Dalai Lama will bei Verschärfung der Situation in Tibet zurücktreten - Genscher gegen Olympia-Boykott

Nach Chinas Ultimatum

Der Dalai Lama will als Oberhaupt der tibetischen Exilregierung zurücktreten, falls sich die Lage in Tibet weiter verschärft. Gleichzeitig wies er die Vorwürfe Pekings zurück, er sei für die Proteste der Tibeter verantwortlich und rief alle Seiten zur Mäßigung und Gewaltlosigkeit auf. Chinas Premierminister Wen Jiabao hatte den Dalai Lama zuvor beschuldigt, die Olympischen Sommerspiele in Peking zu sabotieren, um die Unabhängigkeit Tibets zu erreichen.

 (DR)

"Wenn die Dinge völlig außer Kontrolle geraten, bleibt mir keine andere Option mehr, als mein Amt aufzugeben", sagte das religiöse Oberhaupt des tibetischen Buddhismus. "Gewalt ist gegen die menschliche Natur", sagte der Friedensnobelpreisträger. Zugleich beschuldigte er China, die Zahl der Todesopfer bei den blutigen Protesten der vergangenen Tage herunterzuspielen. Laut Peking kamen bis Montag 16 Menschen ums Leben. Die Exilregierung spricht von etwa 90 Toten und Menschenrechtsorganisationen schätzen die Zahl sogar auf bis zu 300.

In Dharamsala, dem Sitz der tibetischen Exilregierung seit der Flucht des Dalai Lama 1959 aus Tibet, leben etwa 100.000 tibetische Flüchtlinge. Am 10. März hatten in Tibet und Indien Proteste für die Unabhängigkeit der unter chinesischer Verwaltung stehenden Provinz begonnen. Nachrichten aus Tibet sind spärlich. In der Region herrscht massive Polizei- und Militärpräsenz. Ausländern ist der Aufenthalt in Tibet nicht mehr gestattet. Journalisten und Mitarbeiter von Hilfsorganisationen sind ausgewiesen worden. Am Montag soll es unbestätigten Berichten zufolge großangelegte Razzien und Verhaftungen gegeben haben.

Menschenrechtsbeauftragter: Olympia nur noch in Demokratien
Der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Günter Nooke (CDU), plädiert dafür, Olympische Spiele künftig nicht mehr an Länder zu vergeben, die wie China die Menschenrechte "in massiver Weise" verletzen. Statt wegen der Ereignisse in Tibet einen Boykott der geplanten Spiele in Peking zu erwägen, solle "lieber über den Fehler des IOC" diskutiert werden, den Austragungsort in Länder zu verlegen, die gegen die Olympische Charta verstießen. Nooke wandte sich erneut gegen eine Olympia-Absage in China zum jetzigen Zeitpunkt, diese werde dagegen den Menschen in Tibet nicht viel bringen. Im Gegenteil stehe China jetzt so weit im Fokus der internationalen Öffentlichkeit, dass die Debatte über "die Niederschlagung der Proteste" in Tibet den Menschenrechtsaktivisten vor Ort vermutlich mehr nützen werde, als wenn sie "unter Ausschluss der Öffentlichkeit" für ihre Rechte kämpfen müssten.

Genscher gegen Boykott der Olympischen Spiele in China
Der frühere Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher (FDP) hat sich gegen einen Boykott der Olympischen Spiele als Reaktion auf das Vorgehen Chinas gegen die Protestbewegung in Tibet ausgesprochen. Genscher sagte am Dienstag im Inforadio des RBB, die Erfahrungen mit dem Boykott der Olympischen Spiele in Moskau 1980 zeigten, dass die gewünschte Wirkung nicht erzielt worden sei. Es sei dem Westen erst durch eine Politik des Dialogs gelungen, den Krieg der Sowjetunion in Afghanistan zu beenden.

Wenn die chinesische Führung sage, sie wolle den Dialog mit dem Dalai Lama aufnehmen, sofern dieser die Integrität des chinesischen Staates anerkenne, sei dies bereits eine erste Reaktion auf die internationale Diskussion. Ein Boykott habe unter Umständen eine gegenteilige Wirkung. Eine große internationale Veranstaltung bleibe zudem nicht ohne Wirkung auf China, so Genscher.

Der chinesische Premierminister Wen Jiabao hatte direkte Gespräche mit dem geistlichen Oberhaupt des tibetischen Buddhismus so lange ausgeschlossen, bis der Dalai Lama ausdrücklich auf die Unabhängigkeit Tibets verzichte. Zudem müsse er erklären, dass sowohl Tibet als auch die Insel Taiwan untrennbarer Teil Chinas seien, betonte Wen in Peking zum Ende des Nationalen Volkskongresses.

Die Gesellschaft für bedrohte Völker warf der chinesischen Regierung vor, die Nationalitätenfrage gewaltsam lösen zu wollen. Asienreferent Ulrich Delius sagte im Deutschlandradio Kultur, wer den Dalai Lama als Unruhestifter kriminalisiere und den Dialog mit ihm ablehne, setze bewusst auf eine Eskalation der Gewalt.

Diese Strategie missachte die Menschenrechte und gefährde auch die Stabilität der Volksrepublik. In Zukunft würden die Demonstranten in Tibet weniger nachgiebig und gewaltbereiter sein, so Delius. Die Gesellschaft für bedrohte Völker warne seit Jahren davor, dass nach dem Tod des Dalai Lama die Konflikte eskalieren könnten, weil die jüngere Generation der Tibeter weniger zu Kompromissen mit China bereit sei.

Der menschenrechtspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion Christoph Strasser bezeichnete die Abriegelung Tibets durch die chinesischen Behörden als besorgniserregend. Die Blockade kritischer Internetseiten und die Ausweisung ausländischer Organisationen sei der falsche Weg. Die SPD unterstütze die Forderung, dass die EU unabhängige Beobachter nach Tibet entsenden solle. Die Einhaltung der Menschenrechte sei oberstes Gebot, erklärte Strasser.

Der CDU-Außenpolitiker Eckart von Klaeden forderte die chinesische Regierung auf, Journalisten den Zugang zu Tibet zu gewähren. Er sagte der Wochenzeitung "Rheinischen Merkur", China müsse sofort Medien und internationale Beobachter zulassen. Von Klaeden reist in dieser Woche auf Einladung der Kommunistischen Partei durch China.