Domreinigungskraft verrät ihren Lieblingsort im Kölner Dom

Das Himmlische Jerusalem auf Hochglanz bringen

Wer im oder am Dom arbeitet, betrachtet Kölns Kathedrale aus seiner ganz persönlichen Perspektive. Und er entwickelt oft eine besondere Vorliebe für einen bestimmten Platz. Für Gabriele Heickenfeld ist das die Schmuckmadonna.

Autor/in:
Beatrice Tomasetti
Erste Amtshandlung am Morgen: Aus einem goldenen Kübel gießt Gabriele Heickenfeld frisches Wasser in das Weihwasserbecken nahe der Schmuckmadonna. / © Beatrice Tomasetti (DR)
Erste Amtshandlung am Morgen: Aus einem goldenen Kübel gießt Gabriele Heickenfeld frisches Wasser in das Weihwasserbecken nahe der Schmuckmadonna. / © Beatrice Tomasetti ( DR )

Die täglich mehr als 20.000 Besucher aus aller Welt hinterlassen ihre Spuren. Sehr zum Leidwesen von Gabriele Heickenfeld. Denn nicht nur, dass die sommerlichen Touristenströme im wahrsten Sinne des Wortes immer wieder kräftig Staub aufwirbeln. Jeden Morgen findet die 54-Jährige unter den Bänken und in Mauernischen Hinterlassenschaften, die eines Gotteshauses unwürdig sind, wie sie meint. Mutwillig liegen gelassene Papiere, Taschentücher oder FFP2-Masken füllen regelmäßig einen halben Müllbeutel. Geduldig sammelt die Reinigungskraft jeden Unrat dieser Art ein. An große Mengen unerwünschter Fremdmaterie, die die bewusst gelebte Gastfreundschaft in Kölns geistlichem Zentrum mit seinen weit geöffneten Türen nun mal mit sich bringt, ist sie inzwischen zwar gewöhnt. Bei Kaffeebechern, Speiseresten oder Bierflaschen hört für sie der Spaß bekanntlich aber auf.  

"Unglaublich, wie respektlos sich manche Menschen in einer Kirche benehmen. Das ist doch kein Ort für ein Picknick", empört sie sich dann. Der Gipfel seien Zigarettenkippen im Weihwasserbecken oder die vielen Kaugummis, die mühsam wieder vom Boden oder empfindlichen Oberflächen abgekratzt werden müssten. "Alles unter sich fallen lassen – das tut man doch nicht", findet die Raumpflegerin des Kölner Domes, die ab vier Uhr in der Frühe daran arbeitet, dass es hier tagsüber picobello aussieht. Das Abbild des Himmlischen Jerusalems, wie sich die Baumeister des Mittelalters dieses steinerne Zelt einst vorgestellt hatten, soll sich – geht es nach ihr – zu jeder Zeit makellos sauber präsentieren. Das ist ihr Anspruch. "Ich mag es nun mal blitzeblank", gesteht die Frau mit dem sorgfältig im Nacken zusammengebundenen Haar und dem freundlichen Lächeln. "Vielleicht kann sich niemand vorstellen, wie viel Mehraufwand solche Gedankenlosigkeit verursacht."

Von Anfang an besondere Nähe zur Schmuckmadonna gespürt

Und trotzdem: Gabriele Heickenfeld liebt ihre Arbeit. "Für nichts im Leben wollte ich etwas anderes tun." Sie betrachte es als ein großes Glück, ausgerechnet in Kölns Wahrzeichen arbeiten zu dürfen, erklärt die Domreinigungskraft, die sich 2016 auf eine Ausschreibung im Stadtanzeiger beworben hat. "Ich habe damals so intensiv dafür gebetet, dass ich diese Chance bekomme, und konnte gar nicht fassen, dass es dann wirklich geklappt hat, bereits eine halbe Stunde nach meinem Bewerbungsgespräch der Anruf kam und ich die Stelle hatte."

"Der schönste Arbeitsplatz, den man sich vorstellen kann", schwärmt Gabriele Heickenfeld vom Inneren des Kölner Doms. / © Beatrice Tomasetti (DR)
"Der schönste Arbeitsplatz, den man sich vorstellen kann", schwärmt Gabriele Heickenfeld vom Inneren des Kölner Doms. / © Beatrice Tomasetti ( DR )

Von der ersten Minute an habe sie eine besondere Nähe zur Schmuckmadonna im Nordquerhaus des Domes gespürt; ein Bereich, in dem sie während ihrer Probezeit zunächst eingesetzt wird. "Schon bald wurde das mein Lieblingsort, woran sich bis heute nichts geändert hat. Diese Marienfigur hat mein Herz im Sturm erobert."

Gabriele Heickenfeld, Domreinigung

"Manche schütteln auch schon mal ungläubig den Kopf, wenn sie beobachten, was montags Morgen an Überbleibseln aus den Wochenendmessen so alles in meinen Müllsack wandert."

