DOMRADIO.DE: Wie funktioniert das Pilgern auf den Spuren der eigenen Familie?

Beate Steger (Pilgerexpertin): Das ist eine besondere Geschichte, die an mich herangetragen wurde. Eine Pilgerin hat sich bei mir gemeldet, weil sie Informationen über Pilgerwege in Polen suchte. Ihre Großeltern stammten von dort, ihre Mutter wurde dort geboren und die Familie musste während des Krieges fliehen. Sie hatte ein halbes Jahr Sabbatical und wollte die Orte ihrer Familie besuchen – und ist dafür von Deutschland aus los gewandert.
Das Besondere: Sie ist entgegen der üblichen Jakobsweg-Richtung gepilgert. Die meisten Wege führen ja nach Santiago de Compostela und die Schilder zeigen entsprechend in diese Richtung. Sie ist also gegen den Strom gewandert, um sich auf ihre eigene Spurensuche zu begeben.
DOMRADIO.DE: Aber sie ist vorwärts gelaufen und nicht rückwärts?
Steger: Ja, sie ist natürlich vorwärts gegangen. (lacht) Sie hat während ihrer Reise immer wieder Kontakt zu mir gehalten und von ihren Erfahrungen berichtet. Besonders berührend fand sie, wie sehr sie das Heimweh ihrer Großmutter plötzlich nachvollziehen konnte. Anfangs verstand sie das nicht, weil ihre Familie in Deutschland gut integriert war. Doch je näher sie den Orten kam, an denen ihre Großmutter gelebt hatte, desto mehr konnte sie die emotionale Verbindung spüren.

DOMRADIO.DE: Das Thema "Ahnenforschung und Spurensuche" ist ein weites Feld. Man könnte ja auch einfach recherchieren, wo die Familie gelebt hat und mit dem Zug hinfahren. Aber hier geht es um die Verbindung mit Pilgerwegen, oder?
Steger: Genau. Der Gedanke ist, die Reise zu Fuß zu machen und Pilgerwege zu nutzen, die zu den gewünschten Orten führen oder zumindest in deren Nähe liegen. Dabei gibt es heute viele hilfreiche Möglichkeiten, um geeignete Wege zu finden. Es gibt beispielsweise umfassende Internetseiten zu Jakobswegen in verschiedenen Ländern, auch in Polen.
Ein toller Weg in Polen ist der Pommersche Jakobsweg, der sich von der Gegend um das ehemalige Königsberg bis an die Ostseeküste erstreckt. Diese Pilgerin war dort unterwegs. Eine meiner Lieblingsseiten für solche Recherchen ist hiking.waymarkedtrails.org. Dort kann man GPS-Tracks für Wander- und Pilgerwege finden. Gibt man den gewünschten Ort ein, zeigt die Seite an, welche Wege es in der Umgebung gibt – sei es ein rotes Dreieck als Wanderwegmarkierung oder ein Pilgerweg.

DOMRADIO.DE: Wenn man also herausfindet, dass die Vorfahren aus einem bestimmten Ort in der Slowakei etwa stammen, könnte man auf dieser Seite nach Pilgerwegen in der Region suchen?
Steger: Ja, genau. Die Seite zeigt zumindest, welche Wander- oder Pilgerwege es in der Nähe gibt. Dann kann man weiter recherchieren, ob diese Wege tatsächlich zum Ziel führen. Natürlich erfordert das ein bisschen Mühe, denn oft muss man die Route selbst zusammenstellen. Aber es gibt noch andere hilfreiche Portale wie "Komoot" oder "Outdooractive", mit denen man eigene Strecken planen kann, um schöne und sichere Wege abseits der Hauptstraßen zu finden.
DOMRADIO.DE: Was macht für Sie den Reiz dieser Kombination aus persönlicher Familiengeschichte und Pilgerwegen aus?
Steger: Es ist die Einzigartigkeit. Man verlässt die ausgetretenen Pfade und gestaltet seine ganz persönliche Reise. Das schafft eine viel tiefere Verbindung zu den eigenen Wurzeln. Es ist etwas anderes, als mit dem Auto hinzufahren, auszusteigen und zu sagen: "Ah, das war das Haus vom Opa." Pilgern erlaubt es, sich den Orten langsam zu nähern, nachzudenken und wirklich in die Geschichte einzutauchen.
DOMRADIO.DE: Und es wäre vielleicht praktisch, ein Fotoalbum oder Notizen digitalisiert mitzunehmen, statt alles in Papierform zu schleppen?
Steger: Fotos oder alte Dokumente digital auf dem Handy dabei zu haben, ist sehr hilfreich. Wenn man ein Bild des Hauses hat, in dem die Familie lebte, kann man vor Ort sehen, wie es heute aussieht. Ich selbst war schon in Schlesien pilgern, zwischen Krakau und Breslau, und habe dort viele Spuren der Vergangenheit entdeckt. In einem kleinen Laden hat mich eine ältere Dame auf Deutsch angesprochen – das macht doch die Sache erst richtig aus.
Das Interview führte Uta Vorbrodt.