Dogmatiker Tück sieht im Glaubensbekenntnis von Nicäa eine Provokation

"In Jesus Christus begegnet Gott selbst"

Das Große Glaubensbekenntnis geht in seinem Ursprung auf das Konzil von Nicäa zurück. Damals sollte ein Streit um die Göttlichkeit Jesu beigelegt werden. Für den Dogmatiker Jan-Heiner Tück ist das auch heute noch eine Herausforderung.

Autor/in:
Jan Hendrik Stens
Das Glaubensbekenntnis in lateinischer Sprache / © Kent Johansson (shutterstock)
Das Glaubensbekenntnis in lateinischer Sprache / © Kent Johansson ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: In diesem Jahr feiern wir 1700 Jahre Erstes Konzil von Nicäa. Wo merken wir heute noch die Nachwirkung von Nicäa in unserem Glaubensalltag? 

Prof. Dr. Jan-Heiner Tück (privat)
Prof. Dr. Jan-Heiner Tück / ( privat )

Prof. Dr. Jan-Heiner Tück (Arbeitsbereich Dogmatik und Dogmengeschichte an der Universität Wien): Im Glaubensalltag ist das nicäno-konstantinopolitanische Bekenntnis als Großes Glaubensbekenntnis nach wie vor bekannt, auch wenn es nur an den großen Festtagen, also Weihnachten, Ostern und Pfingsten, gebetet wird. Meistens wird in den Pfarrgemeinden das Apostolische Glaubensbekenntnis gesprochen.

Das nicäno-konstantinopolitanische Bekenntnis ist aber auch ökumenisch bedeutsam, weil es das einzige Glaubensbekenntnis ist, das von orthodoxen, reformatorischen und katholischen Christinnen und Christen geteilt wird. Und nicht zu vergessen: Es hat auch eine ästhetische Resonanz gefunden, weil es in den großen Messvertonungen von Bach über Beethoven bis zu Olivier Messiaen und Arvo Pärt immer wieder auch kirchenmusikalisch zu Gehör gebracht wird. 

DOMRADIO.DE: Ist also das Apostolische Glaubensbekenntnis, welches wir Katholiken eher aus dem liturgischen Gebrauch kennen, in den anderen Konfessionen weniger verbreitet? 

Tück: Die Reformationskirchen kennen es auch, denn das Apostolische Glaubensbekenntnis ist eine Tradition der lateinischen Westkirche. Der Ursprung findet sich in einem stadtrömischen Taufbekenntnis, das in einer Frage-Antwort-Form im liturgischen Taufritus seinen Ort hatte. Im 5. Jahrhundert ist es in Gallien und Spanien aufgekommen und wurde zwischen dem 9. und 11. Jahrhundert in die Taufliturgie aufgenommen.

Jan-Heiner Tück

"Es gibt hier eine Differenz in der liturgischen Praxis."

Mit dem 13. Jahrhundert lässt sich das Apostolische Glaubensbekenntnis als fester Bekenntnistext in der Kirche des Westens nachweisen. Aber die Kirchen des Ostens sind bei dem nicäno-konstantinopolitanischen Bekenntnis geblieben. Es gibt hier eine Differenz in der liturgischen Praxis. 

DOMRADIO.DE: Sie geben im Mai zusammen mit Ihrer evangelischen Kollegin Uta Heil im Herder Verlag einen Band über das erste Konzil von Nicäa heraus. In einem eigenen Beitrag bezeichnen Sie das nicäno-konstantinopolitanische Glaubensbekenntnis als eine Provokation. Was ist an diesem Text so provokant? 

Tück: Das nicänische Bekenntnis nimmt Bezug auf eine Kontroverse. Es gab damals Arius, einen sprachmächtigen Theologen, der die These vertreten hat, dass der Sohn dem Vater untergeordnet ist. Man nennt diese Position Subordinatianismus. Also Vater und Sohn sind nicht gleich, sondern der Sohn ist dem Vater untergeordnet. Hier sah schon der Heimatbischof von Arius, Alexander von Alexandrien, ein Problem und hat, nachdem er sich nicht mit dem streitbaren Arius einigen konnte, schon vor der Synode von Nicäa eine Exkommunikation ausgesprochen.

