Credo-Reihe: Woran der Politiker Hubertus Heil wirklich glaubt

"Der Glaube ist mein Halt und mein Kompass"

Auch Glaubende haben Zweifel. Trotzdem halten sie sich an etwas fest, das ihnen Kraft gibt und sie trägt – jenseits aller Dogmen und frommen Glaubenssätze. So hilft Hubertus Heil bei seinem persönlichen Credo politische Verantwortung.

Autor/in:
Beatrice Tomasetti
Hubertus Heil / © Martin Schutt (dpa)
Hubertus Heil / © Martin Schutt ( dpa )

DOMRADIO.DE: Wie stellen Sie sich Gott vor, und wann wird er für Sie erfahrbar?

Hubertus Heil (Religionsbeauftragter der SPD-Bundestagsfraktion): Ich stelle mir Gott nicht als Gestalt vor, sondern als etwas, das Menschen verbindet. Er wird für mich erfahrbar, wenn es um Glaube, Liebe und Hoffnung geht oder ich Mitmenschlichkeit und Barmherzigkeit erlebe, die über den Egoismus siegen. Immer dann meine ich zu spüren, dass es etwas Größeres gibt als einen selbst. Mein Christsein prägt mich, ich trage es aber nicht wie eine Monstranz vor mir her.

Hubertus Heil war bis zum 6. Mai 2025 Bundesminister für Arbeit und Soziales / © Moritz Peters (privat)
Hubertus Heil war bis zum 6. Mai 2025 Bundesminister für Arbeit und Soziales / © Moritz Peters ( privat )

DOMRADIO.DE: Gab es schon Situationen, in denen Sie mit Gott gehadert oder Ihren Glauben infrage gestellt haben? Und wenn ja, was hat Ihnen da geholfen?

Heil: Ja, das gab es schon: bei persönlichen Schicksalsschlägen oder anderen furchtbaren Erfahrungen. Als Jugendlicher stellt man sich dann die Frage "Warum lässt Gott so etwas zu?", um sich dann aber auch bewusst zu machen, dass der Mensch es ist, der in der Verantwortung steht und von Gott auch in die Verantwortung gestellt wird, das Richtige zu tun, und er – umgekehrt – diese Verantwortung nicht immer an Gott delegieren kann. Mir das bewusst zu machen hat mir damals jedenfalls sehr geholfen.

Und dann ist es der Glaube selbst, der mir schon in schwierigen politischen Entscheidungssituationen eine große Stütze war – beispielsweise als es 1999 im Bundestag um die Zustimmung zum militärischen Kosovo-Einsatz seitens der Nato ging. Als noch recht jungen Abgeordneten hat mich diese Frage damals sehr gequält, weil ich wusste, dass ich – egal wie ich mich entscheide – große Verantwortung übernehme und auch Schuld auf mich lade, ich von daher ethisch genau abwägen musste, mit welcher Entscheidung ich mehr "Schuld" zu verantworten haben würde. Ich bin davon überzeugt, dass man als Christ nicht nur für das einstehen muss, was man tut, sondern auch für das, was man unterlässt. Und da war mir mein Glaube tatsächlich damals sehr hilfreich, um mich auch mit solchen existenziellen Fragen zu beschäftigen und dann eine Gewissensentscheidung zu treffen.

Hubertus Heil

"Ich bin davon überzeugt, dass man als Christ nicht nur für das einstehen muss, was man tut, sondern auch für das, was man unterlässt."

Als Mitglied des Auswärtigen Ausschusses treibt mich auch aktuell wieder mehr als je zuvor die Frage von Krieg und Frieden um. Gerade bei sicherheits- und friedenspolitischen Themen sehe ich großen gesellschaftlichen Gesprächsbedarf. Ich bin davon überzeugt, dass die Kirchen und Religionsgemeinschaften hier Räume für wichtige Debatten bieten können. Dass sich die christlichen Kirchen in Deutschland jeweils mit Denkschriften zur sicherheitspolitischen Lage zu Wort melden, finde ich sehr gut. 

DOMRADIO.DE: Apropos: Sie fordern, dass sich die Kirchen aktiv in gesellschaftliche und politische Debatten einbringen sollen. Wo die Kirche schweige, verliere sie an Relevanz und Einfluss, sagen Sie, und dass sie im politischen Diskurs als moralische Instanz unverzichtbar sei. Wie schauen Sie gerade als bekennender Christ auf die Migrationsdebatte und den strikten Kurs, den die Regierung mit Verschärfungen der Grenzkontrollen und vermehrten Abschiebungen fährt – auch auf die Gefahr hin, dass es manchmal die Falschen trifft?

