Domkapitular Ohly verrät seinen Lieblingsort im Kölner Dom

"Christus ganz nah bei sich tragen"

Jeder, der im oder am Dom arbeitet, betrachtet Kölns Kathedrale aus seiner ganz persönlichen Perspektive. Und er entwickelt oft eine besondere Vorliebe für einen bestimmten Platz. Für Christoph Ohly ist das sein Namenspatron.

Autor/in:
Beatrice Tomasetti
KHKT-Rektor Christoph Ohly hat eine gute Beziehung zu seinem Namenspatron. / © Beatrice Tomasetti (DR)
KHKT-Rektor Christoph Ohly hat eine gute Beziehung zu seinem Namenspatron. / © Beatrice Tomasetti ( DR )

Der Heilige Christophorus ist überlebensgroß und überragt alles, was es an figürlichen Kunstschätzen im Kölner Dom gibt. Immerhin bringt er es auf eine stattliche Größe von knapp 3,80 Metern, wogegen sich auf seiner Rückseite der fast unscheinbar wirkende Antonius geradezu bescheiden ausnimmt. Obwohl die Existenz des "Christusträgers" nicht sicher bewiesen werden kann, gilt er als Schutzpatron der Reisenden, so dass Autofahrer oft eine Plakette von ihm mit sich führen und sich dieser Heilige als Talisman auch bei Nicht-Gläubigen großer Popularität erfreut.

Domkapitular Christoph Ohly beim Predigen auf der Dom-Kanzel. / © Beatrice Tomasetti (DR)
Domkapitular Christoph Ohly beim Predigen auf der Dom-Kanzel. / © Beatrice Tomasetti ( DR )

Für Domkapitular Christoph Ohly, Professor für Kirchenrecht und Rektor der Kölner Hochschule für Katholische Theologie – kurz KHKT – bedeutet die regelmäßige "Begegnung" im Dom mit seinem Namenspatron immer auch ein Stück Heimat. "Wenn ich hier Gottesdienst feiere und zum Heiligen Christophorus aufschaue, ist das stets auch ein Nach-Hause-Kommen", stellt der 56-Jährige fest. "Der Name Christoph ist Programm und erinnert mich immer an meine Berufung. Er steht für die Freundschaft mit Christus." Ausgerechnet als Christ diesen Namen zu tragen, sei für ihn ein besonderes Zeichen und mache ihn dankbar. "Denn der Heilige Christophorus trägt Christus ganz nah bei sich."

Größte Christophorusfigur des Rheinlandes

Der Standort der Skulptur vor der Marienkappelle erklärt sich aus der Baugeschichte des Domes: Der mittelalterliche Eingang zum unvollendeten Dom befand sich im östlichen Seitenschiff des Südquerhauses. Der von dort eintretende Gläubige begegnete unmittelbar dieser Christophorusfigur, die als größte des Rheinlandes gilt.

Gegen den knapp 3,80 Meter hohen Christophorus erscheint der Heilige Antonius auf dessen Rückseite eher klein. / © Beatrice Tomasetti (DR)
Gegen den knapp 3,80 Meter hohen Christophorus erscheint der Heilige Antonius auf dessen Rückseite eher klein. / © Beatrice Tomasetti ( DR )

Also eine Beziehung auf Tuchfühlung? "Seit der Taufe bin ich eng mit Jesu Leben und Auferstehung verbunden. Daraus beziehe ich bis heute meine Kraft", erklärt Ohly. "Daher bedeutet es mir als Priester auch viel, diese Freundschaft achtsam zu pflegen – ganz konkret in der Feier der Sakramente und im Hören auf sein Wort."

Im März 2021 wurde Christoph Ohly zusammen mit Kreisdechant Guido Zimmermann als Domkapitular eingeführt. / © Beatrice Tomasetti (DR)
Im März 2021 wurde Christoph Ohly zusammen mit Kreisdechant Guido Zimmermann als Domkapitular eingeführt. / © Beatrice Tomasetti ( DR )

Die farbig gefasste Dom-Skulptur aus Tuffstein wurde um 1470 von Tilman van der Burch, dem im Kölner Raum führenden spätgotischen Bildhauer, geschaffen. Christophorus, einer der 14 Nothelfer, steht auf einer Konsole mit Wappen tragenden Engeln und schreitet mit hochgerafftem Gewand, das Christuskind mit der Weltkugel auf seinem Rücken, durch einen imaginären Fluss. Dass er tiefes Wasser überquert, besagt die Legende, und auch, dass er in der Gestalt des Weltenrichters die ganze Last der Menschheit auf seine Schultern geladen hat. Man nimmt dieser robusten Gestalt mit Locken, Rauschebart und Wanderstab die Bürde ab, die sich mit diesem Dienst verknüpft. Nicht umsonst wird Christophorus traditionell meist als Riese dargestellt, der – so sein Ehrgeiz – dem mächtigsten aller Herrscher dienen will und in der Mitte des Flusses fast zu ertrinken droht, weil dieses besondere Kind – Gott selbst – mit jedem Schritt schwerer wird und er diesem Gewicht kaum standhält.