Erstes Konzil von Nicäa im Jahr 325 (KNA)
Erstes Konzil von Nicäa im Jahr 325 / ( KNA )

Arius hatte allerdings einige Bischöfe, die ihn unterstützt haben, sodass sich die Kontroverse ausgeweitet und zugespitzt hat. Am Ende hat Kaiser Konstantin, also ein ungetaufter Laie, im Jahr 325 eine Synode in die kaiserliche Sommerresidenz nach Nicäa einberufen, um die arianische Kontroverse, aber auch das melitianische Schisma, den Osterfeststreit und einige andere Fragen einvernehmlich zu klären. 

DOMRADIO.DE: Aber wäre es denn nicht natürlich, dass der Sohn dem Vater untergeordnet ist? Jesus kommt ja erst Weihnachten zur Welt. 

Tück: Hier muss man natürlich zwei Ebenen unterscheiden: die ewige Geburt aus dem Vater und die zeitliche aus Maria. Im arianischen Streit ging es um die Frage nach dem Verhältnis zwischen Vater und Sohn in Gott. Sind Vater, Sohn (und Heiliger Geist) ontologisch, also in ihrem Sein, auf derselben Ebene anzusiedeln – oder nicht? Ist Gott ein Gott in Beziehung oder ist er von Ewigkeit her eine beziehungslose Monade?

Jan-Heiner Tück

"Nicäa ruft in Erinnerung, dass der Sohn, der in Jesus Christus Mensch wird, von Ewigkeit her bei Gott war oder ist."

Der Begriff der Homoousie, der Gleichwesentlichkeit, trägt in den Gottesbegriff eine symmetrische Beziehung ein. Das ist die Antwort des Konzils auf den Subordinatianismus des Arius: Vater und Sohn sind gleichwesentlich. Darin steckt natürlich, wenn man es auf heutige Debatten bezieht, eine Provokation. Nicäa ruft in Erinnerung, dass der Sohn, der in Jesus Christus Mensch wird, von Ewigkeit her bei Gott war oder ist, müsste man eigentlich sagen.

Insofern spricht man unzulänglich von Jesus Christus, wenn man ihn als sittliches Vorbild, als Lehrer der Humanität, als wunderbaren Gleichniserzähler, als galiläischen Wanderrabbi kennzeichnet, was er natürlich auch war. Aber Nicäa hält wach, dass uns in Jesus Christus das Geheimnis Gottes selbst begegnet und nicht nur ein Mittler, ein Prophet oder ein bevorzugtes Geschöpf. 

DOMRADIO.DE: Ist die biblische Reminiszenz dazu der Beginn des Johannesevangeliums, also der Prolog mit "Im Anfang war das Wort"?

Tück: Selbstverständlich spielt die Logostheologie des Johannes-Evangeliums eine große Rolle. Es ging letztlich um die Frage, wie das Evangelium in den hellenistisch geprägten Kulturraum übersetzt werden kann. Der Johannesprolog nimmt den prominenten Begriff "Logos" (deutsch: Wort, Sinn, Urgrund) auf und bezieht ihn auf Jesus Christus.

Es lehrt die Präexistenz des Logos, also dass der Logos von Ewigkeit her beim Vater ist. Dieser Logos wird Fleisch, wie das Johannesevangelium sagt, sodass hier eine hohe Christologie entfaltet wird: Präexistenz und Inkarnation sind die Grundlage für das, was dann im Zusammenhang von Leben, Tod und Auferstehung narrativ entfaltet wird. 

DOMRADIO.DE: Das Bild vom Wanderrabbi und Gleichniserzähler ist aber auch heute noch populär und in der Katechese immer noch sehr vorherrschend. Lebt der Arianismus so in moderner Form weiter? 