Heil: Durchaus mit gemischten Gefühlen. Denn auf der einen Seite weiß ich, dass eine geordnete Migration wichtig ist – beispielsweise auch um der Akzeptanz des humanitären Asylrechts willen und um die irreguläre Migration zu reduzieren. Gleichzeitig aber muss es auch die Möglichkeit geben, legal einzuwandern – Stichwort Einwanderungsgesetz. Aber es gibt auch Entscheidungen in der Koalition, die nicht nur zu Bauchschmerzen, sondern auch zu Gewissenskonflikten führen: etwa wenn es um die Frage des Familiennachzugs geht. Das hätte ich persönlich anders entschieden. Es ist aber das Ergebnis eines politischen Kompromisses mit der CDU/CSU. Gerade weil die Familie aber unter dem besonderen Schutz unserer Verfassung steht – und übrigens auch zur gelungenen Integration beiträgt – war mir wichtig, dass diese Maßnahmen zumindest zeitlich befristet sind.

Hubertus Heil

"Grundsätzlich versuche ich selbst, mich da vom christlichen Menschenbild leiten zu lassen."

Aber ich finde eben auch, dass – so schwer es manchmal fällt, und das tut manche Entscheidung – verabredete Kompromisse, die in Einklang mit unserer Verfassungsordnung stehen, dann am Ende belastbar und tragfähig sein müssen. Kompromissfähigkeit ist eine entscheidende Voraussetzung für politischen Fortschritt. Grundsätzlich versuche ich selbst, mich da vom christlichen Menschenbild leiten zu lassen. Ob man dem immer gerecht wird, muss man mit sich selbst ausmachen, oder aber es müssen andere beurteilen. Tatsache ist jedoch, je älter man wird, desto klarer stellt man für sich fest, was für eine Kompassfunktion die eigene Überzeugung in diesen sonst unruhigen politischen Gewässern, in denen man sich bewegt, haben kann: dass man die Richtung nicht verliert und – um in der Bildsprache eines Seglers zu bleiben – auch mal "kreuzen" muss, um ans Ziel zu kommen.

DOMRADIO.DE: Seit Sie politisch aktiv sind, kämpfen Sie für Chancengleichheit, weil Sie davon überzeugt sind, dass lebendige Demokratie nur möglich ist, wenn allen gesellschaftliche Teilhabe – unabhängig von Herkunft, sozialer Schicht oder Geschlecht – ermöglicht wird. Daher setzen Sie sich für gute Arbeitsbedingungen, einen gesetzlichen Mindestlohn und einen vorsorgenden Sozialstaat ein. Was gefährdet Ihrer Meinung nach im Moment am meisten den gesellschaftlichen Zusammenhalt? Und welche Lösung bieten Sie an?

Der Austausch mit den Menschen liegt dem SPD-Politiker am Herzen / © Moritz Peters (privat)
Der Austausch mit den Menschen liegt dem SPD-Politiker am Herzen / © Moritz Peters ( privat )

Heil: Die vielen Krisen und Veränderungen, die wir in Deutschland, aber auch in anderen westlichen Demokratien zu bewältigen haben, verunsichern viele Menschen. Abstiegsängste und Resignation sind die größten Bedrohungen für den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Gesellschaften, in denen die Hoffnung Mangelware wird, drohen, von politischen Kräften, die Ängste schüren, Menschen gegeneinander aufwiegeln und keine Probleme lösen, auseinander dividiert zu werden.

Die Antwort darauf kann nur eine Politik sein, die anpackt und Probleme löst; die realistische Zuversicht gibt, dass man etwas zum Besseren verändern kann. Eine solche Politik, die zupackt und Hoffnung gibt, braucht nicht nur demokratische Politiker, die mutig Entscheidungen treffen und zu Kompromissen in der Lage sind, sondern auch die Unterstützung der demokratisch gesinnten Bürgerinnen und Bürger. Der frühere Verfassungsrichter, Sozialdemokrat und Katholik Ernst-Wolfgang Böckenförde formulierte es so: "Der säkulare demokratische Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann." Unserem Land, unserer Demokratie wieder mehr Zuversicht zu geben ist also eine gemeinsame Aufgabe von politisch Verantwortlichen und engagierten Bürgerinnen und Bürger in den unterschiedlichsten Bereichen unserer Gesellschaft. Trotz aller Angriffe auf unsere Demokratie bin ich sicher, dass uns das gelingen wird. 

DOMRADIO.DE: Ich vermute, dass Sie immer wieder auch unterwegs sind, um mit Menschen ins Gespräch zu kommen und eine solche Position deutlich zu machen…

Hubertus Heil

"Es ist doch ein großes Privileg und auch eine Ehre, für die Menschen politisch tätig sein zu dürfen. Aber dafür muss man erst einmal herausfinden, was sie bewegt."

Heil: Absolut. Wer sich politisch engagiert, der darf nicht verschweigen, dass er an den Menschen interessiert, im Austausch mit ihnen ist und sie mag: also nicht nur sendet, sondern auch empfängt. Insofern ist für mich, seitdem ich politisch aktiv bin und ein Mandat habe, der Kontakt zu meinem Wahlkreis Gifhorn-Peinein meiner Heimat, dem Südosten Niedersachsens, zentral. Nicht nur in Berlin ist es wichtig, mit Interessenvertretern zu sprechen. Es ist doch ein großes Privileg und auch eine Ehre, für die Menschen politisch tätig sein zu dürfen. Aber dafür muss man erst einmal herausfinden, was sie bewegt. Und man sollte nicht nur erklären, sondern auch zuhören, um dann wichtige Entscheidungen treffen zu können.