Die ersten Amtshandlungen des Tages führen Heickenfeld dann auch stets an diesen Altar, um nach dem Rechten zu schauen. Hier wienert sie die Bodenplatten, entfernt die Wachstropfen der brennenden Kerzen, tauscht ein paar Meter weiter im Weihwasserbecken das Wasser des Vortags gegen frisches aus und stellt die Blumen, die die Gläubigen vor dem Gnadenbild ablegen, in Vasen." Dabei empfinde sie immer wieder, erklärt sie, dass es vielen gehe wie ihr: "Die Menschen wollen ihre tiefe Verehrung mit Gaben zum Ausdruck bringen. Früher war das Schmuck, heute ist das ein Strauß Rosen."

Gabriele Heickenfeld teilt sich die vielen Aufgabenbereiche im Dom mit nur einer Kollegin. / © Beatrice Tomasetti (DR)
Gabriele Heickenfeld teilt sich die vielen Aufgabenbereiche im Dom mit nur einer Kollegin. / © Beatrice Tomasetti ( DR )

Eine große Zahl dieser morgendlichen Dombesucher – die meisten zünden eine Kerze an – kennt sie inzwischen: die indischen Ordensfrauen, den pensionierten Gymnasiallehrer, den Abteilungsleiter aus dem Generalvikariat, die Tochter mit ihrer pflegebedürftigen Mutter im Rollstuhl. Schließlich ist sie immer zur selben Zeit mit Wischmop und Putzeimer bei der Schmuckmadonna anzutreffen. "Da nicken wir uns dann auch schon mal zu oder wechseln das eine oder andere Wort. Das gibt mir ein gutes Gefühl – auch weil ich spüre, dass mir diese Leute mit Wertschätzung begegnen und dankbar sind für das, was ich da tue. Manche schütteln auch schon mal ungläubig den Kopf, wenn sie beobachten, was montags Morgen an Überbleibseln aus den Wochenendmessen so alles in meinen Müllsack wandert." Jeden Arbeitstag beginne sie genau an dieser Stelle: nah an der Gottesmutter. "Hier tanke ich Kraft für das, was kommt, und stelle bei besonderen Anliegen auch schon mal selbst ein Licht auf."

Liebe auf den ersten Blick

Nein, enttäuscht worden sei sie diesbezüglich eigentlich noch nie. "Diese Marienfrömmigkeit ist Teil meines Glaubens, ich vertraue auf die Kraft des Gebetes", unterstreicht die gebürtige Oberschlesierin, die seit 1986 in Köln lebt. "Fast alle meine Bitten haben sich bisher erfüllt." Daher sei aus ihrer Begegnung damals vor sechs Jahren mit der Schmuckmadonna im Dom auch so etwas wie Liebe auf den ersten Blick geworden. "Vermutlich weil ich ohnehin schon immer einen Draht zu Maria hatte und in meiner Heimat in einer Gemeinde mit dem Namen ‚Mutter vom guten Rat’ groß geworden bin. So etwas prägt."

Die Verehrung der Schmuckmadonna datiert aus der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts. / © Beatrice Tomasetti (DR)
Die Verehrung der Schmuckmadonna datiert aus der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts. / © Beatrice Tomasetti ( DR )

Im Dreier-Team der Domreinigung kommt die neue Mitarbeiterin schnell an; die Aufgaben im Mittelschiff und die im Nord- bzw. Südquerhaus, im Chor mit Kapellenkranz samt dessen Altären, Beichtstühlen und sonstigem Inventar sowie allen anliegenden Räumen werden gerecht aufgeteilt. "An das rasante Tempo musste ich mich zunächst gewöhnen. Heute ist das längst eingespielt und der Dom sowieso der schönste Arbeitsplatz, den man sich denken kann", schwärmt die Frühaufsteherin, bei der schon um 3.15 Uhr der Wecker klingelt.

Gabriele Heickenfeld, Domreinigung

"Die frühen Morgenstunden in der einzigartigen Atmosphäre dieser Kirche möchte ich nicht mehr missen. Sie hat dann noch so etwas Unverbrauchtes, Pures, bevor der offizielle Betrieb los geht."

"Diese Morgenzeit habe ich mir selbst so ausgesucht, den offiziellen Dienstbeginn sogar freiwillig um eine Stunde vorverlegt, weil ich die Stille am Morgen und das Alleinsein im Dom genieße. Wenn dann die erste Frühmesse beginnt, ist ein Teil der Arbeit bereits erledigt und wir, das Team von der Domreinigung, stören niemanden beim Gottesdienst." Auch die Kehrmaschine mit ihrem surrenden Motor, die noch vom Nachtdienst in Gang gesetzt wird, habe dann bereits ihre Bahnen gezogen und weite Teile des Fußbodens gesäubert. Das feuchte Wischen delikaterer Flächen mit dem Lappen in der Hand könne man schließlich auch geräuschlos erledigen. "Das hat für mich sogar etwas Meditatives", lacht Heickenfeld.

