Deutscher Pfarrer befürchtet dramatische Lage in Südafrika

"Es ist einfach unfair"

Dass die Omikron-Variante des Coronavirus in Südafrika entdeckt wurde, heißt nicht, dass sie dort entstanden ist, sagt Stefan Hippler. Der deutsche Pfarrer in Kapstadt fürchtet nun mehr um die Wirtschaft als um die Gesundheit der Südafrikaner.

Neue Corona-Variante in Südafrika / © Denis Farrell (dpa)
Neue Corona-Variante in Südafrika / © Denis Farrell ( dpa )

DOMRADIO.DE: Die Frage nach dem "Patienten Null" ist noch gar nicht geklärt. Also wo ist die Coronavirus-Variante "Omikron" entstanden? Bislang ist nur klar, dass man sie in Südafrika zuerst entdeckt hat  - und das ist gar nicht so verwunderlich.

Stefan Hippler (Pfarrer in Kapstadt): Nein, das ist gar nicht verwunderlich, weil unsere Virologen in Südafrika "Top Spots" sind, wenn es um die Sequenzierung von Mutationen geht. Das kommt aus der Erfahrung von HIV/Aids in den Jahren 1999, 2000, wo das auch notwendig war. Von daher sind wir, wie auch bei der Beta-Variante die ersten, die sie entdecken. Aber das heißt noch lange nicht, dass diese Variante dann auch in Südafrika entstanden ist.

Wenn man momentan auf Länder wie Holland, Portugal, Großbritannien, Deutschland, Österreich oder Belgien schaut, dann haben alle diese Mutation jetzt plötzlich auch für sich entdeckt. In Belgien sogar von jemandem, der noch nie in Südafrika war.

DOMRADIO.DE: Dieselbe Meldung gibt es auch aus Schottland. Jetzt läuten trotzdem in Europa sämtliche Warnglocken. Die Luftgrenzen ins südliche Afrika sind de facto geschlossen. Welche Maßnahmen gibt es denn bei Ihnen in Südafrika selber?

Hippler: In Südafrika gibt es keine weiteren Maßnahmen. Es ist so, dass sich gestern Abend der Präsident ans Volk gewandt hat und gesagt hat: Es gibt nichts, was man verändern muss, weil die Impfungen immer noch helfen. So sieht es jedenfalls momentan noch aus. Es ist kein Indiz zu erkennen, dass die Impfungen plötzlich nicht helfen. Ja, der Virus verbreitet sich vielleicht schneller als die Delta-Variante. Aber wenn man die Maßnahmen einhält, die bereits da sind, Händewaschen, Maske tragen, Abstand und so weiter, dann kann man jetzt erst mal so weitermachen. Es ist keine Gefahr da.

DOMRADIO.DE: Das südliche Afrika gilt jetzt wieder als Virusvarianten-Gebiet mit allen Konsequenzen. Also Reisen wird dadurch extrem unattraktiv und der südafrikanische Präsident bezeichnet diese Grenzschließung als unfair. Passt dieser Begriff?

Hippler: Ja, es ist in der Tat unfair, weil wir im Endeffekt hier in Südafrika viele oder die meisten Mutationen entdecken und es auch direkt publizieren. Das heißt, wir machen das, was die WHO im Prinzip angefragt hat. Also wenn ein Land eine neue Mutation entdeckt, die kritisch sein könnte, gibt es sie direkt weiter. Und was ist das Resultat? Wir werden sozusagen von der Welt abgeschottet, als ob es wieder einmal eine südafrikanische Variante ist.

Das ist auf verschiedenen Ebenen unfair. Einmal, weil der Virus nicht in Südafrika entstanden ist. Es ist unfair, weil man von heute auf morgen wieder vielen Menschen ihre Perspektive raubt. Es ist unfair, denn wenn man jetzt in Kapstadt oder in Johannesburg an den Flughafen geht, müssen Leute ihren Urlaub abbrechen, die erst gerade gekommen sind. Eine ganze Industrie in Südafrika liegt im Endeffekt jetzt wieder am Boden, nachdem es langsam wieder angefangen hat. Es ist einfach unfair.

DOMRADIO.DE: Sie arbeiten als AIDS-Aktivist und es gibt auch Vermutungen, dass Omikron im Organismus eines HIV-positiven Menschen entstanden sein könnte, was wieder auf südliches Afrika eventuell hindeuten würde. Was sagen Sie denn dazu?

Hippler: Es ist in der Tat so, dass es die Vermutung gibt, dass bei jemandem, dessen Immunsystem nicht mehr gut arbeitet und dazu zählen HIV-positive Menschen, der Virus entstanden ist, weil der Körper einfach den Virus nicht bekämpfen konnte, Zeit hatte, sich stärker zu vermehren als sonst. Ob das Südafrika ist, wissen wir nicht. Sollte sich dieser Verdacht erhärten, werden wir sicherlich wieder Stigmatisierung erleben, was HIV-positive Menschen angeht.

Aber hätte die Weltgemeinschaft den Impfvorrat besser über die ganze Welt gestreut und alle Länder mit eingeschlossen, anstatt diesen erst mal zu raffen, dann wären solche Dinge wahrscheinlich weniger möglich. Also ist es wieder mal auch ein Stück weit selbst gemacht.

DOMRADIO.DE: Sie hatten in Südafrika eine der krassesten Lockdown-Maßnahmen weltweit. Selbst der Hund durfte nicht ausgeführt werden. Das Militär hat das alles überwacht. Die große Tourismusindustrie hat extrem gelitten. Was jetzt? Geht das von vorne los?

Hippler: Ja, jetzt geht es von vorne los. Das heißt, die meisten Hotels hatten erst wieder aufgemacht, eine Etage nach der anderen. Die Flugzeuge sind voll gewesen. Die Touristen sind wieder gekommen. Die Leute hatten wieder Lust zu reisen. Und ehrlich gesagt, in Südafrika ist man momentan sicherer als in Deutschland, was den Virus angeht. Von daher hat es auch Sinn gemacht. Es ist sonnig, die Inzidenz ist niedriger, es ist wirklich besser.

Und jetzt mit einem Schlag von heute auf morgen sieht es wieder anders aus. Ich kenne einige Hotelbesitzer und Guest-House-Besitzer. Es rasselt nur so von Absagen, Absagen, Absagen. Das heißt, es werden mehr Institutionen kaputt gehen. Es werden mehr Menschen auf der Straße stehen. Es wird wieder mehr Hunger geben. Es wird auch wieder mehr Kriminalität geben, weil die Leute nicht mehr wissen, wo sie was zu beißen her holen sollen. Im Endeffekt sind die Folgen noch gar nicht abzusehen.

Das Interview führte Tobias Fricke.


Stefan Hippler, Pfarrer in Kapstadt / © Silvia Ochlast (DR)
Stefan Hippler, Pfarrer in Kapstadt / © Silvia Ochlast ( DR )
Quelle:
DR