In "Die Ewigkeit ist ein guter Ort" geht es um Sinnsuche

"Die Sehnsucht nach dem, was größer ist als der Mensch"

In ihrem Debütroman "Die Ewigkeit ist ein guter Ort" schreibt die Autorin Tamar Noort über Kirche, Freiräume, Sinnsuche und die Corona-Zeit. Im Interview spricht sie auch über den Wert von kleinen Absurditäten des Alltags.

Eine Frau mit einem Kreuz / © MiniStocker (shutterstock)
Eine Frau mit einem Kreuz / © MiniStocker ( shutterstock )

KNA: Wie ist die Idee zu diesem Buch entstanden?

Autorin Tamar Noort / © Ali Ghandtschi (Rowohlt)
Autorin Tamar Noort / © Ali Ghandtschi ( Rowohlt )

Tamar Noort (Autorin): Das war ein längerer Prozess. Es gab vor vielen Jahren eine kleine Zeitungsnotiz über eine Pastorin aus der Schweiz, die sehr offen kommuniziert hat, dass sie ihren Glauben verloren hat. Sie war in ihrer Gemeinde glücklich, hatte also offenbar einen Weg gefunden, damit umzugehen. Das hat mich sehr interessiert. Man könnte denken, der Glaube ist die Lebensgrundlage für diesen Beruf und es müsste dann so sein, als würde ein Maler und Lackierer plötzlich eine Allergie gegen Farben entwickeln. Diese existenzielle Frage hat mich beschäftigt, und so hat sich um diesen Kern eine Geschichte entwickelt.

KNA: Sie schreiben über Glaube und Kirche in einer Zeit, in der immer weniger Menschen etwas damit anfangen können - und das jenseits von tagesaktuellen Debatten etwa um Missbrauchsaufarbeitung. Warum?

Noort: Ich wollte kein Buch über die Kirche schreiben. Ich habe den Eindruck, ja, Menschen treten aus, Kirche verliert an Bedeutung - in diesem althergebrachten System jedenfalls -, aber die Sehnsucht nach einer gewissen Spiritualität verschwindet nicht. Die Haltung dazu, wie Menschen die Welt sehen und sich mit ihr auseinandersetzen, verändert sich nicht, weil ein möglicherweise veraltetes System nicht mehr passt. Insofern spielt die aktuelle Situation der Kirche hinein, bildet aber nicht den Kern der Buchs. Es geht eher um die Sehnsucht nach dem, was größer ist als der Mensch. Das kann in vielen Lebensbereichen eine Rolle spielen, das muss nicht die Kirche sein.

Buch "Die Ewigkeit ist ein guter Ort"

Eines Tages kommen Elke die Worte abhanden. Und zwar nicht irgendwelche Worte, sondern solche, die für die junge Theologin eine besondere Bedeutung haben: die Zeilen des Vaterunser. Sie fühlt sich von Gott verlassen und stellt sich die bange Frage: "Ist das Gott-Demenz?" Von ihrer folgenden Suche - wonach, das weiß sie zunächst wohl selbst am wenigsten - erzählt der Debütroman von Tamar Noort, "Die Ewigkeit ist ein guter Ort". Der Ton des Buchs ist heiter, bisweilen skurril, und es enthält ebenso poetische wie pointierte Beobachtungen.

Der Weg in die Ewigkeit / © Bruce Rolff (shutterstock)

KNA: Ihre Hauptfigur Elke wendet sich der Motorrad-Akrobatik zu. Sehen Sie auch da einen Zusammenhang zu Glaube und Spiritualität?

Noort: Absolut. Ich glaube, dass es dem Menschen innewohnt, eine Verankerung in der Zeit zu suchen. Wir würden uns vielleicht nicht die Frage stellen, wozu wir eigentlich da sind, wenn uns nicht so bewusst wäre, dass wir endlich sind. Motorrad-Akrobaten fahren stetig im Kreis, es gibt keine Vorwärtsbewegung, sondern ein Sich-immer-tiefer-Hineindrehen in den Moment. Gleichzeitig ist es etwas, das zwischen Himmel und Erde stattfindet, also weder im Diesseits noch im Jenseits verankert ist. Da entsteht für mich eine Verknüpfung zum Spirituellen.

