Eine TV-Reportage über das Leid früherer Heimkinder

Alpträume ein Leben lang

Die Bethel-Jugendanstalt Freistatt bei Bremen galt in den 1950er und 60er Jahren als "Endstation" für Heimkinder. Viele Dinge seien hier passiert, die noch heute in Alpträumen wiederkehrten, erzählen ehemalige Bewohner in der Reportage "Das vergisst man nie! - Kindheit im Heim".

Autor/in:
Heide-Marie Göbbel
 (DR)

Im  großen Schlafsaal, der heute als Secondhand-Lager untervermietet  ist, schliefen damals über 40 Jungen, beobachtet und kontrolliert  von den Erziehern. Im Schlafraum herrschte eine Atmosphäre von Druck und Angst.

Viele Dinge seien in der Dunkelheit passiert, die noch heute in Alpträumen wiederkehrten, erzählen ehemalige Bewohner. In der Reportage "Gott und die Welt: Das vergisst man nie! - Kindheit im Heim", die die ARD am Sonntag um 17.30 Uhr ausstrahlt, gehen Alexia Späth und Christian Dröse den schockierenden Erfahrungen von Heimkindern nach, die bis Ende der 1970er Jahre in kirchlichen und staatlichen Einrichtungen lebten.

Der Film spürt dem Horror von damals nach, erzählt von der Begegnung mit ehemaligen Erziehern und fragt nach einer möglichen Versöhnung. Das Team begleitet zuerst den ehemaligen Zögling Wolfgang Rosenkötter nach Freistatt. Die Heimleitung hatte ihn eingeladen. Bis dahin hatte er noch nie über seine traumatischen Erlebnisse gesprochen. Für ihn, so erzählen die Autoren, begann mit der Reise eine schmerzliche Odyssee in die Vergangenheit.

"Das war für mich keine Kirche"
Ein anderes Heimkind, Annerose Omranian, erinnert sich an ein einziges glückliches Jahr in ihrem Leben. In Kloster Warnberg in München-Solln, dem vierten von fünf Heimen, traf sie eine Schwester, die das einsame Kind unter ihre Fittiche nahm. Doch sie musste auch andere Erfahrungen machen und erinnert sich mit Schrecken an die Geschichte einer Vierjährigen, die ins Bett nässte und täglich dafür geschlagen wurde. "Wenn unser Heimleiter so ein Kind geschlagen hat und dann in die Kirche gegangen ist - das war für mich keine Kirche", sagt sie.

Alexia Späth und Christian Dröse trafen auch Kinder, die ihrer Zeit im Heim im Nachhinein sogar Gutes abgewinnen konnten, weil die anderen Einrichtungen noch schlimmer waren. Das Team besucht noch weitere Heime, beispielsweise Haus Birkeneck bei Erding, das heute ein modernes Jugendwerk beherbergt. Früher war es ein Heim der Herz-Jesu-Missionare für sogenannte Schwererziehbare. Pater Pfab und Pater Mertl erinnern sich an die Zeit, als dort noch 300 Jugendliche mit drakonischen Maßnahmen erzogen wurden. Die Patres, meint ein ehemaliger Zögling, hätten ja überhaupt keine Ausbildung gehabt. Sie seien nach der Priesterweihe hierher geschickt worden und sollten dann mit einer Gruppe von 30 bis 40 Jugendlichen fertig werden.

Vieles wird geleugnet, vieles scheint vergessen
Der Dialog zwischen früheren Heimkindern und ihren Erziehern fällt noch heute schwer. Vieles wird geleugnet, vieles scheint vergessen. Die ehemaligen Zöglinge fordern eine offene Aufarbeitung und eine Entschuldigung für die Dinge, die passiert sind und nicht hätten passieren dürfen. Annerose Omranian zum Beispiel lag es sehr am Herzen, ihren früheren Heimleiter zu fragen, warum er die Vierjährige geschlagen hatte. Er könne sich nicht daran erinnern, antwortete er. Doch es sei ihm sehr peinlich, dass er so etwas getan haben soll.

Ein erster Schritt zur Versöhnung ist geschafft, wie auch die bewegende Reportage von Späth und Dröse zeigt. Doch vermutlich wird es noch lange dauern, bis die meisten Opfer unter den 700.000 bis 800.000 ehemaligen Heimkinder von ihrem Schicksal erzählen können. Der Film will dazu ermutigen und fordert dazu auf, sich nicht auf Dauer mit der Opferrolle abzufinden. "Wenn man es einmal rausgesagt hat und zwar dem Betreffenden, dann ist es leichter. Es geht mir wirklich jetzt gut", meint Annerose Omranian zum Schluss.

Hinweis: Gott und die Welt: "Das vergisst man nie!" Kindheit im  Heim. Reportage von Alexia Späth und Christian Dröse. ARD, So 21.3., 17.30 - 18.00 Uhr.