Sie helfen nach Zugunglücken oder kümmern sich um die Überlebenden eines Amoklaufs. Auch wenn im häuslichen Umfeld ein Mensch unerwartet zu Tode kommt oder ein Kind bei einem Verkehrsunfall stirbt, bieten Notfallseelsorgerinnen und -seelsorger den Angehörigen ihre Unterstützung an. In ihrem soeben erschienenen Buch "Und plötzlich ist nichts mehr, wie es war" bieten Albi Roebke und seine Co-Autorin Lisa Harmann Einblicke in die Arbeit der oft ehrenamtlichen Begleiter. Die fünf wichtigsten Fragen:
Was ist Notfallseelsorge?
Notfallsorgerinnen und Notfallseelsorger werden in der Regel nach plötzlichen Todesfällen gerufen. Das kann etwa nach einer Naturkatastrophe wie der Flut im Ahrtal 2021 sein oder nach einem Verbrechen wie dem Amoklauf auf dem Magdeburger Weihnachtsmarkt Ende 2024. Der weitaus größte Teil der Einsätze findet allerdings im häuslichen Umfeld bei Angehörigen von Verstorbenen statt: nach einem plötzlichen Kindstod zum Beispiel oder beim Überbringen der Todesnachricht nach einem Verkehrsunfall. In der Regel sind Notfallseelsorger in den ersten 24 bis 48 Stunden nach einem Todesfall für etwa eineinhalb bis zwei Stunden im Einsatz.
Sie informieren die Hinterbliebenen und das Umfeld. Sie klären auf, wie schreckliche Ereignisse emotional verarbeitet werden; der Fachbegriff dafür lautet "Psychoedukation". Schließlich wollen sie die Entscheidungsfähigkeit der Betroffenen stärken. Das ist wichtig, um ihnen das Gefühl zu vermitteln, wenigstens einen kleinen Teil ihres Lebens wieder kontrollieren zu können, nachdem ihr Dasein durch den unwiederbringlichen Verlust komplett aus den Fugen geraten ist. In der Theorie sollen Betroffene spätestens nach zwei Tagen Hilfe über andere Stellen erhalten.
Seit wann gibt es Notfallseelsorge in Deutschland?
Am 28. August 1988 stürzten bei einer militärischen Flugschau auf der US-Air Base in Ramstein bei Kaiserslautern drei Flugzeuge ab. 70 Menschen starben, bis zu 1.000 wurden verletzt. Die Katastrophe führte zu neuen Überlegungen im Rettungswesen und zu ersten Ansätzen in der Notfallseelsorge. Bis dahin gab es für zivile Opfer bei derartigen Vorfällen kaum Hilfen.
Ein zweites Ereignis, das Zugunglück von Eschede am 3. Juni 1998 mit 101 Toten und 105 Verletzten, führte in der Folgezeit zur Gründung der ersten Netzwerke in der Notfallseelsorge. Viele von ihnen begehen deshalb derzeit ihr 25-jähriges Bestehen.
Wie groß ist der Bedarf und wo gibt es Lücken?
Ein Beispiel aus Bonn und dem benachbarten Rhein-Sieg-Kreis: Hier leben auf 1.300 Quadratkilometern Fläche rund eine Million Menschen. Die von der katholischen und evangelischen Kirche gemeinsam getragene Notfallseelsorge kommt dort inzwischen auf 430 Einsätze im Jahr - mit einem Team von 50 Haupt- und Ehrenamtlichen.
Die beiden Gründer, der evangelische Notfallseelsorger Albi Roebke und sein katholischer Amtsbruder Pater Jürgen Langer, vertreten bei den Einsätzen einen flexiblen Ansatz, der auch unter dem Namen "Bonner Weg" bekannt ist. Zwar endet spätestens nach 48 Stunden die eigentliche Notfallseelsorge, betont Roebke. "Aber wenn die Menschen noch weiterer Begleitung bedürfen, dann gehört das zu unserer Gemeindearbeit." Immer noch fehlt es nämlich an Anlaufstellen oder Angeboten der Trauerbegleitung, an die sich Betroffene nach einem Verlust wenden können. "Die Abdeckung dürfte viel besser sein", sagt Roebke.
Mit der psychosozialen Prozessbegleitung wurde unlängst eine Lücke bei der Betreuung von Betroffenen während der juristischen Aufarbeitung des Geschehens geschlossen. Damit soll vor allem deren individuelle Belastung reduziert werden. Psychosoziale Prozessbegleiterinnen und Prozessbegleiter haben das Recht, bei Vernehmungen des Opfers dabei zu sein.
Welche Rolle spielen die Kirchen bei der Notfallseelsorge?
Eine zentrale: Die Kirchen haben sich aus ihrem Selbstverständnis heraus sehr früh in diesem Bereich engagiert. "Die Sorge um den Menschen in Not galt immer schon als Aufgabe, der sich kein Glaubender entziehen soll", heißt es in einem von beiden Kirchen gemeinsam veröffentlichten Faltblatt. Der Begriff "Notfallseelsorge" selbst wurde 1992 von den beiden evangelischen Pfarrern Hanjo von Wietersheim und Eckhard Mattke geprägt. Die Kirchen stellen die Strukturen für die Notfallseelsorge bereit.
Sie entsenden die Seelsorger, die wiederum über die Kirchen bei ihren Einsätzen versichert sind. Zudem unterstreicht das kirchliche Beichtgeheimnis die Bedeutung des Zeugnisverweigerungsrechts, das alle Seelsorgerinnen und Seelsorger haben. Der Gedanke dahinter: Ihre Gespräche mit Betroffenen sollen in einem geschützten Rahmen stattfinden. Wichtig ist: Das Angebot der Seelsorge gilt allen Menschen - unabhängig von deren Religion oder Weltanschauung.
Wie kann ich mich in der Notfallseelsorge engagieren?
Wer selbst in der Notfallseelsorge tätig werden will, sollte ein Handy und einen Internetzugang haben, motorisiert und auch in Extremsituationen belastbar sein. Benötigt wird überdies ein polizeiliches Führungszeugnis. Angehende Seelsorgerinnen und Seelsorger müssen einer christlichen Kirche angehören, weil die Kirchen sie entsenden.
Die kostenfreie Ausbildung zum ehrenamtlichen Notfallseelsorger dauert beispielsweise in Bonn und dem Rhein-Sieg-Kreis ein Jahr und beinhaltet zwölf Kurs-Einheiten à acht Stunden zu Themen wie Psychotraumatologie, Schuldfragen und erschwerte Trauer. Danach gibt es immer wieder Weiterbildungsangebote. Im Gegenzug verpflichten sich die Notfallseelsorgerinnen und -seelsorger zu mindestens 24 Stunden Bereitschaftsdienst pro Monat.
"Einige übernehmen später gern Nachtdienste, andere lieber Nachbetreuungen. Einige schließen gewisse Einsätze aus persönlichen Gründen aus, andere gehen vor allem gern in Familien, in denen Fremdsprachenkenntnisse gebraucht werden", berichtet Lisa Harmann. "Die Einsätze werden so individuell gestaltet, wie es für alle passt und sinnvoll ist." Davon abgesehen kann die Arbeit der Notfallseelsorge auch auf anderen Wegen unterstützt werden, etwa durch Spenden.