Mit ihren knapp 97 Jahren hat Gertrud Brüggen bislang keine Oktav verpasst. Als Kind konnte sie noch erleben, dass die Kirche dann immer brechend voll war und die Oktav sogar neun Wochen lang gefeiert wurde. "Jeden Sonntag war ich mit dabei. Das waren noch Zeiten!", erinnert sie sich. Hierher zu kommen bedeute ihr bis heute viel. "Danach fühle ich mich immer gestärkt." 1928 geboren, hat die Seniorin noch die Bilder präsent, als die Menschen aus allen umliegenden Ortschaften – und das oft bei sengender Hitze, wie sie berichtet – kilometerweit zu Fuß nach St. Lambertus pilgerten, wo in der Kapelle mit der "Mutter vom guten Rat" die Gottesmutter verehrt wird.
"Wenn möglich, bin ich auch im nächsten Jahr wieder mit dabei", versichert Brüggen lachend mit einem Seitenblick auf ihre Banknachbarin Anneliese Schlösser, die 28 Jahre lang die Vorsitzende der kfd am Ort war. Auch sie beteuert: "Die Verehrung dieses Gnadenbildes lag mir immer sehr am Herzen. Das ist bis heute so geblieben. An Maria haben mein Mann und ich uns immer festgehalten und auch erfahren, dass sie uns geholfen hat", beschreibt sie ihre Beziehung zur Mutter vom Guten Rat. Bis zu seinem Tod vor wenigen Monaten sei er lange sehr lange krank gewesen. "Nun dieses typische Genazzano-Lied von der Gottesmutter zu hören berührt mich sehr und weckt viele Erinnerungen", sagt die 69-Jährige, während ihr Tränen über die Wangen laufen.
Gertrud und Heinz Schauff, schon weit in den 80zigern und wegen des benachbarten Bergbaus vor 65 Jahren von Garsdorf nach Bedburg zwangsumgesiedelt, lässt diese besondere Andacht der Marienverehrung ebenfalls nicht unberührt. Auch für sie ist die Oktav wichtiger Bestandteil ihres Glaubenslebens, aber auch Teil ihrer gemeinsamen Biografie. Gertrud Schauff, die in wenigen Tagen 88 wird, kann noch davon berichten, dass schon ihre Eltern und Großeltern die Tradition der Gute-Rats-Oktav gepflegt haben, daher auch sie ganz selbstverständlich in diese Marienverehrung hineingewachsen ist und mit ihrem Mann jedes Jahr daran teilnimmt. "Diese Kapelle ist für mich eine ganz selbstverständliche Anlaufstelle", erklärt sie. "Wenn ich Sorgen habe, gehe ich immer zur Gottesmutter. Hier weiß ich mich mit allem gut aufgehoben."
"Für die Bedburger ist die Mutter vom Guten Rat ein Heiligtum", stellt Küsterin Maria Reichert fest. Da die Kapelle tagsüber – anders als die Kirche – immer geöffnet sei, beobachte sie zu allen Tageszeiten Besucherverkehr. Dann kämen die Leute von überall her, um ein kurzes Gebet zu sprechen oder eine Opferkerze anzuzünden. "Für mich und viele ältere Menschen in unserer Gemeinde ist die Oktav die wichtigste Woche im Jahr – gleich nach Ostern", erklärt sie. Sie sei dankbar, dass Pfarrer Johannes Wolter die von seinem Vor-Vorgänger Pfarrer Werner Skorjanz neu belebte Tradition weiterführe und versuche, sie auch für die nachkommenden Generationen attraktiv zu gestalten.
So würden die Kindergartenkinder aus der benachbarten Kita St. Lambertus dem Gnadenbild einen Besuch abstatten oder die Messdiener in Eigenverantwortung eine Gebetsstunde übernehmen, während für geschwächte und kranke Menschen ein Gottesdienst mit Krankensalbung auf dem Programm stehe und am Mittwoch für den gesamten Sendungsraum Bedburg-Elsdorf eine Sternwallfahrt der Frauengemeinschaften mit Messe und sakramentalem Segen. Für die meisten der Höhepunkt. Die Muttergottes sei eben wie eine Klammer. "Durch sie erlebt die Gemeinde ein starkes Miteinander."
Auch Reichert zeigt sich sichtlich berührt, als die Kirchenchöre aus Kirchherten und Kierdorf die eigens in einem Heft zusammengestellten Marienlieder zu diesem Festtag anstimmen. "Das Genazzano-Lied erzählt die gesamte Historie dieses Gnadenbildes, viele kennen es seit Jahrzehnten und können alle sieben Strophen auswendig", so die 63-Jährige. "Für viele ist das ein sehr emotionales Thema. Spurlos vorbei geht das an niemandem, weil so mancher seine Geschichte mit der Mutter vom Guten Rat hat." Es müsse unbedingt alles dafür getan werden, damit diese Tradition erhalten bleibe.
Das ist auch der Wunsch von Pfarrer Wolter, der nach Formen sucht, das, was diesen besonderen Ort ausmacht, auch für junge Menschen zu übersetzen. Seit Jahrhunderten erfährt die Gottesmutter unter dem Ehrentitel "Mutter vom Guten Rat" in St. Lambertus eine große Verehrung, und er hofft, dass das auch in der Zukunft Fortbestand hat und die Oktav im Bewusstsein der Gläubigen am Ort gehalten werden kann.
