Der Verein "Mission Love" schenkt Prostituierten neue Hoffnung

Beten im Bordell

Während Politikerinnen mit dem Nordischen Model ein Verbot von Prostitution fordern, kniet Nelli Seidel in einem Bonner Bordell neben einer weinenden Frau. Sie beten für Hoffnung in einem Geschäft, das Seidel "menschenunwürdig" nennt.

Autor/in:
Madita Steiner
Leuchtreklame von Clubs und Striptease-Bars auf der Vergnügungsmeile "Große Freiheit" nahe der Reeperbahn in Sankt Pauli in Hamburg am 25. August 2022 / © Michael Althaus (KNA)
Leuchtreklame von Clubs und Striptease-Bars auf der Vergnügungsmeile "Große Freiheit" nahe der Reeperbahn in Sankt Pauli in Hamburg am 25. August 2022 / © Michael Althaus ( KNA )

Nelli Seidel kniet vor einem Bett, neben ihr eine Prostituierte. 

Nelli Seidel, Vorsitzende des Vereins "Mission Love", ein Hilfsangebot für Prostituierte, am 3. November 2025 in Bonn / © Madita Steiner (KNA)
Nelli Seidel, Vorsitzende des Vereins "Mission Love", ein Hilfsangebot für Prostituierte, am 3. November 2025 in Bonn / © Madita Steiner ( KNA )

Hinter ihnen hängt ein Bildschirm, auf dem sonst durchgängig stumme Pornos flimmern. Das rote Licht ist gedämpft, es riecht süßlich nach Seife und billigem Parfüm. Seidel und die Frau halten einander an den Händen. 

Sie beten gemeinsam, die Prostituierte weint. So beschreibt Seidel, Vorsitzende des Vereins "Mission Love", eine typische Erfahrung im Bordell.

Klöckner und Warken fordern Nordisches Modell für Deutschland

Dieses Sexgeschäft möchte Bundestagspräsidentin Julia Klöckner verbieten. Sie fordert das Nordische Modell für Deutschland, ebenso Bundesgesundheitsministerin Nina Warken (CDU). Seit 2002 ist Sexkauf in Deutschland legal; dagegen gilt das Nordische Modell seit rund 20 Jahren in Schweden und mittlerweile auch in Frankreich, Israel, Island, Kanada und Irland. 

Dabei ist Sexarbeit verboten - aber nicht die Prostituierten werden kriminalisiert, sondern Freier bestraft. Zugleich erhalten die Frauen umfassende Hilfsangebote, um berufliche und persönliche Perspektiven zu entwickeln. Zudem werden Ausstiegsangebote geschaffen und bereits Schülerinnen und Schüler zum Thema aufgeklärt.

Besuch in Bordellen und Erotik-Einrichtungen

Dafür setzt sich auch der Verein "Mission Love" ein. Seit acht Jahren besucht die Vorsitzende Nelli Seidel Bordelle und Erotik-Einrichtungen in Bonn und Umgebung. Die Prostituierten kennen sie. 

Am Anfang hätten die Frauen gelächelt und, ähnlich wie bei Besuchen des Gesundheitsamts, gesagt, alles sei gut. Nach und nach zeigten sie, was sie wirklich fühlen: Sie weinten und erzählten ihr von ihren Erfahrungen.

 "Für Blümchensex geht keiner ins Bordell" 

Die Prostituierten sprächen mit Seidel darüber, wie Freier ihnen Pornos zeigen, die sie nachstellen wollen. Denn: "Für Blümchensex geht keiner ins Bordell." Sie sprächen mit Seidel über Vergewaltigung als Strafe, wenn sie nicht gehorchen - nicht von weiteren Freiern und nicht im Bordell, sondern gewaltvoll etwa auf dem Rückweg. 

Sie erzählten ihr, wie manche nach jedem Freier duschen, um sich weniger beschmutzt zu fühlen - mitunter 20 Mal pro Tag. So viele Freier seien keine Seltenheit. Die meisten hielten das nur unter Alkohol- und Drogeneinfluss aus, die sie teilweise von ihren Chefs bekämen.

Ein Hoffnungsschimmer in düsterer Lage

Und was sagen die Bordellbesitzer zu ihren Begegnungen? Seidel sagt, sie hätten kein Problem mit ihren Besuchen. "Die wissen sehr wohl, dass wir den Frauen guttun." Die Besuche dauern oft nur wenige Minuten. Aber ein Mensch, der den Frauen für kurze Zeit zuhört, hebe ihre Stimmung - gerade wenn es sonst düster sei.

Seidel spricht davon, wie die Frauen nicht mehr wie Menschen behandelt würden. Über ihr Leben bestimmten andere, jede ihrer Entscheidungen seien dem Zuhälter und anderen ausgeliefert: "Das Krasse ist, dass man nicht weiß, wer als Nächstes kommt."

Tägliches Gebet

Wenn sie nichts mehr kontrollieren können, gebe es vielen Prostituierten Halt, auf Gott zu vertrauen und zu ihm zu beten. Täglich. Mehr als in Kirchen, sagt Seidel. Viele Latinas, die eine große Gruppe in diesem Milieu ausmachen, seien katholisch aufgewachsen. 

Sie selbst betet auch für die Frauen, wie es früher, als sie Kinder waren, ihre Mütter und Großmütter taten.

Hohe Dunkelziffer in "dreckigem" Geschäft

Seidel wünscht sich für jede betroffene Frau, "dass dieses dreckige, verachtende und menschenunwürdige Geschäft aus Deutschland verschwindet". Laut Statistischem Bundesamt waren es Ende des vergangenen Jahres knapp 32.300 Prostituierte bei über 2.200 Prostitutionsgewerben. Die Dunkelziffer ist wohl um ein vielfaches höher.

Für realistisch halte sie ihre Hoffnung nicht. "Diese Entwicklung und Maßlosigkeit, die sich in Deutschland zuspitzt - das gab es, glaube ich, so noch nie." 

Um dies zu verändern, gehen sie und die anderen Vereinsmitwirkenden nicht nur ins Bordell, sondern auch - mit einigen anderen - einmal im Jahr für den globalen "Walk for Freedom" auf die Straße. Mit schwarzer Kleidung und Regenschirmen tragen sie schweigend ihre Plakate durch die Städte - in der Hoffnung auf neue Gesetze.

MISSION LOVE

"MISSION LOVE" steht laut eigenen Angaben "für Aufstehen gegen sexuelle Ausbeutung und Zwangsprostitution von Frauen und Mädchen". Seit 2017 ist der Verein mit Sitz in Bonn als Streetworker in dieser Mission unterwegs. Dafür gehen die Mitgliederinnen regelmäßig zu den Frauen in die Bordelle, Erotik Clubs und auf den Straßenstrich, um sie "mit Liebe und Wertschätzung in ihren unterschiedlichen Lebensphasen" zu begleiten.

Kampf gegen Zwangsprostitution (dpa)
Kampf gegen Zwangsprostitution / ( dpa )
Quelle:
KNA