Wie Bayern Corona-Tote entsorgen lässt

"Die Leiche ist unverzüglich einzusargen"

Anders als zu Beginn der Pandemie müssen Covid-19-Patienten heute nicht mehr in totaler Isolation sterben. Wie sich Angehörige von ihnen verabschieden können, regelt aber jedes Bundesland für sich. Das wirft Fragen auf.

Autor/in:
Christoph Renzikowski
Eine Rose auf einem Sarg / © Joaquin Corchero (dpa)
Eine Rose auf einem Sarg / © Joaquin Corchero ( dpa )

Fast ein ganzes Leben hat die Frau mit ihrem Mann verbracht. Und ihn in den Tod begleitet. Als er an Covid-19 starb, kam der Bestatter und legte ihn nackt in formalingetränkte Tücher in einem Leichensack in den Sarg. So sah sie ihn auf seine letzte Reise gehen, irgendwo in Bayern. Darüber hinwegzukommen, fällt der Witwe schwer.

Der Regensburger Diakon Rupert Scheule spricht von einer "hochgradig absurden Situation: Solange ein Corona-Patient lebt, dürfen ihm die Angehörigen nahe sein. Sobald er seinen letzten Atemzug getan hat, nicht mehr. "Als wäre sein Körper nach der Still-Legung des Hauptübertragungsweges ansteckender als vorher", wundert sich der Theologe, der an der Universität Regensburg den Studiengang "Perimortale Wissenschaften" mit ins Leben gerufen hat.

Bestattungen zu regeln ist Ländersache

Bestattungen zu regeln ist Ländersache. In der bayerischen Verordnung heißt es: Bei verstorbenen Covid-Patienten handle es sich um "infektiöse Leichen". Für sie gelten dieselben Vorschriften wie bei offener Tuberkulose, Cholera, Typhus und HIV: "Die Leiche ist unverzüglich in ein mit einem geeigneten Desinfektionsmittel getränktes Tuch oder auf andere ebenso geeignete Weise einzuhüllen und einzusargen." Und: "Der Sarg ist deutlich mit dem Vermerk 'infektiös' zu kennzeichnen und darf nicht mehr geöffnet werden." Waschen und Einkleiden sowie Abschied am offenen Sarg sind damit grundsätzlich untersagt, erläutert eine Sprecherin des Gesundheitsministeriums.

David Roth, Bestatter im nordrhein-westfälischen Bergisch Gladbach, hält diese Vorgaben für "gruselig", für "angstgetrieben und äußerst unempathisch". Natürlich: Auch ein Corona-Infizierter könne noch Tage nach seinem Tod ansteckend sein. So sei beim Umlagern Vorsicht geboten, wenn weiter Luft aus ihm entweiche. Seine Mitarbeiter arbeiten deshalb mit Overalls, Fußabdeckungen, Handschuhen, Mund-Nase-Schutz und einem zusätzlichen Visier. So geschützt, könnten sogar Angehörige am Waschen und Ankleiden des Verstorbenen beteiligt werden. Im Einvernehmen mit den Behörden seines Bundeslandes.

Offen aufgebahrt

In Roths Bestattungshaus werden an Covid-19 Verstorbene offen aufgebahrt. "Die Angehörigen können kommen, so lange und so oft sie möchten." Sein Unternehmen ist dafür bekannt, dass es sich den Bedürfnissen Trauernder besonders verpflichtet fühlt. "Wer an Corona stirbt, muss nicht wie Sondermüll behandelt werden", lautet sein Credo.

In einer Publikation sparte er im Januar nicht mit Kritik an der eigenen Branche. Die Hygienestandards "verbieten es nicht, dass die Toten mit Würde behandelt, gewaschen und angezogen werden", heißt es darin. "Es ist auch möglich, den Toten noch einmal liebevoll an der Hand zu berühren, ohne dass man sich gefährdet." Die Pandemie dürfe keine Ausrede dafür sein, "den Aufwand für die Einäscherung und Bestattung eines Verstorbenen so gering wie möglich zu halten".

Die Münchner Bestatterin Nicole Rinder sagt, sie habe schon im Februar Bayerns Gesundheitsministerium angeschrieben, "dass wir die Verstorbenen bitte nicht mehr als ansteckend behandeln möchten". Ohne Erfolg. Um einen Abschied am offenen Sarg zu ermöglichen, müsste sie bei der Stadtverwaltung für jeden einzelnen Angehörigen eine Sondergenehmigung beantragen. Das sei nicht machbar. Vom Ministerium wiederum heißt es, die Bestatter hätten "aus Gründen des Arbeitsschutzes häufig Bedenken, einen SARS-CoV-2-infizierten Verstorbenen zu behandeln".

Jedes Bundesland mit eigenen Regeln

Dass für den Umgang mit Corona-Toten jedes Land andere Regeln aufstellt, statt es bei den Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts zu belassen, ergibt für Rinder "überhaupt gar keinen Sinn".

Der stellvertretende Leiter der Covid-19-Seelsorgeeinsatzgruppe des Erzbistums München und Freising, Andreas Müller-Cyran, sagt, Pflegeheime und Krankenhäuser ließen es oft nicht zu, dass Angehörige Sterbende in ihren letzten Stunden begleiteten. "Umso wichtiger wäre es, dass sie wenigstens in Ruhe und mit Zeit und Würde beim Verstorbenen bleiben können." Dass diese Möglichkeit den Hinterbliebenen rigide entzogen werde, sei nicht nachvollziehbar.

Dabei kann ein verwehrter Abschied die Hinterbliebenen krank machen.

Immer mehr bilden eine anhaltende Trauerstörung aus. Das bekommen Psychotherapeuten und Seelsorger wie Scheule und Müller-Cyran zu spüren.


Quelle:
KNA