Diese Verehrung gehe zurück auf die Augustinermönche, die 1284 nach Bedburg gekommen seien und hier ein Kloster gegründet hätten, erläutert er. Die im Jahre 1648 erbaute Klosterkirche, später auch Pfarrkirche, hütete als kostbares Heiligtum ein Gnadenbild der Mutter vom Guten Rat, eine Nachbildung des Gnadenbildes von Genazzano bei Rom. Nach dem Neubau der Pfarrkirche 1891-94 wurde es dorthin übertragen und fand Aufstellung in der zum Kirchplatz hin gelegenen Turmkapelle. Als Unterbau wurde ein Altar aus Sandstein geschaffen, worauf das Bild mit einem reich geschnitzten neugotischen Rahmen seinen Platz erhielt. Zu jeder Tageszeit brennende Kerzen bezeugen die gläubige Verehrung der Bedburger, die bislang ungebrochen in vielerlei Nöten und Anliegen den Rat der Mutter Maria suchen.
Nach Auflösung des Klosters wurde 1795 Winand Ignatz Leiten, einer der letzten Mönche des Klosters, Pfarrer von St. Lambertus. Im Jahre 1800 gab er der hiesigen Marienverehrung eine feste Form: Die Gute-Rats-Sonntage. Einer seiner Nachfolger, Pfarrer Ludwig Busch, gab im Jahre 1840 sogar ein Gebetbuch für die Bedburger Pfarrei mit den besonderen Andachtsübungen zur Mutter vom guten Rat heraus, das in den folgenden Jahren mehrere Auflagen erlebte. Die letzte Auflage erschien in den 50er Jahren.
In seiner Predigt greift Kardinal Woelki das Naheliegende auf, was zugleich die Popularität und auch Aktualität dieser Gute-Rats-Kapelle ausmachen mag. "Guter Rat ist teuer, und wer könnte sagen, er hätte noch nie eines guten Rates bedurft", spricht der Kölner Erzbischof vielen Anwesenden aus der Seele.
Menschen suchten Rat bei vielerlei Einrichtungen wie Finanz-, Anlage- und Steuerberatung, bei Unternehmens-, Schuldner und Urlaubsberatungen oder vor allem auch da, wo es um persönliche Lebensfragen gehe; das seien Anlaufstellen, die inzwischen überbeansprucht würden und aufgrund der großen Nachfrage über zu wenig Personal klagten.
Selbst viele Zeitungen verfügten inzwischen über Ratgeberspalten, die Anregungen geben wollten, bei bestimmten Themen zu einer eigenen Meinung zu finden, oder Unterstützung bei anstehenden Entscheidungen lieferten. Bei all dem gehe es immer – angesichts der Komplexität des Lebens – um eine Ermutigung in der je individuellen Situation und auf dem jeweiligen Lebensweg des Ratsuchenden. "Und so rufen wir auch die ‚Mutter vom Guten Rat’ an", erklärt Woelki, wobei er dem Aspekt des Mütterlichen bei Maria eine besondere Bedeutung beimisst. Nicht selten, so fährt er nämlich fort, dächten Menschen bei wichtigen Entscheidungen an ihre eigene Mutter; daran, ob sie mit dem, was sie tun oder entscheiden, vor ihr bestehen könnten.
Nicht von ungefähr komme es daher, dass wir "Maria zutrauen, dass sie uns einen guten Rat gibt". Den besten Rat aber gebe sie, bezieht er sich auf das für den Tag gewählte Evangelium von der Hochzeit zu Kana, indem sie sage: Was er euch sagt, das tut! Hört auf Gottes Wort! Damit sei eigentlich alles gesagt, was in Krisen und Zeiten der eigenen Verwirrung weiterhelfe. "Die Lösung hat einen Namen: Jesus Christus. Auf diesen Weg weist uns Maria."
Wie anders könnte die Welt im Großen und Kleinen aussehen, wenn sich alle daran hielten, skizziert Woelki eine Vision. Dann wäre nicht Krieg das Mittel zur Lösung, sondern Frieden, es gelte nicht das Recht des Stärkeren und es gäbe auch mehr Bemühen um Teilhabe für die Armen und Schwachen in einer Gesellschaft. "Der Mensch würde wieder in seiner Würde gesehen werden", unterstreicht der Kardinal wörtlich.
Bei jedem guten Rat gehe es auch darum zu erkennen, was dem Willen Gottes entspreche. Eine gute Mutter wisse immer, wie sie sich mit Intuition, Liebe und Hingabe in ihre Kinder hineindenke. "Um wie viel mehr trifft das auf unsere himmlische Mutter zu!" Abschließend ruft der Kölner Erzbischof den Gläubigen zu: "Setzen wir unseren Glauben und unsere Vernunft mit Tatkraft ein, damit wir verwirklichen können, was ER uns sagt!"
Nach dem Gottesdienst zieht der Gast aus Köln in die Gute-Rats-Kapelle, um dort das Gebet "Alles möchte’ ich dir erzählen…" vor dem Gnadenbild aus Genazzano zu beten: "Alle Sorgen, die mich quälen, alle Zweifel, alle Fragen, möchte ich, Mutter, zu dir tragen (…) Jedes Lassen, jede Tat, Mutter, dir, vom Guten Rat, leg’ ich alles in die Hände, du führst es zum rechten Ende."