DOMRADIO.DE: Wie stellen Sie sich Gott vor, und wann wird er für Sie erfahrbar?
Ferdinand Linzenich (Kabarettist, Unternehmer und Keynotespeaker): Wie so vieles ist Glaube ja etwas, das in der Kindheit wurzelt. Also gefällt mir immer noch die Vorstellung des gütigen älteren Herrn mit weißem Bart, wie wir ihn aus unzähligen künstlerischen Darstellungen kennen. Heutzutage allerdings um das ergänzt, was Joseph Ratzinger, der spätere Papst Benedikt XVI., zu diesem Thema gesagt hat: "Es gibt so viele Vorstellungen von Gott, wie es Menschen gibt." So glaube ich, dass wir Gott zu den ungewöhnlichsten Zeiten, auf den seltsamsten Wegen und in den unterschiedlichsten Erfahrbarkeiten begegnen können.
DOMRADIO.DE: Gab es schon Situationen, in denen Sie mit Gott gehadert oder Ihren Glauben in Frage gestellt haben? Und wenn ja, was hat Ihnen da geholfen?
Linzenich: Glauben ist nicht Wissen, und ich behaupte mal, wer nie zweifelt, glaubt auch nicht wirklich. Gläubige ohne Zweifel sind gefährlich, weil sie zu Fanatikern werden, die auf die anderen – in ihren Augen Ungläubigen – herabschauen, sie belehren wollen oder und im schlimmsten Fall sogar tyrannisieren. Der Gott des Neuen Testamentes aber ist immer barmherzig. Fundamentalisten sind das nicht!
Im Übrigen hat es das Leben mit mir zu gut gemeint, als dass ich mit Gott hadern würde. Wenn mich jemand fragt, wie es mir geht, antworte ich immer: Wenn ich mich beschweren würde, dann würde ich den lieben Gott herausfordern, und das lasse ich mal lieber sein. Mit anderen Worten: Gott ist etwas Wichtiges in meinem Leben, aber ich habe auch allen Grund, dankbar für das Leben zu sein, das ich führe: Ich hatte einen Beruf, der mir Spaß gemacht hat, bin glücklich verheiratet, habe gesunde Kindern... Aber natürlich verstehe ich auch, dass Menschen, die einen schweren Schicksalsschlag erleiden, mit Gott hart ins Gericht gehen und an ihm verzweifeln.
DOMRADIO.DE: Auf der Bühne bauen Sie immer wieder Anspielungen auf die katholische Kirche ein, bekennen sich offen zu Ihrem Glauben und verweisen damit auf Ihre katholische Erziehung und Sozialisation, auf die Sie auch nichts kommen lassen – bei aller Kritik, die Sie geschickt in Pointen und Witzen verpacken. Oft genug ist der Glaube auch die Steilvorlage für den nächsten Gag. Welchen Stellenwert hat er für Sie?
Linzenich: Nun, mein Bühnenleben steht ja gewissermaßen in der Tradition der klassischen Hofnarren, die dem von Speichelleckern umgebenden Herrscher als einzige mal ungestraft die Wahrheit sagen durften. Trotzdem stehe ich dazu und sage immer, ich bin nur Fan zweier Vereine: vom 1. FC Köln und von der katholische Kirche. Beide geben mir häufig genug Anlass, mich aufzuregen, aber Fans haben ein großes Herz und verzeihen auch schnell. Daher bin ich als Fan natürlich auch Botschafter meiner Vereine, allerdings ohne missionarischen Eifer. Der Kompass meines Glaubens ist der Kompass der christlichen Lehre, und denfinde ich im Kern sogar bei den meisten meiner agnostischen Freunde wieder.