Professor Christoph Ohly, Domkapitular

"Die KHKT ist etwas Besonderes, denn sie sucht den Dialog und Austausch: vor allem mit anderen Religionen und Kulturen. Hier wird nach Gott gefragt und danach, wie Gott und die Welt zueinander passen."

Der Symbolgehalt dieser Geschichte, dessen Narrativ im 13. Jahrhundert entsteht, taugt sicher nicht für eine Eins-zu-Eins-Übertragung ins Heute. Und doch ist nicht von der Hand zu weisen, dass auch Ohly gerade große Herausforderungen zu bestehen hat, wenn er sich als Rektor der von den Steyler Missionaren übernommenen Hochschule, die vor zwei Jahren von St. Augustin nach Lindenthal umgezogen ist, anhaltender Kritik ausgesetzt sieht. Hauptargument: Diese zusätzliche Ausbildungsstätte für Theologiestudierende in Trägerschaft des Erzbistums sei überflüssig. Doch der Rektor hält dagegen und ist überzeugt: Die KHKT ist etwas Besonderes, denn sie sucht den Dialog und Austausch: vor allem mit anderen Religionen und Kulturen. Hier werde nach Gott gefragt und danach, wie Gott und die Welt zueinander passten.

Auf den Schultern trägt der Heilige Christophorus das Jesus-Kind. / © Beatrice Tomasetti (DR)
Auf den Schultern trägt der Heilige Christophorus das Jesus-Kind. / © Beatrice Tomasetti ( DR )

Vorbehalten und Vorurteilen zu begegnen – das kennt der Kölner Lehrstuhlinhaber, der unter anderem fünf Jahre in Rom sein Theologiestudium mit dem abschließenden Lizenziat in Dogmatik absolviert hat, dort auch zum Priester geweiht wurde und später in München im Kirchenrecht promoviert und sich bald darauf noch habilitiert hat, auch aus den eigenen Kreisen. Schließlich hängt der Fachrichtung Kirchenrecht schon mal schnell der Vorwurf an, sie bremse als Paragrafenreiterei die Pastoral aus. Doch zu Unrecht werde das Kirchenrecht hier als Hemmschuh gesehen, ohne den man, so höre er immer wieder von Kollegen, sonst sehr viel weiter sein könnte, meint Ohly. Mit ihrer Auffächerung beispielsweise in Ehe- und Sakramentenrecht, Verkündigungs- und Verfassungsrecht oder auch Staatskirchenrecht sei diese Disziplin für die Gewährleistung kirchlichen Lebens und kirchlicher Gemeinschaft vielmehr unabdingbar.

Die Konsole schmücken Wappen tragende Engel. / © Beatrice Tomasetti (DR)
Die Konsole schmücken Wappen tragende Engel. / © Beatrice Tomasetti ( DR )

 "Eine Gesellschaft ohne Recht wäre eine rechtlose – dasselbe gilt für die Kirche. Das kann doch niemand ernsthaft wollen", vertritt Ohly. "Vielmehr braucht die Pastoral das Recht und umgekehrt – etwa um den Gottesdienst so zu feiern, wie die Kirche ihn vorsieht." Es sei Aufgabe des Kirchenrechts, die kirchliche Gemeinschaft bestmöglich zu schützen, aber auch zu fördern. "Die Anwendung von Kirchenrecht bedeutet kein enges Korsett, ganz im Gegenteil: Sie ermöglicht auch viel", betont der Kirchenjurist. Dafür bedürfe es keines Expertenwissens. Schließlich sollte jeder Christ um seine Rechte und Pflichten wissen; "zum Beispiel, dass er gleichermaßen an der Sendung der Kirche, das Evangelium zu verkündigen, beteiligt und damit zum aktiven Christsein berufen ist. Mithilfe des Rechts finde ich meinen Platz, den Gott mir zugedacht hat", ist Ohly überzeugt.

Professor Christoph Ohly, Domkapitular

"Eigentlich schlug mein Herz für die systematische Theologie, die den Glauben kraft der Vernunft durchdringt. Hier habe ich mich eher gesehen. Erst später habe ich in dieser Planänderung für mich die Führung Gottes erkannt und verstanden, dass das Kirchenrecht viele dogmatische Grundlagen hat und mich gar nicht so weit weg vom Eigentlichen führt."

Zunächst war allerdings auch für ihn die Beschäftigung mit Kirchenrecht nur Liebe auf den zweiten Blick. Mit seinem Aufbaustudium in Kanonischem Recht Ende der 90er Jahre in München kommt Ohly, der sich schon früh der Forschung verschreibt, eher einer Bitte Kardinal Meisners nach, der eine Expertise für kirchenrechtliche Fragen in den eigenen Reihen wünscht. "Eigentlich schlug mein Herz für die systematische Theologie, die den Glauben kraft der Vernunft durchdringt", räumt Ohly ein. "Hier habe ich mich eher gesehen. Erst später habe ich in dieser Planänderung für mich die Führung Gottes erkannt und verstanden, dass das Kirchenrecht viele dogmatische Grundlagen hat und mich gar nicht so weit weg vom Eigentlichen führt." Heute sei er begeisterter Hochschullehrer, der junge Leute "mitnehmen" und ihnen von der eigenen Neigung für dieses Fach etwas abgeben wolle.

