Der Leiter des Katholischen Büros NRW zur Minderheitsregierung in NRW

"Der Haushalt ist die Hürde"

Die nordrhein-westfälische SPD-Vorsitzende Hannelore Kraft ist zur neuen Ministerpräsidentin des Landes gewählt worden. Kraft erzielte am Mittwoch im Düsseldorfer Landtag im zweiten Wahlgang nötige einfache Mehrheit. Für Prälat Dr. Karl Heinz Vogt, Leiter des Katholischen Büros NRW, ist es fraglich, ob die Regierung Bestand haben wird.

 (DR)

domradio.de: Herr Prälat Vogt, heute morgen fand eine Landtags-Andacht statt, bevor es an die Wahl der Ministerpräsidentin geht. Was genau ist das und warum ist Ihnen das ein wichtiges Anliegen?
Prälat Vogt: Das ist eine gute Tradition im Parlament von NRW, dass in jeder Plenumswoche, in der Regel am zweiten Tag um 9 Uhr eine Landtags-Andacht stattfindet, zu der alle Abgeordneten eingeladen sind. Diese Andacht wird ökumenisch gestaltet: Einmal ist mein evangelischer Kollege Kirchenrat Rolf Krebs 'dran, beim nächsten Mal ich. Wir nutzen diese Andacht immer, um spirituelle Impulse zu setzen, es geht nie um Politik. Aber genau das macht offensichtlich einen hohen Stellenwert aus, es gibt viele Abgeordnete, die gerne kommen und für die diese halbe Stunde der Besinnung wichtig ist.

domradio.de: Die rot-grüne Minderheitsregierung, die NRW jetzt hat, wird bei allen Gesetzesvorhaben auf Stimmen der anderen Fraktionen oder zumindest auf die Enthaltung von CDU, FDP und Linken angewiesen sein. Der Bonner Sozialethiker Elmar Nass prophezeit dieser Minderheitsregierung von SPD und Grünen in Nordrhein-Westfalen ein schnelles Ende. Wie schätzen Sie das ein?
Vogt: Ich kann nicht im Kaffeesatz lesen, aber es ist in der Tat so, dass nach meiner Einschätzung die Frage des Haushaltes 2011 der entscheidende Punkt sein wird. Ich vermute, dass das im Frühjahr 2011 zur Entscheidung anstehen wird. Und ob die Minderheitsregierung diese Hürde schaffen wird, ist zumindest fraglich.

domradio.de: Haben Sie schon Gelegenheit gehabt, in den 98-seitigen Koalitionsvertrag zu schauen? Haben Sie vielleicht Kirchenthemen gefunden?
Vogt: Ja, das haben wir selbstverständlich getan. Ich war im Grunde genommen ganz positiv überrascht, dass in dem Koalitionsvertrag geschrieben steht, dass die katholische und die evangelische Kirche auf der Grundlage der Subsidiarität nachhaltige Unterstützung bekommen sollen. Die christlichen Kirchen, so heißt es weiter, sind wichtige Partnerinnen bei der Gestaltung einer gerechten Gesellschaft und in ethischen Fragen.

domradio.de: Das habe ich auch gelesen. Das klingt wie eine Absichtserklärung. Haben Sie eine Vorstellung davon, wie sich das in die Realität umsetzen wird?
Vogt: Das ist sicherlich daraufhin abzuklopfen, was damit gemeint ist. Also z.B. das Thema Bekenntnisschulen. Das ist für uns ein Begriff im Koalitionsvertrag, der uns etwas irritiert hat. Da ist von Gemeinschaftsschulen die Rede und offensichtlich meint man damit Schulen, an denen ein gemeinsamer Unterricht für alle Schülerinnen und Schüler der Klassen 5 und 6 stattfindet. Und dann soll die Entscheidung von Schule, Schulträger und Eltern getroffen werden, wie es ab Klasse 7 weitergeht. Der Begriff Gemeinschaftsschule ist allerdings bereits besetzt und zwar von der Landesverfassung Artikel 12 und auch vom Schulgesetz in §27 und §28, dort wird dieser Begriff im Bereich der Grund- und Hauptschulen abgegrenzt gegen andere Schularten sowie Bekenntnis- und Weltanschauungsschulen. Wir sind nun irritiert, was mit diesem Begriff Gemeinschaftsschule denn eigentlich gemeint ist. Wir gehen nicht davon aus, dass man hier die per Konkordat abgesicherten Bekenntnisschulen in NRW in Frage stellen will. Aber der Begriff ist zumindest irritierend.

domradio.de: Bildung und Schule sind ein ganz großes Thema der neuen Regierung. Eben haben wir schon gehört, dass die westfälische Kirche meint, die Absicht, 30% Gemeinschaftsschulen zu gründen, werde zu mehr Bildungsgerechtigkeit für junge Menschen führen. Finden Sie das auch?
Vogt: Das ist unter Pädagogen umstritten. Es gibt eine Reihe Pädagogen, die genau diese These vertreten. Auf der anderen Seite sagen Leute, die sich v.a. in der Pisa-Forschung sehr gut auskennen, es sei überhaupt nicht nachgewiesen, dass längeres gemeinsames Lernen bessere Ergebnisse bringen würde als ein differenziertes Schulwesen, in dem differenzierter auf die einzelnen Schüler, die schwachen wie auch die begabten, eingegangen werden könne. Ich weiß, dass es in der evangelischen Kirche Aussagen gibt, die dies positiver werten. Wir sind da etwas skeptischer, weil wir keinen wirklich wissenschaftlichen Nachweis sehen, dass längeres gemeinsames Lernen bessere Erfolge für die Schüler und v.a. für Schüler aus schwierigem Elternhaus bringen kann.

domradio.de: Es ist kein C-Partei mehr in der Regierung. Wird es jetzt schwerer, christliche Werte in der Realpolitik zu verwirklichen? Was kann man aus Ihrer Sicht dafür tun?
Vogt: Man muss davon ausgehen, dass die beiden Koalitionsparteien im Koalitionsvertrag nicht nur schöne Worte finden, sondern dass es in beiden Fraktionen eine Reihe von Abgeordneten gibt, die entschiedene Christen sind. Von daher denke ich schon, dass der Stellenwert der Kirchen und ihre Bedeutung für das Funktionieren von Gesellschaft und die Beachtung des Gemeinwohls von vielen Abgeordneten unterstützt wird.

Interview: Stephan Baur