DOMRADIO.DE: Wie sehr wirkt sich das, was Sie tun, auf Ihren Glauben aus? Und umgekehrt: Wie notwendig ist der Glaube für Ihr eigenes Selbstverständnis, aber auch für Ihr Wirken in Kirche und Politik?

Heil: Zum einen versuche ich durch mein Handeln im privaten Bereich – aber durch meine politische Verantwortung auch im öffentlichen Raum – dem, was ich glaube, auch gerecht zu werden. Natürlich entsteht da manchmal ein Spannungsverhältnis, weil eben nicht alles immer nur schwarz oder weiß ist, sondern mitunter auch Dilemmata entstehen. Aber darauf darf man sich nicht hinausreden. Vielmehr muss man immer versuchen, sich an die Überzeugungen und Werte zurückzubinden, für die man grundsätzlich politisch eintritt. Ich bin durch mein Elternhaus, durch meine christliche Erziehung und durch die Prägung – besonders die meiner Mutter, die eine engagierte evangelische Christin war – am Ende auch politisiert worden und vielleicht deshalb sogar Sozialdemokrat geworden, weil es in der sozialdemokratischen Partei Werte gibt, die ihren Ursprung – wenn man genau hinschaut – in den christlich-jüdischen Traditionen haben: Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität.

Und was mein Selbstverständnis angeht: Ja, der Glaube ist mein Halt. Er gibt mir nicht jeden Tag im Detail politische Handlungsanweisungen, aber er ist ein guter Kompass und fester Bestandteil meines Lebens. Das ist mir erst mit zunehmendem Alter bewusst geworden. Als junger Mensch kennt man sich noch nicht so gut. Aber eigentlich bin ich immer schon durch meinen Glauben und meine Herkunft geprägt gewesen.

Hubertus Heil

"Ganz grundsätzlich hat der christliche Glaube unsere Gesellschaft kulturell stark geprägt – wie er auch mich persönlich individuell geprägt hat."

In dem Zusammenhang ist es schon interessant, manchmal im Bundestag Reden von Kollegen zuzuhören, die sich sicher nicht bewusst sind, dass sie indirekt die Bibel zitieren. Aber das Evangelium hat nun mal unsere gesamte Gesellschaft stark beeinflusst und geprägt – selbst die Menschen, die anderen Glaubens sind oder auch gar keiner Religion angehören. Ganz grundsätzlich hat der christliche Glaube unsere Gesellschaft kulturell stark geprägt – wie er auch mich persönlich individuell geprägt hat. Erst wenn man sich selbst mehr auf die Spur kommt – jedenfalls war das bei mir so – wird einem das so richtig bewusst. Und selbstverständlich fließt das auch in mein politisches Handeln mit ein. Als Politiker bin ich heute sicher erfahrener als mit Mitte 20. Gleichwohl hoffe ich, dass ich eins nicht geworden bin: nämlich zynisch. Das ist im politischen Betrieb nach meiner Beobachtung eine große Gefahr. Auch hier hilft der Glaube: nicht in Zynismus zu verfallen. 

DOMRADIO.DE: …zumal Ihr politisches Umfeld ja ganz von alleine zunehmend säkularer und damit auch gottloser wird. Umso schwieriger wird es – das merke ich bei meinen Interviewanfragen – sich öffentlich zu seinem eigenen Glauben zu bekennen…

Heil: In der Tat spiegeln die heutigen politischen Verantwortungsträger auch eine zusehends säkularisierte Gesellschaft wider. So aber sieht repräsentative Demokratie aus. Auf der anderen Seite kenne ich vor Ort in meiner Heimat so viele Menschen, die sich für eine Gemeinschaft engagieren – ob in der Kirche oder in der Kommunalpolitik, in den unterschiedlichen demokratischen Parteien – die aus ihrem Glauben keinen Hehl machen. Also, wenn man genau hinschaut, gibt es da noch eine ganz Menge, auch wenn sie insgesamt weniger geworden sind – wie auch die Zahl der Kirchenmitglieder in unserer Gesellschaft aus den unterschiedlichsten Gründen dramatisch abgenommen hat. 

Dass Dialog – zum Beispiel zwischen Politik und Religion oder zwischen Politik und Kirche – die Quelle sein kann für gesellschaftlichen Zusammenhalt oder gesellschaftliche Orientierung vor allem auch in ethischen Fragen, davon bin ich zutiefst überzeugt. Und daran mitzuwirken, ist Teil der Aufgabe, die ich als Beauftragter für Kirchen und Religionsgemeinschaften auch wahrnehme. Dabei geht es mir darum, zwischen dem demokratischen Staat und den Religionen Brücken zu bauen – nicht zuletzt in der Hoffnung, dass diese Mittlerfunktion die Gesellschaft, gerade auch im interreligiösen Dialog, zusammenhält.

Das Interview führte Beatrice Tomasetti.

Quelle:
DR

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