Merkel warnt vor Scheitern des EU-Verfassungsprozesses

"Kaum zu beschreibende Folgen"

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat im Bundestag vor einem Scheitern des europäischen Verfassungsprozesses gewarnt. "Eine Lösung ist noch nicht in Sicht", sagte sie am Donnerstag und verwies auf die polnischen Vorbehalte. Eine Woche vor dem Europäischen Rat in Brüssel zum Verfassungsprozess warnte die amtierende Ratspräsidentin vor "kaum zu beschreibenden" Folgen eines Scheiterns. Die Kanzlerin zog zugleich eine positive Bilanz des G-8-Gipfels und der deutschen Ratspräsidentschaft. Kritik an der EU-Politik kam vor allem von Grünen und Linkspartei.

 (DR)

Merkel warb für eine Reform in Gestalt eines Änderungsvertrags zum Verfassungsvertrag. Es gehe darum, dessen Substanz zu erhalten, ohne die Bürger zu überfordern. Auch müsse die Sorge einiger Länder vor einem europäischen Superstaat ernst genommen werden. Die EU müsse jedoch beim Verfassungsprozess jetzt "einen deutlichen Schritt nach vorne schaffen".

Am 21. und 22. Juni beraten die EU-Staats- und Regierungschefs über die Zukunft der Verfassung und wollen Zeitplan und Inhalte für das weitere Vorgehen festlegen. Polen drängt nach wie vor auf eine komplette Neuverhandlung des Verfassungsvertrags. Präsident Lech Kaczynski kommt am Samstag zu Gesprächen nach Berlin. "Das Problem steht im Raum", meinte Merkel zu den Vorbehalten aus Warschau. Eine Lösung werde es aber nur geben, wenn sie Europa insgesamt weiterhelfe. Der bevorstehende EU-Rat müsse als deutlichen Schritt nach vorne den Fahrplan für den weiteren Verfassungsprozess verabschieden. Deshalb solle das Bewusstsein der gemeinsamen Verantwortung den europäischen Rat leiten.

Merkel bilanzierte zu Beginn ihrer Rede die deutsche EU-Ratspräsidentschaft. Das Motto "Europa gelingt gemeinsam" sei mit mit Leben erfüllt worden. Die G-8-Entscheidungen zum Klimaschutz hob sie als Beispiel für entschlossenes Handeln der Europäer hervor.

Westerwelle für Vorstoß der Kernländer in Europa
Der FDP-Partei- und Fraktionschef Guido Westerwelle warnte vor einem Vertrauensverlust der Bürger in die europäische Idee, wenn nur die Erweiterung der EU und nicht deren Vertiefung übrig bleibe. Falls der Vertrag an einigen Ländern scheitere, solle sich Berlin mit den Ländern, die dies wollten, zu einer vertieften Zusammenarbeit entschließen. "Das ist im Grunde die letzte Chance", meinte er.

Der SPD-Außenpolitiker Hans-Ulrich Klose, der vom Parlament an seinem 70. Geburtstag mit lang anhaltendem Applaus geehrt wurde, warnte vor einer Abschottung Europas. Die Skepsis gegenüber der europäischen Idee sei gewachsen, weil die Menschen die Erfolge der EU als selbstverständlich nähmen.

Während weitere Koalitionsredner wie Volker Kauder (CDU) und Volker Ramsauer (CSU) betont von einer erfolgreichen deutschen EU-Präsidentschaft sprachen, wies Grünen-Fraktionschefin Renate Künast dies zurück. Europa und diverse Entscheidungen der vergangenen Monate seien nicht am Bürger ausgerichtet. Dadurch wachse Distanz. Der Fraktionschef der Linkspartei, Oskar Lafontaine, kritisierte eine wirtschaftliche Dominanz der Industriestaaten.