EU-Gipfel: Schwierige Verhandlungen und neue polnische Forderungen

Zähes Ringen um Minimalkonsens

In Brüssel wird auf dem EU-Gipfel weiter um eine Reform der Europäischen Union gerungen. Die zähen Verhandlungen sind bislang ohne Ergebnis geblieben. Bundeskanzlerin und EU-Ratspräsidentin Merkel will wesentliche Elemente der europäischen Verfassung retten. Starker Widerstand kommt vor allem von Großbritannien und Polen. Mit einem neuen Vorstoß untermauerte Polen derweil seine Forderung nach einem neuen Stimmgewicht in der EU. Regierungschef Jaroslaw Kaczynski will die Weltkriegsopfer angerechnet wissen.

 (DR)

Mit bilateralen Gesprächen der Staats- und Regierungschefs setzt der EU-Gipfel in Brüssel heute seine Arbeit fort. Ziel ist dabei, die bislang strittige Fragen einer grundlegenden Reform des EU-Vertragswerkes auszuräumen. Vor allem Polen und Großbritannien hatten sich gestern gegen den von der deutschen EU-Ratspräsidentschaft vorgelegten Vorschlag gesträubt. Bundeskanzlerin Merkel will in Brüssel grünes Licht für den Fahrplan und den Inhalt des Reformvertrages erhalten, der den bei Volksabstimmungen in Frankreich und den Niederlanden durchgefallenen Text einer EU-Verfassung ablösen soll.

Umstritten sind insbesondere die künftige Stimmengewichtung in der EU und die Verankerung der europäischen Grundrechteecharta in das reformierte EU-Vertragswerk. Hier gelte es die "Mehrheitsmeinung und die Wünsche einzelner in eine vernünftige Balance" zu bringen, sagte Merkel. Zuvor hatte ein Sprecher des britischen Premierministers Tony Blair betont, eine Einigung könne nur gelingen, wenn die von London gezogenen "roten Linien" insbesondere bei der Charta berücksichtigt würden.

Die Kanzlerin hatte den EU-Staats- und Regierungschefs den "Entwurf eines Mandats für eine Regierungskonferenz" vorgelegt, mit dem sich die EU von der Idee einer gemeinsamen Verfassung verabschiedet und auf eine Reform bestehender Verträge setzt. Dabei geht es auch darum, die Charta erstmals rechtsverbindlich zu machen. Die EU-Ratspräsidentin kündigte an, sich für einen "fairen Kompromiss" einsetzen zu wollen.

"Es ist wichtig, dass wir uns nicht zu lange mit uns selbst beschäftigen", mahnte Merkel und fügte hinzu, sie glaube, "dass viele Menschen nicht nur in Europa auf uns schauen". Man müsse alles daran setzen, dass es auf dem Gipfel zu einer Einigung komme. Schließlich gehe es um die "Durchsetzung gemeinsamer europäischer Interessen" und darum, "die EU handlungsfähig zu halten".

Mit einem neuen Vorstoß untermauerte Polen derweil seine Forderung nach einem neuen Stimmgewicht in der EU. Regierungschef Jaroslaw Kaczynski will die Weltkriegsopfer angerechnet wissen, ohne die Polen heute eine Bevölkerung von 66 Millionen hätte. Präsident Lech Kaczynski, der als gemäßigter gilt und als Vertreter Warschaus nach Brüssel gereist war, hielt sich mit Äußerungen zurück.

Luxemburgs Ministerpräsident Jean-Claude Juncker schloss dennoch in Scheitern nicht aus. In Brüssel gehe es nicht nur um das polnische Beharren auf ein geändertes Stimmengewicht in der EU, sondern auch um das britische Nein zur Verankerung der europäischen Grundrechteecharta in den EU-Verträgen. Beide Probleme seien "schwer zu stemmen". Juncker betonte: "Die Chancen für eine Einigung stehen bei 50 zu 50."

EU-Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso appellierte an den deutschen Nachbarn, im Verfassungsstreit einzulenken: "Polen hat eine Menge zu verlieren, wenn es so dasteht, als würde es eine Einigung verhindern." Der Präsident des Europaparlaments, Hans-Gert Pöttering (CDU) drohte mit einem Veto, sollte der Gipfel sich von der Subtanz der EU-Verfassung verabschieden. Falls der Gipfel scheitere, müsse man über "alternative Formen der Zusammenarbeit" in Europa nachdenken.

Um dieses zu verhindern, räumte Merkel den Kritikern der EU-Reform am Abend die Möglichkeit ein, ihre Bedenken vorzubringen und Alternativen vorzulegen. Der Freitagvormittag ist bilateralen Gesprächen vorbehalten, um in Brüssel zu einem Kompromiss zu kommen und einen klaren Fahrplan sowie ein Verhandlungsmandat für die Regierungskonferenz zu beschließen. Das 2005 in Referenden in Franreich und den Niederlanden durchgefallene Verfassungskonzept wird indes aufgegeben.