Ein sonniger Samstagnachmittag im September: Gemeindemitglieder der evangelischen und katholischen Kirche im nordrhein-westfälischen Wiehl sind nach Wuppertal geradelt, um die Gemarker Kirche zu besuchen: Ein historischer Ort, denn dort formulierten 1934 führende evangelische Theologen die "Barmer Erklärung": Das zentrale Dokument des evangelischen Widerstands gegen den Nationalsozialismus und das Gründungsdokument der Bekennenden Kirche.
"Das Thema trifft auch den Kern der Demokratiekirche", erklärt Bernhard Wunder, im Hauptberuf Leiter der Katholischen Bildungswerkes Oberberg, "denn es geht darum, für die Würde des Menschen einzutreten". Wunder ist Mitbegründer der "Demokratiekirche Oberberg", eine gemeinsame Initiative der katholischen und evangelischen Kirche in Wiehl-Bielstein im Oberbergischen Kreis, die ein Netzwerk in der Region schaffen will, in dem sich Christinnen und Christen gemeinsam für die Demokratie engagieren.
Breites Angebot
Zu den Angeboten zählen Demokratie-Projekte für Kindergärten und Schulen und Workshops, die über Fake-News und Hetze im Netz aufklären. Es gibt Diskussionsrunden, Lesungen und Führungen zu historischen Stätten, wie die Gemarker Kirche in Wuppertal. Das Projekt findet Zuspruch, etwa bei Marlies Berg, die bereits seit einem halben Jahr dabei ist: Ihr gefällt, dass es sich um gemeinschaftsstiftende Aktionen handele, die die Gesellschaft nicht noch weiter spalteten, sagt sie. Auch Bernd Wegehoff schätzt die Gemeinschaft und angesichts aktueller Krisen und Entwicklungen werde immer klarer, dass man die Demokratie verteidigen müsse. Und Gerhard Kürten, der ebenfalls mit nach Wuppertal geradelt ist, findet: "Ich sehe es als eine Verpflichtung gegenüber meinen Mitmenschen und meinen Kindern an, mich für die Demokratie einzusetzen."
Die Demokratiekirche entstand vor einem Jahr, nachdem in Deutschland Hunderttausende auf die Straße gegangen waren, um gegen ein Geheimtreffen von Rechtsextremen in Potsdam und deren Vertreibungspläne für Menschen mit Migrationshintergrund zu protestieren. Bernhard Wunder demonstrierte damals gemeinsam mit der Pfarrerin Silke Molnár der Evangelischen Kirche Oberbantenberg-Bielstein. Schnell waren sich die beiden einig: Das soll keine einmalige Aktion bleiben: "Wir Christen sollten uns bei dem Thema stärker zu Wort melden", findet Wunder, der sich für dieses Projekt ehrenamtlich einsetzt. "sowohl Christsein als auch Demokratie leben vom Mitmachen, wir dürfen uns nicht zurücklehnen, sondern müssen aktiv für unsere Werte eintreten!"
Anton-Roesen-Preis verliehen
Für dieses Engagement wird unter anderem die Demokratiekirche jetzt mit dem Anton-Roesen-Preis ausgezeichnet. Die Auszeichnung ist verbunden mit einem Preisgeld von 5000 Euro und wird für herausragendes gesellschaftspolitisches Engagement katholischer Christen vergeben. Benannt ist der Preis nach dem Mitbegründer und ersten Vorsitzenden des Diözesanrates der Katholiken im Erzbistum Köln. Seit über 25 Jahren wird die Auszeichnung traditionell vom Kölner Erzbischof gestiftet.
Auch NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) begrüßt dieses Projekt, das bislang landesweit einmalig ist. In einer Videobotschaft an die Macher lobte er vor allem die ökumenische Verbundenheit: "Weil überall da, wo der Zusammenhalt in der Gesellschaft groß ist, haben es Populisten und Extremisten schwer", sagte er. Die Demokratiekirche Oberberg mache es allen Feinden der Demokratie schwer und dafür danke er den Organisatoren.
Darf Kirche sich in die Politik einmischen?
Doch politisches Engagement von Kirchen bleibt nicht unumstritten. Sollte Kirche sich nicht zuallererst auf das Gebet und die Spiritualität konzentrieren? Diese Debatte hatte erst kürzlich Bundestagpräsidentin Julia Klöckner von der CDU erneut aufgeworfen, als sie monierte, die Kirchen würden sich zu sehr in die Politik einmischen. Bernhard Wunder von der Demokratiekirche weist diese Kritik zurück: Man wolle keine Parteipolitik betreiben, aber wenn Grenzen überschritten würden, müssten sich Christen zu Wort melden, davon ist er überzeugt:
"Unsere Quellen haben eine Botschaft und die ist nicht nur im Kirchengebäude, sondern auch auf der Straße, in unserer Gesellschaft", sagt er. "Wenn unsere Botschaft den Menschen da draußen irgendetwas bedeuten soll, müssen wir raus. Kirche muss politisch sein, denn alles, was wir für Menschen tun können, aus unserer Haltung heraus, müssen wir tun. Wir dürfen nicht schweigen oder tatenlos zusehen, wenn Unrecht geschieht und die Würde des Menschen verletzt wird."