DOMRADIO.DE: Sie haben sich überlegt, in Berlin etwas anders Kirche zu sein. Wieso denn?
Gregor Henke (Referent und Kirchlicher Organisationsberater im Erzbistum Berlin): Wir sind auch Kirche, wie man Kirche gewohnt ist. Gleichzeitig merken wir, dass Berlin den Leuten gerne noch einen anderen Zugang bieten will, dass es in der Stadt überhaupt ein Thema ist, Kirche zu sein.
Da überlegen wir, wie wir Kontaktflächen zu Leuten hinkriegen, die nicht gezielt in die Kirche gehen, die vielleicht auch nicht zur Kirche gehören. Da sind wir auf der Suche nach kreativen Möglichkeiten, Leuten möglichst niederschwellig einen Berührungspunkt mit Kirche zu bieten.
DOMRADIO.DE: Was und wie können Sie denn als Kirche zu den Themen Freude, Trauer, Hoffnung und Angst mitten in der Großstadt beitragen?
Henke: Das ist genau die Frage. Wir wissen ganz genau, dass wir zu all den Themen als Kirche etwas sagen können, etwas geben können. Allerdings haben wir in Berlin manchmal das Gefühl, dass die Leute es aber gar nicht hören wollen. Wie kriegt man es so dargeboten, dass es trotzdem zu erleben und zu erfahren ist?
Wir haben uns Gedanken gemacht, ob man mit einem "Icetruck" in der Stadt steht und darüber mit Leuten ins Gespräch kommt. Verschiedenste Aktionen sind uns in den Sinn gekommen. Dabei waren wir immer auf der Suche, wie wir Kirche anders erfahrbar und erlebbar machen können.
DOMRADIO.DE: Jetzt haben Sie auf dem Berliner Friedhof in Hohenschönhausen einen Kiosk-Automaten installiert. Aber der verkauft keine Zeitschriften, Cola, Zigaretten, sondern was?
Henke: Der verkauft Trostboxen. Wobei Verkaufen das falsche Wort ist. Es ist eher eine Spende. Gegen zwei Euro kriegt man eine Box, die mehr gefüllt ist, als man für diese zwei Euro erwarten kann. Aber viel spannender war für uns der Produktionsweg. Wenn überall in Berlin Boxen und Automaten stehen, wo sich Leute "to go" etwas holen, was packen wir als Kirche dann da rein?
Das war ein extrem schwieriger Weg zu überlegen, was wir Leuten in Trostsituationen und in Freudesituationen mitgeben können, wo sie – ohne dass wir sie kennen und ohne dass es ein persönliches Gespräch gibt – trotzdem davon was haben.
DOMRADIO.DE: Was ist in diesen Trostboxen drin?
Henke: Wir haben zurzeit fünf verschiedene Varianten, merken aber auch, dass wir durch pastorale Mitarbeiter jetzt gerade sprudeln. Was ganz nahe lag, war natürlich eine Duftkerze und Streichhölzer sowie schöne Texte mit reinzunehmen. Aber das war uns zu wenig. Wir hatten mit vielen Leuten im Hospiz gesprochen. Wir haben mit Trauerbegleitern gesprochen, haben mit Designern und Künstlern, auch nichtkirchlichen, in Berlin gesprochen.
Die haben Karten mit Trosttexten, mit Bildern entwickelt, die in einer Box sind. Wir haben uns überlegt, dass Trauer, Wut und Hoffnung auch zusammenhängen und haben eine Box gemacht, in der ein Wutball mit einem Text dazu drin ist, wo man seine Wut lassen kann. Aber auch ein Seedball ist dabei, ein Blumenball mit Samen drin, der Hoffnung gibt, sei es auf dem Grab oder an der Straßenecke, wo man ihn hinpflanzt.
Wir haben Umschläge für ein Jahr, dass man jeden Monat einen Auftrag bekommt, unter Leute zu gehen, sich an Orte zu begeben, wo man Leute vielleicht vermisst hat, die man mit einem verbindet, um die Leute auch aus ihrer Trauer rauszuholen. Die Frage war, wie es gelingt, eine Aktion bei Menschen ohne persönlichen Kontakt zu generieren.
DOMRADIO.DE: Schokolade ist aber nicht drin.
Henke: Schokolade ist nicht drin, auch wenn es natürlich tröstet. Es gibt aber die Aufforderung, mal zu gucken, was einem guttut und wo man es herkriegt. Gleichzeitig ist natürlich auch ein Kontakt zu einem Friedhofsplausch drin, der jede Woche stattfindet, wo Leute auch noch einmal das persönliche Gespräch und eine Seelsorgeperson antreffen können. Die Verbindung ist durch diese Aktion vielleicht einfach auch leichter.
DOMRADIO.DE: Können Sie schon etwas von Ihren ersten Erfahrungen berichten?
Henke: Sie sind seit zwei Wochen ganz frisch. Sie erwischen uns also in der Startphase. Aber wir sind jetzt schon insofern überfordert, dass alle Boxen, die wir produziert haben, gerade schon das erste Mal ausverkauft sind und wir jetzt schon an der Nachproduktion sitzen. Insofern läuft es erstaunlich gut. Wir haben vorher Tipps abgegeben und dachten, dass es langsam mal losgeht.
Wir merken aber, dass es eher ein zusätzliches Angebot ist, was die Leute gerne annehmen. Statt eines Schaukastens ist es plötzlich eine Aktivität, die die Leute haben. Wir fragen uns jetzt, wo man solche Automaten in Berlin noch hinstellen kann. Vielleicht im Berliner Club, vielleicht bei uns an der Hedwigskathedrale auf dem Platz. Wir suchen auch nach neuen und weiteren Orten.
DOMRADIO.DE: Wohin geht das Geld aus den Spenden für diese Trauerboxen?
Henke: Das schicken wir natürlich direkt an eine Hospizarbeit, weil wir denken, dass es auch so weitergehen soll. Das ist eine wichtige Begleitung in der Phase. Da soll es an Menschen gehen, die das auch begleiten und persönlich da sind.
Das Interview führte Tobias Fricke.