Wer regelmäßig den Rosenkranz vorbetet, ist beim vierten glorreichen Geheimnis vielleicht schon einmal in die Falle getappt, die Formulierung "den du, o Jungfrau, in den Himmel aufgenommen hast" zu verwenden. Diese inhaltliche Umkehrung des Geheimnisses – nämlich dass Maria mit Leib und Seele in den Himmel aufgenommen worden ist – wird den meisten Mitbetern wohl erst dann bewusst, wenn sich der Vorbeter deutlich wahrnehmbar selbst korrigiert.
Im biblischen Kanon finden sich weder Hinweise auf den Tod Mariens noch auf ihre Aufnahme in den Himmel. Lediglich einige apokryphe Evangelien berichten ausführlich von ihrer Entschlafung, der Bestattung durch die Apostel, der Auferweckung und der Aufnahme in den Himmel durch Jesus Christus selbst. In der Liturgie der Ostkirche wird dieses Ereignis seit dem 5. Jahrhundert gefeiert und fand später auch Eingang in die Westkirche.
Zionsberg in Jerusalem Ort der Entschlafung
Als Ort der Entschlafung Mariens gilt der Zionsberg in Jerusalem, wo sich heute die Dormitio-Abtei befindet. "Der 15. August ist einer der Tage, an denen wir Mönche auf dem Zion spüren, an welchem Gnadenort wir leben dürfen", freut sich Abt Nikodemus jedes Jahr auf das Hochfest der Aufnahme Mariens in den Himmel. Die Gedanken von über 1,4 Milliarden Katholikinnen und Katholiken richten sich an diesem Tag zum Zionsberg.
Ohne biblische Belege, aber mit großer volkskirchlicher Popularität wartete das Fest in der römischen Kirche jahrhundertelang auf die offizielle Bestätigung durch das Lehramt. Bereits 1854 hatte Papst Pius IX. die Unbefleckte Empfängnis Mariens zum Dogma – also zum verpflichtenden Glaubenssatz – erklärt. Eine ebenfalls erwartete Dogmatisierung der Aufnahme Mariens in den Himmel rückte jedoch angesichts der theologischen und gesellschaftlichen Entwicklungen der folgenden Jahrzehnte zunächst in den Hintergrund.
Papst Pius XII. verkündete Dogma
Erst Papst Pius XII. griff das Thema wieder auf, als er 1946 in seiner Enzyklika "Deiparae Virginis Mariae" ("Gottesmutter Jungfrau Maria") alle Bischöfe weltweit fragte, wie sie zu einer möglichen Dogmatisierung stünden. Nachdem die Antworten überwiegend positiv ausgefallen waren, verkündete Pius am Allerheiligentag im Heiligen Jahr 1950 das Dogma. Es wurde in Form einer Apostolischen Konstitution ("Munificentissimus Deus" – "Der unendlich freigebige Gott") erlassen.
Pius argumentierte darin, dass bereits die Kirchenväter in ihren Predigten von der Aufnahme Mariens "wie von einer bekannten und anerkannten Tatsache" gesprochen hätten. Sowohl bei Johannes von Damaskus als auch bei Germanus von Konstantinopel spielt der jungfräuliche Leib Mariens eine zentrale Rolle. Johannes schreibt, ihr Leib müsse "auch nach dem Tod unversehrt bleiben". Germanus formuliert, dieser sei "fortan der Auflösung in Staub entzogen". Pius war überzeugt, dass all diese Aussagen der Kirchenväter "in der Heiligen Schrift als ihrem letzten Fundament gründen".
Auch wenn Maria Jesus Christus untergeordnet ist, sei sie ihm doch aufs Engste verbunden und "als zweite Eva dem neuen Adam" gegenübergestellt. Nach ihrer Unbefleckten Empfängnis und ihrer Unversehrtheit als Jungfrau sei sie "freigebige Gefährtin des Erlösers, der über die Sünde und ihre Folgen den Sieg davongetragen hat". Es sei die "Krönung ihres Lebens, dass sie vor der Verwesung im Grab bewahrt blieb und wie ihr Sohn nach Überwindung des Todes mit Leib und Seele zur hohen Herrlichkeit des Himmels emporgehoben wurde".
