Wenn das Bistum Essen feiert, wenn Gläubige in die Münsterkirche strömen oder wenn es um die Identität der jungen, erst 1958 gegründeten Diözese geht, steht eine Gestalt im Mittelpunkt: die Goldene Madonna. Sie ist nicht nur das älteste Marienbildnis ihrer Art, sondern längst zum Symbol für das ganze Ruhrbistum geworden. Unter ihrem Schutz versteht sich die Kirche an Ruhr und Emscher – und zwar unter einem besonderen Titel: Maria als "Mutter vom guten Rat".
Papst Johannes XXIII. (1958-1963) ernannte "die selige Jungfrau Maria unter dem Titel Mutter vom guten Rat, die im Volksmund Goldene Madonna genannt wird", zur Patronin der neu gegründeten Diözese.
Weisheit im Gewand der Mutter
Die Vorstellung, Maria sei die "Mutter vom guten Rat", ist keine Erfindung der Neuzeit. Sie wurzelt tief im Mittelalter. Schon früh verehrten Christen Maria als "Sedes Sapientiae", den Sitz der Weisheit. In ihr, so die Überzeugung der Theologen, nahm Christus, die personifizierte Weisheit Gottes, Fleisch an. Wer also den Weg zur Weisheit suchte, fand ihn in der Begegnung mit der Muttergottes, die untrennbar mit ihrem Sohn verbunden ist. Dies wird durch die Skulptur der Romanischen Madonna im Erfurter Dom besonders eindrücklich dargestellt.
"Zu ihrer mütterlichen Güte wie zu ihrer jungfräulichen Reinheit und Schönheit kommen die Menschen aller Zeiten und aller Erdteile in ihren Nöten und ihren Hoffnungen, in ihren Freuden und Leiden, in ihren Einsamkeiten wie in der Gemeinschaft", formulierte es Papst Benedikt XVI. in seiner ersten Enzyklika "Deus caritas est". Damit wird deutlich, dass die Ratgeberin-Rolle Mariens als mütterliche Fürsprecherin für die Menschen in Freude und Leid eine nicht unbedeutende ist.
Im 15. Jahrhundert bekam diese Glaubenshaltung ein konkretes Gesicht. In Genazzano nahe Rom verehrten die Menschen ein Gnadenbild, das Maria als "Mater Boni Consilii", als Mutter des guten Rates, zeigte. Von dort verbreitete sich die Anrufung in ganz Europa, bis sie schließlich von Papst Leo XIII. (1878-1903) in die Lauretanische Litanei aufgenommen wurde.
Gefördert wurde die Verehrung vor allem durch die Augustiner-Eremiten. Sie betreuen die Wallfahrt in Genazzano seit dem Mittelalter bis auf den heutigen Tag. Zwei Tage nach seiner Wahl besuchte Papst Leo XIV. im Mai dieses Jahres den Ort und seine Mitbrüder.
Kunstwerk und Glaubenszeugnis
Auch in der Kunst fand dieser Gedanke Ausdruck. Ikonografisch zeigt sich das Bild vom "guten Rat" besonders in Darstellungen, in denen Maria das Kind auf dem Schoß hält. Sie trägt Christus, die Weisheit Gottes, und reicht ihn der Welt dar. Gerade darin liegt die tiefe Botschaft: Maria gibt nicht sich selbst, sondern den, der der Weg, die Wahrheit und das Leben ist.
Ein besonders eindrucksvolles Beispiel dafür steht seit über tausend Jahren in Essen: die Goldene Madonna. Um das Jahr 980 im ottonischen Frauenstift entstanden, ist sie die älteste vollplastische Marienfigur der Welt. Ihr goldenes Gewand, die strenge, fast byzantinische Haltung, und zugleich der zärtliche Blick auf das Kind machen sie zu einem Meisterwerk sakraler Kunst.
In der linken Hand trägt Maria das Jesuskind, in der rechten eine Weltkugel – ein starkes Symbol: Maria hält die Welt dem Kind hin und übergibt sie Christus, der sie lenken soll. Maria schenkt Christus nicht nur uns, sie schenkt auch die Welt Christus – und Christus der Welt, so könnte man die zentrale Botschaft der Figur zum Ausdruck bringen.
Patronin einer Arbeiterdiözese
Als 1958 das Bistum Essen gegründet wurde, stand die neue Diözese vor einer doppelten Aufgabe: Sie musste sich im Revier mit seiner starken Industriegeschichte, den Zechen und Stahlwerken als Kirche profilieren und zugleich eine gemeinsame Identität für Katholiken aus vielen Regionen stiften. Bewusst stellte sich das Ruhrbistum deshalb unter den Schutz der Goldenen Madonna.
Die Anrufung "Mutter vom guten Rat" hat für das Bistum Essen bis heute eine besondere Relevanz. Die Region ist geprägt von Strukturwandel, wirtschaftlichen Herausforderungen und sozialem Ringen. Viele Menschen erleben Brüche in Biografien, Orientierungslosigkeit oder Zukunftsangst.
Die Goldene Madonna steht mitten in diesem Kontext als Symbol: Wer vor ihr betet, darf spüren, dass Orientierung nicht in schnellen Antworten liegt, sondern in der Hinwendung zu Christus und im Vertrauen darauf, dass Gott Wege eröffnet, wo der Mensch keine mehr sieht.
Bischof Franz-Josef Overbeck bringt dies auf den Punkt, wenn er von Maria als "Tür zur Barmherzigkeit" spricht. Rat finden heißt also nicht allein, klüger zu werden, sondern auch barmherziger. Die Goldene Madonna lädt ein, Glauben zu leben, indem man anderen beisteht, gerade in den Nöten des Alltags.