Im gesamten Dom gibt es Staubfänger, weiß Gabriele Heickenfeld. / © Beatrice Tomasetti (DR)
Im gesamten Dom gibt es Staubfänger, weiß Gabriele Heickenfeld. / © Beatrice Tomasetti ( DR )

Während ganz Köln noch schläft, ist sie mit ihrem Reinigungswagen längst unterwegs. "Jeden Tag freue ich mich auf meine Arbeit. Das ist einfach meines", strahlt die Mutter zweier erwachsener Töchter. "Die frühen Morgenstunden in der einzigartigen Atmosphäre dieser Kirche möchte ich nicht mehr missen. Sie hat dann noch so etwas Unverbrauchtes, Pures, bevor der offizielle Betrieb los geht." Klar, viel Arbeit sei das in der Summe schon – der riesige Raum und die sechs Etagen des "Hauses", wie sie die an die Sakristei im Norden angrenzenden Aufenthaltsräume der Dommitarbeiter nennt. Wozu die der Domschweizer – die sogenannte "Schweizer Stube" – und die der Messdiener im zweiten und dritten Stock gehören, außerdem der Proben- und Garderobenraum für die Domchöre im vierten, die Büros der beiden Domorganisten im fünften und der Mitarbeitervertretung im sechsten. Sowie im Erdgeschoss die Sakristei, der Kapitelsaal und schließlich ganz unten auch noch das Kellergeschoss.

Vor jedem Urlaub das Versprechen wiederzukommen

"Da kommt viel zusammen. Das sollte man nicht unterschätzen. Und man muss sich ranhalten, damit zwei Leute, auf die das Team mittlerweile zusammengeschrumpft ist, bis mittags ihr Pensum auch schaffen." Den Plan, in welchem Rhythmus was an der Reihe sei, habe sie im Kopf. Die teils klebrigen Bänke würden jede Woche mit fettlöslichem Pril abgewaschen. "Allerdings in der gebotenen Behutsamkeit, weil das Holz empfindlich ist und scharfe Reinigungsmittel – geschweige denn Scheuern – nicht verträgt." Der Eingangsbereich müsse täglich nass gewischt werden – "hier wird natürlich der meiste Schmutz hereingetragen" – und die Altäre seien in der Regel zweimal pro Woche dran. "Damit alles jederzeit auch auf Hochglanz poliert ist." Schließlich lege sich durch den regen Publikumsverkehr mitunter ein kaum merklicher Film auf die glatten Flächen, Marmorgrabmale oder Steinskulpturen, während sich in der Krypta und Bischofsgruft schon mal richtig dichte Wollmäuse ansammelten. Staubfänger gebe es schließlich im gesamten Dom.

"Heute bringen die Menschen eher Blumen", sagt Reinigungskraft Gabriele Heickenfeld über die Verehrung der Schmuckmadonna. / © Beatrice Tomasetti (DR)
"Heute bringen die Menschen eher Blumen", sagt Reinigungskraft Gabriele Heickenfeld über die Verehrung der Schmuckmadonna. / © Beatrice Tomasetti ( DR )

Selbst in der Pandemie, als weite Teile des Domes geschlossen bleiben mussten, ist die Expertin für Schmutz jeder Art nicht arbeitslos geworden. "Im Gegenteil: Diese Zeit haben meine Kollegin und ich sinnvoll genutzt. Da haben wir uns einmal Arbeiten vorgenommen, für die im Tagesgeschäft sonst kaum Luft ist." Und ja, auch die Schmuckmadonna, an der sonst üblicherweise viele Beter ihre Sorgen lassen und die über viele Monate nicht zugänglich war, sei ihr da nochmals ganz besonders ans Herz gewachsen. Diese Zuneigung geht so weit, dass sich die Reinigungskraft des Domes vor jedem Urlaub eigens von dem Gnadenbild mit einem besonderen Memento verabschiedet. "Ich komme bald wieder", ruft Gabriele Heickenfeld der Gottesmutter an ihrem letzten Arbeitstag vor den Ferien dann zu. Und wer die gewissenhafte Frau in dem weißen Arbeitskittel kennt, weiß: Auf dieses Versprechen ist Verlass.

Schmuckmadonna

Die stets große Zahl brennender Kerzen vor dem Altar der Schmuckmadonna steht für die bis heute ungebrochene Verehrung dieses Gnadenbildes, dem man die Erhörung der hier verrichteten Gebete zuschreibt. Die vielen Schmuckstücke und Votivgaben aus dem 19. und 20. Jahrhundert sind Ausdruck des Dankes von Menschen, die Hilfe in schweren Lebenssituationen erfahren haben. Vermutlich geht die Verehrung der Marienfigur bis ins späte 17. Jahrhundert zurück, dem Zeitpunkt ihrer Entstehung; genauso alt dürfte auch der Brauch sein, ihr kostbare Dank- und Bittvotive zu weihen.

Die Votivgaben, mit denen die Schmuckmadonna behangen ist, stammen aus dem 19. und 20. Jahrhundert. / © Beatrice Tomasetti (DR)
Die Votivgaben, mit denen die Schmuckmadonna behangen ist, stammen aus dem 19. und 20. Jahrhundert. / © Beatrice Tomasetti ( DR )
Quelle:
DR
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