch auf schwieriges katholisches Gelände.

Von russischer orthodoxer Seite hat Kyrill bisher nur einmal, im Jahr 2012 teilgenommen. Die Deklarationen des Kongresses sind an Allgemeinheit und Phrasen kaum zu übertreffen und es gibt keine erkennbaren Auswirkungen auf aktuelle Konflikte mit religiöser Komponente.

Wenn allerdings am Anfang noch von Toleranz die Rede war, so spricht man seit 2009 von den traditionellen Familienwerten und moralischen Orientierungen. Grundsätzlich sollte man also beachten, dass die Ausrichtung des Kongresses sehr stark in die Richtung der Ideologie vom Kampf religiöser Werte gegen den Liberalismus neigt und damit auch mit Kyrills Legitimierung der Kämpfe in der Ukraine sympathisiert. Bereits 2015 und 2018 hätte man sich dort zu dem Krieg in der Ukraine äußern können, hat dies aber nicht getan, 2015 gab es keine Delegation der Russisch-Orthodoxen Kirche.

Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.

Hintergrund: Trifft Franziskus den Moskauer Patriarchen?

Von Roland Juchem (KNA)

Gerade ist er von einer problembeladenen Reise zu den kanadischen Ureinwohnern zurückgekehrt - und schon kündigt der Papst eine neue heikle Mission an. Er fliegt nach Kasachstan - und könnte dort Patriarch Kyrill treffen.

Kyrill I., Patriarch von Moskau und ganz Russland / © Robert Duncan (KNA)
Kyrill I., Patriarch von Moskau und ganz Russland / © Robert Duncan ( KNA )

 

 

Quelle:
DR
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