Tück: Das wäre mir jetzt zu unpräzise, weil Arius streng genommen gar kein Arianer war. Arius war ein spekulativer Kopf, dem es um kosmologische Fragen ging und der den Sohn als Schöpfungsmittler eingestuft hat. Daher hat er durchaus eine abgeschwächte Form der Präexistenz des Sohnes vertreten.

Er hat gesagt, dass der Sohn zwar dem Vater untergeordnet, aber aller Schöpfung vorgeordnet ist. Alles, was ist, ist aus dem Sohn als dem Schöpfungsmittler und Demiurgen hervorgegangen.

DOMRADIO.DE: Jesus also als erster Mensch noch vor Adam?

Tück: Das könnte man meinen. Aber nein, es geht Arius weniger um den Menschen Jesus als vielmehr um den Sohn, den er, wie bereits gesagt, als Geschöpf vor aller Schöpfung bezeichnet. Der Name Jesus bezeichnet ja den Menschen und Juden Jesus, der um die Zeitenwende von Maria geboren wird, in Galiläa gewirkt hat und in Jerusalem gekreuzigt wurde.

Von ihm berichten die neutestamentlichen Erscheinungsberichte, dass er auferstanden ist. Arius hat zwar auf das Leiden Jesu verwiesen, um die Gottheit des Sohnes zu bestreiten, aber es war nicht seine Absicht, Jesus nur als Menschen zu beschreiben. Das wird heute in einer popularisierenden Begriffsverwendung von Arianismus oft unterstellt.

Wenn man Arianismus so in einem weiteren Sinn versteht, dass damit eine Reduktion Jesu Christi auf die menschliche Wirklichkeit gemeint ist, dann kann man natürlich sagen, dass es heutige Spielarten eines Arianismus gibt, die Jesus als menschlichen Menschen würdigen, aber das Bekenntnis zu seiner Gottheit relativieren oder mit antidogmatischem Affekt ganz bestreiten. Das ist eine bleibende Herausforderung für die Theologie.

Man muss allerdings umgekehrt auch sagen, dass Jesus ganz Mensch gewesen ist wie wir. Das Konzil von Chalcedon 451 wird ja den Begriff der Homoousie ebenfalls aufnehmen und lehren, dass Jesus Christus auch "mit uns wesensgleich" ist.

Daher ist es absolut richtig zu sagen, dass er ein sittliches Vorbild, ein Lehrer der Humanität und ein Gleichniserzähler ist. Aber diese Bestimmungen sind so lange unzureichend, als nicht dazugesagt wird, dass in der Person und Geschichte Jesu Christi zugleich Gottes Geheimnis selbst begegnet und nicht nur irgendetwas von ihm. 

Kölner Dom, Klarenaltar, Gnadenstuhl, Rückseite: Darstellung der Dreifaltigkeit / © Dombauhütte / Foto: Matz und Schenk (Kölner Dom)
Kölner Dom, Klarenaltar, Gnadenstuhl, Rückseite: Darstellung der Dreifaltigkeit / © Dombauhütte / Foto: Matz und Schenk ( Kölner Dom )

DOMRADIO.DE: In der Westkirche hat sich das Große Glaubensbekenntnis noch weiter entwickelt, nämlich durch einen Zusatz, dass der Heilige Geist vom Vater und vom Sohn ausgeht, das sogenannte "filioque". Es sorgte dann aber auch für Streit mit der Ostkirche. Warum? 

Tück: Das Konzil von Konstantinopel 381 ergänzt das nicänische Credo dadurch, dass es Aussagen über den Heiligen Geist trifft: "Wir glauben an den Heiligen Geist, der Herr ist und lebendig macht, der mit dem Vater und dem Sohne zugleich angebetet und verherrlicht wird" - Hier werden zunächst biblische und doxologische Aussagen gemacht. Der Begriff der Homoousie aber wird vermieden, den ja das Konzil von Nizäa verwendet hatte, um die gleiche Stellung von Vater und Sohn anzudeuten.

