Ein Besuch in Santiago de Compostela

Das Ziel ist das Ziel

Bei allem, was an Wahrem gerade in den vergangenen Monaten des diesjährigen Heiligen Jahres über den Weg als Wert an sich geschrieben wurde, letztlich wollen alle Wanderer hierhin: zum Grab das Apostels Jakobus, zur Kathedrale, nach Santiago de Compostela. Das gilt auch für Papst Benedikt XVI., der hier seinen Spanienbesuch beginnt.

Autor/in:
Caroline Schulke
 (DR)

Bei guter Sicht sind sie von hier aus das erste Mal sichtbar, die Türme der Kathedrale von Santiago de Compostela. Der Monte de Gozo ist der letzte Hügel auf dem Jakobsweg. Und er heißt nicht umsonst Berg der Freude. Die bloße Ahnung der Kathedrale am Horizont macht all die Schmerzen des Weges vergessen; die offenen Blasen an den Füßen, die geschwollenen Knie, das Brennen der rucksackbeladenen Schultern.



Die Stadt in Galicien, nahe der Küste, ist der Nullpunkt des Kilometercountdowns, den Menschen auf ihrer Pilgerfahrt betreiben. Jeden Tag laufen sie auf dem Jakobsweg an unzähligen Wegsteinen entlang, die die fehlende Entfernung bis Santiago angeben.



Der Name der Stadt bedeutet so viel wie "heiliger Jakob vom Sternenfeld". Für die Herkunft dieser Bezeichnung gibt es verschiedene Erklärungen. Eine lautet, dass ein heller Stern zur Entdeckung des Jakobusgrabes im 9. Jahrhundert führte. Diese und andere Legenden ranken sich um den Heiligen, sein Grab und den Jakobsweg. Legendär, wenn auch in einem anderen Wortsinn, ist in der Folge der Entdeckung die religiös motivierte Reise zum Jakobusgrab geworden. Die Wallfahrt nach Santiago entwickelte sich im Mittelalter rasch zum Pilgerweg schlechthin.



Schallmauer von 200.000 ausgegebenen Pilgerurkunden

Diesen Stand hat der Weg derzeit nach Jahrzehnten, ja Jahrhunderten nachlassender und verschwindend geringer Pilgerzahlen wieder erreicht. Seit den 1980er Jahren erlebt der Jakobsweg eine Renaissance, die im laufenden Heiligen Jahr einen weiteren Höhepunkt erreicht. Schon vor Jahresende wurde die Schallmauer von 200.000 ausgegebenen Pilgerurkunden erreicht, ein neuer Rekord.



Kurz nach dem Monte de Gozo ist es soweit. Nach einem kurzen, aber knackigen Abstieg und der Passage einer windigen Eisenbahnbrücke markiert ein verschmiertes und angegriffenes Schild den Beginn der Stadt.



Die Ankunft ist nah und doch noch fern. Das letzte Stück bis zum historischen Stadtkern bedeutet vor allem jede Menge Pflastertreten, zieht sich eine gefühlte Ewigkeit hin und veranschaulicht, dass Santiago de Compostela mehr ist als Pilgerhochburg. Als küstenahe Stadt, Standort verschiedener Industriebetriebe und einer Universität mit 30.000 Studenten hat sie auch ein rauheres Gesicht. An großen Einfahrtstraßen und Kreisverkehren geht es entlang, vorbei an Einkaufszentren, schmucklosen, aber funktionalen Häuserzeilen und etlichen einfachen Bars und Cafes.



Das Ziel ist eben das Ziel

Die Innenstadt hingegen ist malerisch. Kleine Gassen führen vorbei an alten Fassaden und etlichen kleineren und größeren Kirchen, von denen die bekannteste und schönste natürlich die Kathedrale ist. Zusammen mit der gesamten Altstadt wurde sie 1985 von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärt; ein Titel, den 1993 auch der Jakobsweg verliehen bekam.



Historisch ist die Innenstadt damit allemal, tot und verschlafen sicher nicht. Das würde auch gar nicht zu Spanien und der Mentalität seiner Bewohner passen, die viel und gerne Zeit außerhalb ihrer eigenen vier Wände verbringen. In den Tapas-Bars treffen sich Touristen und Einheimische bei Pulpo (Oktopus), Patatas Bravas (Kartoffeln mit scharfer oder Knoblauchsoße) und Pimientos (Paprikaschoten).



Und bei Weitem nicht jeder Besucher ist per Fuß, Fahrrad oder Pferd gekommen, wie es das traditionelle Pilgerwesen vorsieht. Längst bringt der kleine, keine 20 Kilometer vom Zentrum entfernt gelegene Flughafen die meisten Gäste in die Stadt - bald einen ganz besonderen: Papst Benedikt XVI. kommt für einen Tag nach Santiago, besucht die Kathedrale und feiert eine Messe auf dem großen Platz davor. Den Jakobsweg und den Monte de Gozo sieht das Kirchenoberhaupt bestenfalls aus dem Flugzeug, als Pilger kommt er trotzdem nach Santiago de Compostela. Das Ziel ist eben das Ziel.