Überarbeitung der liturgischen Texte
Nach der Dogmatisierung wurden auch die liturgischen Texte des Festes überarbeitet. Der Eröffnungsvers der Messe, entnommen aus der Offenbarung des Johannes, lautet nun: "Ein großes Zeichen erschien am Himmel: Eine Frau, umgeben von der Sonne, den Mond unter ihren Füßen, und ein Kranz von zwölf Sternen auf ihrem Haupt." Seit der liturgischen Neuordnung im Zuge des Zweiten Vatikanischen Konzils wird die Aufnahme Mariens in den Himmel als Hochfest gefeiert, das bereits am Vorabend beginnt und sogar einen Sonntag verdrängen kann.
Obwohl Pius XII. betonte, dass jeder, der das Dogma vorsätzlich leugnet, "völlig von dem göttlichen und allumfassenden Glauben abgefallen ist", ist dieses – bislang letzte – Dogma nicht unumstritten. In den Kirchen der Reformation wird die Aufnahme Mariens in den Himmel als unbiblisch abgelehnt; der 15. August gilt dort lediglich als Todestag der Gottesmutter. Ähnlich sehen es die Altkatholiken, die von "Maria Heimgang" sprechen.
In den orthodoxen Kirchen macht bereits die Bezeichnung "Entschlafung Mariens" deutlich, dass hier ihr Tod und Übergang ("Transitus Mariae") im Vordergrund stehen, ohne die Aufnahme in den Himmel zu verneinen. Der in der Westkirche häufig gewählte Begriff "Mariä Himmelfahrt" in Analogie zur Himmelfahrt Christi ist theologisch jedoch nicht ganz präzise. Allerdings heißt es auch am Ende des Lukasevangeliums und zu Beginn der Apostelgeschichte nicht, Jesus sei "aufgefahren", sondern er sei "emporgehoben" worden. Ob er damit seiner Mutter vorausgegangen ist?
Kräuterduft aus dem leeren Grab
Vielerorts werden an diesem Tag Kräuter gesegnet – eine Tradition, die auf Johannes von Damaskus zurückgeht. Demnach soll aus dem leeren Grab Mariens ein Wohlgeruch nach Rosen und Kräutern geströmt sein, als es geöffnet wurde. Für den Kölner Dom ist der 15. August zudem mit einem historischen Ereignis verbunden: 1248 legte Erzbischof Konrad von Hochstaden an diesem Tag den Grundstein des heutigen gotischen Domes, nachdem Köln seit 1164 die Gebeine der Heiligen Drei Könige beherbergte und zu einem der bedeutendsten Wallfahrtszentren der Christenheit geworden war.
Auch die Benediktiner der Dormitio-Abtei auf dem Zionsberg feiern das Hochfest in gebührendem Maße. Dem Pontifikalamt steht in diesem Jahr Fernando Kardinal Filoni, Großmeister des Ritterordens vom Heiligen Grab zu Jerusalem, vor. "Die Heilige Messe wird auf Latein gefeiert, die Erste Lesung in Arabisch, der Antwortpsalm auf Hebräisch, die Zweite Lesung auf Spanisch und das Evangelium auf Deutsch", erklärt Abt Nikodemus Schnabel die Internationalität der Liturgie. Kardinal Filoni predigt auf Englisch, und die Fürbitten werden in sieben Sprachen gesprochen.
"Hoffnungsvolle Verheißung für uns alle!"
Nach der Eucharistiefeier zieht die Gemeinde in die Krypta der Abteikirche, wo nach alter Tradition das irdische Leben Marias seinen Schlusspunkt fand. "Dort werden wir die Heilkräuter aus unserem Klostergarten weihen und anschließend an die Mitfeiernden verteilen." Bei der Ernte half in diesem Jahr eine Gruppe junger Männer, die einige Tage in der Dormitio mit den Mönchen leben, um zu prüfen, ob ein Ordensleben im Heiligen Land für sie in Frage kommt.
Inmitten des gegenwärtigen Ozeans von Leid sei das Patronatsfest der Abtei wie "ein sommerliches Ostern, das Hoffnung schenkt", sagt Abt Nikodemus. "In einer Zeit, in der Menschen an Körper und Seele geschunden werden, feiern wir, dass unser Leib und unsere Seele eine unzerstörbare Zukunft bei Gott haben. Was Gott an Maria gewirkt hat, ist eine hoffnungsvolle Verheißung für uns alle!"