Da dieser Begriff aber nach 325 für weitere Kontroversen gesorgt hatte, hat man ihn vermieden und eine "Homo-timie" – also eine gleiche Anbetungswürdigkeit - gelehrt. Dadurch wurde die Göttlichkeit des Heiligen Geistes gegenüber den Pneumatomachen betont, welche die Göttlichkeit des Geistes bestritten haben. In der lateinischen Westkirche ist es dann dazu gekommen, dass man das "filioque" eingefügt hat, um auszusagen, dass der Geist aus dem Vater "und dem Sohne" hervorgeht. Das hat dann zu Streitereien zwischen Ost und West geführt.

DOMRADIO.DE: Was steht im Hintergrund dieser Streitereien?

Das "filioque" ist ein komplexes Problem, das mehrere Ebenen berührt. Vor allem hat die Ostkirche zu Recht gesagt, dass das eine eigenmächtige, nicht durch ein Konzil bestätigte Erweiterung des nicäno-konstantinopolitanischen Bekenntnisses durch einen Papst gewesen ist. Diese Erweiterung durch Benedikt VIII. lehnt sie schon aus kanonischen, also aus rechtlichen Gründen ab.

Jan-Heiner Tück

"Das könnte den Glauben an den einen Gott sprengen, also den biblischen Monotheismus gefährden."

Zweitens sehen die Kirchen des Ostens ein dogmatisches Problem, wenn der Sohn genauso wie der Vater Ursprung des Heiligen Geistes ist. Dann haben wir, so scheint es, zwei Ursprünge in Gott. Das könnte den Glauben an den einen Gott sprengen, also den biblischen Monotheismus gefährden. Drittens haben wir auch ein liturgisches Problem, weil die lateinische Westkirche nicht mehr absolut dasselbe betet wie die Christen des Ostens. 

DOMRADIO.DE: In der Liturgie ist das Nicäno-Konstantinopolitanum eher in lateinischer Sprache durch die zahlreichen Messvertonungen bekannt. Auf Deutsch wird bei uns häufiger das Apostolische Glaubensbekenntnis gebetet, vermutlich auch, weil es kürzer ist. Sollten wir 1700 Jahre nach Nicäa da die Praxis ein wenig ändern? 

Tück: Das halte ich jetzt im 1700-Jahr-Jubiläum auch aufgrund der ökumenischen Bedeutung für sinnvoll. Das Konzil von Nicäa hat ja darüber hinaus auch um einen gemeinsamen Ostertermin gerungen. Papst Franziskus hat das als ökumenischen Vorstoß jetzt wieder auf die Tagesordnung gebracht, dass man sich hier doch bitteschön einigen und die liturgischen Kalender von Ost und West harmonisieren möge.

Ich fände es also nicht schlecht, wenn wir das Große Glaubensbekenntnis in der katholischen Memorialkultur wieder etwas nach vorne schieben würden, weil es auch die Verbundenheit mit den anderen nicht-katholischen Kirchen unterstreicht. Wir sind ja in diesem Jahr in der glücklichen Lage, einen gemeinsamen Ostertermin zu haben.

Das Interview führte Jan Hendrik Stens.

Buchtipp: Uta Heil und Jan-Heiner Tück (Herausgeber), Nizäa – Das erste Konzil, gebundene Ausgabe, 464 Seiten, erscheint am 12. Mai 2025 im Herder-Verlag und kostet 40,50 Euro.

Osterdatum

Für Christen ist Ostern das wichtigste Fest - doch sie feiern es nicht alle am selben Datum. Um den Termin in Abhängigkeit von Frühlingsbeginn und Mondzyklus zu ermitteln, benutzen die Kirchen des Ostens und Westens verschiedene Methoden. Seit dem Konzil von Nizäa (325) galt die Faustregel: Ostern ist am Sonntag nach dem ersten Frühlingsvollmond. Der Teufel steckt aber im Detail, nämlich in der Berechnung der Tagundnachtgleiche.

Korb mit Ostereiern / © Matthias Schumann (epd)
Korb mit Ostereiern / © Matthias Schumann ( epd )
Quelle:
DR

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