Dompropst Assmann legt Christoph Ohly die Mozetta an. / © Beatrice Tomasetti (DR)
Dompropst Assmann legt Christoph Ohly die Mozetta an. / © Beatrice Tomasetti ( DR )

Die vielen Querverbindungen mit den anderen theologischen Disziplinen ergäben sich nahezu von selbst, findet er. Gerade in der aktuellen Missbrauchsaufarbeitung seien Kirchenrechtler im ständigen Austausch mit Moraltheologen und anderen Fachkollegen, um dieses schwere und bedrückende Thema aus unterschiedlichen Sichtweisen anzugehen. Mehr denn je sei aktuell außerdem der enge Austausch mit Vertretern staatlichen Rechts gefordert. "Als Kirche müssen wir unmissverständlich Stellung beziehen, wenn wir nach unseren Normen befragt werden."

"So sehr ich davon überzeugt bin, dass wir als Kirche ein eigenes Recht brauchen – und der Codex Iuris Canonici dient schließlich der gesamten Weltkirche als gesetzliche Grundlage – so sehr machen wir beim Thema Missbrauch gerade einen Lernprozess durch", konstatiert Ohly. "Gegenüber Tätern muss null Toleranz gelten, auch wenn in der Vergangenheit mitunter aus einem falschen Verständnis heraus, das makellose Bild der Kirche schützen zu wollen, schwere Fehler begangen wurden", unterstreicht er. "Wir bekennen zwar die eine heilige Kirche, sind selbst aber keine Heiligen, sondern nur dazu berufen, heilig zu werden, und müssen unser eigenes Fehlverhalten eingestehen." Die Kirche verfolge mit Nachdruck das Anliegen, im Raum der Kirche straffällig gewordene Täter von ihren Ämtern abzuziehen. Von daher gebe es zu der staatlichen Verfolgung parallel auch die innerkirchliche, so dass sich im besten Sinne beide Rechtsordnungen ergänzten. "Auch wir kennen bei schweren Verbrechen keine Verjährung", stellt der Kirchenrechtler ausdrücklich fest.

Professor Christoph Ohly, Domkapitular

"Wir wollen junge Menschen mit einer theologischen Kompetenz ausstatten und sie sprachfähig machen, ihre eigene Position zu vertreten, aber zugleich auch das andere kennenzulernen."

Die Theologie, wie sie an der KHKT gelehrt werde und viele unterschiedliche Berufsbilder ermögliche, müsse sich mit anderen Bereichen verbinden und tue dies auch. Darin sehe er seinen persönlichen Auftrag und das Wesen dieses Fachs. "Von den knapp 100 Studierenden, Frauen und Männer, kommen etwa 35 Prozent aus dem Ausland, aus insgesamt 20 verschiedenen Nationen. Der interkulturelle und interreligiöse Dialog wird von daher bei uns groß geschrieben", betont der Rektor der KHKT. "Wir wollen junge Menschen mit einer theologischen Kompetenz ausstatten und sie sprachfähig machen, ihre eigene Position zu vertreten, aber zugleich auch das andere kennenzulernen. Daher trifft uns der Vorwurf, uns hinter einer Art Wagenburgmentalität zu verschanzen oder gar eine heile Welt des Studierens zu schaffen, zu Unrecht", argumentiert er. "Gerade akademisches Denken lebt doch vom offenen Dialog. Von daher bedaure ich erst recht, wenn da die Studierenden in Mithaft genommen werden."

Die Skulptur des Heiligen Christophorus steht am Eingang der Marienkapelle. / © Beatrice Tomasetti (DR)
Die Skulptur des Heiligen Christophorus steht am Eingang der Marienkapelle. / © Beatrice Tomasetti ( DR )

Dieser zusätzliche Standort in Lindenthal biete den Vorteil, in einer Metropole zu studieren und damit "im Licht der Herausforderung eines säkularisierten Umfeldes". Mit Leidenschaft nehme er hier die Aufgabe eines Vermittlers wahr. Deshalb sei ihm ja auch sein Namensheiliger so nahe. "Wie Christophorus habe ich einen dynamischen Job", lacht Ohly. "Ich trage den Herrn zwar nicht auf meinen Schultern, aber in meinem Herzen und hoffe wie er, dass ich – bei allen Untiefen und spürbarem Gegenwind – sicher das Ufer erreiche."

Alle Inhalte der Serie "Lieblingsorte im Kölner Dom" hier.

Quelle:
DR
Mehr zum Thema