KNA: Zunächst fällt es Elke schwer, von und mit Gott zu sprechen. Das erinnert an eine gewisse Sprachlosigkeit der Kirche. Wie kann es gelingen, unverstellt zu beten, offen vom Glauben zu sprechen?

Noort: Ich glaube, dass es einer Anpassung bedarf, dass Kirchen sich zu den Menschen hinwenden müssen. Sowohl für die evangelische als auch die katholische Kirche sehen die Prognosen auf längere Sicht nicht besonders positiv aus, was die Entwicklung von Gemeinden angeht. Auch der Wunsch nach Spiritualität ist nicht unbedingt kirchlich geprägt. Aber ich habe durchaus den Eindruck, dass die Kirchen sich als Orte des Wandels begreifen: Sie begeben sich bereits in andere Lebensbereiche und versuchen, Menschen etwa auf digitalen Wegen zu erreichen. Das ist aber ein Prozess, der sicher noch viele Jahre andauern wird.

KNA: In Ihrem Buch geht es um die Suche nach Gott und nach sich selbst, um Verlust und den Tod - zugleich gibt es viele heitere, auch skurrile Szenen. Wie wichtig ist diese Mischung?

Noort: Mir war das total wichtig. Ich wollte für das Buch einen Ton finden, der diesseitig ist. Dafür musste ich eine Balance finden zwischen den schweren Themen und einer gewissen Heiterkeit. Das Leben selbst ist so: Das Heitere und das Traurige geht meistens miteinander einher. Natürlich gibt es Phasen, in denen man primär traurig oder primär glücklich ist. Aber aufs Ganze gesehen muss beides in Balance gebracht werden, immer wieder aufs Neue. Dazu kommen die kleinen Absurditäten des Alltags, die einem helfen, aber auch im Weg stehen können. Die Frage, wie wir glücklich werden angesichts all dessen, was in der Welt los ist und was einem auch persönlich passieren kann, ist eine Herausforderung.

KNA: Elke stellt zudem fest, dass sie sich vor "freiem Raum" fürchtet, vor einer gewissen Leere - und sie begibt sich auf die Suche nach so etwas wie dem Sinn. Ist das ein Phänomen der heutigen Zeit?

Noort: Ich glaube, dass Sinnsuche immer ein Thema ist, dass sie aber tatsächlich in der heutigen Zeit eine besonders große Rolle spielt. Dieser "freie Raum", den die Protagonistin im Buch beschreibt, kann viel Angst machen, aber auch etwas Gutes sein. Freier Raum im Kopf ist ein Geschenk - und braucht zugleich ein großes Maß an Eigenverantwortung. Meine Protagonistin Elke muss diesen freien Raum selbst füllen und eigene Orientierungspunkte finden, die sie bislang aus ihrem Elternhaus oder dem Glaubenssystem übernommen hat.

Eine gewisse Mutlosigkeit gegenüber den Möglichkeiten, die das Leben bietet, scheint ein Phänomen unserer Zeit zu sein. Vielleicht hat sich das durch die Beschränkungen der Corona-Zeit verstärkt. Für viele Menschen ist es ja momentan gar nicht einfach, sich wiederum auf den Wegfall vieler Beschränkungen einzustellen. Obwohl das Leben in der Gemeinschaft wieder stattfindet, gibt es eine gewisse Entwöhnung, vielleicht auch keine so große Lust, sich wieder in dieses Leben hineinzustürzen. Insofern müssen wir alle uns diesen Freiraum wieder neu gestalten.

KNA: Kann die Literatur die großen Fragen des Lebens greifbarer machen, vielleicht manchmal sogar einen Weg aufzeigen? Und ist das Ihr Ziel beim Schreiben?

Noort: Ich würde es anders formulieren. Es ist nicht mein Ziel, Wege aufzuzeigen, wie Menschen leben sollen - das würde ich nie tun. Aber Literatur und Kunst generell können sich mit der Welt auseinandersetzen, vielleicht eine neue Perspektive bieten und dazu anregen, über bestimmte Dinge nachzudenken und einen eigenen Weg zu finden. Das kann kein Buch oder Kunstwerk und keine Theatervorstellung dem Einzelnen abnehmen, das muss man schon selber machen. Aber Kunst kann helfen, trösten und einen Freiraum schaffen, um darüber nachzudenken, in welche Richtung man gehen möchte.

Das Interview führte Paula Konersmann.

Quelle:
KNA