Ich gehöre ja noch zu der Generation, die weiß, dass um 12 Uhr die Glocken zum Angelus schlagen. Wenn ich als Kind im Westerwald in den Ferien war, hörten die Bauern dann auf den Feldern auf zu arbeiteten und beteten erst einmal eine Runde. Das hat mich geprägt. Den Angelus beten, das tue ich selbst heute noch manchmal. Wie ich auch sonst jeden Tag bete und sonntags in die Kirche gehe, wenn auch nicht immer in die Messe. Ein berühmter Theologe hat einmal gesagt: "Die Kirche ist nicht der Hüter des Verstandes, sondern der Hüter der Seele." Und wenn jemand mit mir über meinen Glauben diskutieren will, dann gebe ich ihm schon mal gerne den Tipp: Geh doch mal in die Kirche, knie Dich da mal zehn Minuten hin, und dann guckst Du, was das mit Dir macht.
Damit meine ich, eine Kirche kann auch für Nicht-Gläubige, die sich auf Stille, Kontemplation oder diesen weihevollen Raum einlassen, ein Ort sein, der auf sie ausstrahlt, sie demütig und ehrfürchtig macht. Mir jedenfalls geht es so, wenn ich in eine Kirche komme. Demut und Dankbarkeit, gepaart mit einem tiefen Gottvertrauen, sind ganz wichtige Leitmotive in meinem Leben.
DOMRADIO.DE: Sie kokettieren immer auch gerne mit dem, was nicht gerade "political correct" ist, hauen da zwischen den Zeilen schon mal ganz schön einen raus und spielen bewusst mit der Provokation. Andererseits stehen Sie – auch das ist Teil Ihres Programms – zu Ihren konservativen Werten, die Sie als solche auch benennen. An einer zu Herzen gehenden Geschichte aus Ihrer eigenen Familie wird das deutlich, die zunächst tragisch beginnt, aber dann doch glücklich endet und das Publikum zu Tränen rührt. Da wird es sogar mit einem Mal ganz andächtig…
Linzenich: Sie beziehen sich auf eine Weihnachtsgeschichte in meinem aktuellen Programm, die die Geburt meiner ältesten Nichte erzählt – wozu ich mir übrigens ausdrücklich ihre Erlaubnis eingeholt habe. Mein dreieinhalb Jahre jüngerer Bruder erwartete im Alter von 18 Jahren mit seiner damals noch minderjährigen Freundin ein Kind. Zunächst vertraute er sich mir an, und ich bot ihm an, es den Eltern zu sagen, die die Nachricht wie ein Schock traf. Nach schmerzlichem Ringen beider betroffenen Familien und unter Abwägung aller Optionen – auch die Möglichkeit einer Abtreibung wurde angesprochen, war aber sofort vom Tisch – hat man sich damals in der Familie, zumal im katholischen Milieu, schweren Herzens dazu entschieden, das Kind zur Adoption freizugeben. Bis heute bin ich vermutlich auch wegen dieser hautnahen Erfahrung ein moralischer Gegner der Abtreibung.
Diese zunächst dramatische Geschichte hat 38 Jahre später, um das vorwegzunehmen, dann doch noch ein gutes Ende gefunden. Aber darauf mussten wir lange warten, denn Kerstin – so heißt meine Nichte – hat sich nicht, wie wir alle erhofft hatten, zu ihrem 18. Geburtstag, dem Tag ihrer Volljährigkeit, bei uns gemeldet, sondern erst weitere 18 Jahre später. Der Grund dafür war, dass ihre Stiefschwester – ebenfalls ein Adoptivkind – keine positiven Erfahrungen mit der Kontaktaufnahme zu ihrer leiblichen Mutter gemacht hatte. Also hatte auch Kerstin Angst davor, ihre Herkunftsfamilie kennenzulernen. Doch, wie gesagt, die Geschichte endet schließlich mit einem happy end, so dass mein Bruder später dann sogar der Brautvater seiner Tochter und meine Tochter als Kerstins Cousine die Taufpatin ihres jüngsten Sohnes wurde. Letztlich haben wir nach einer gefühlt endlos langen Zeit, in der Kerstin uns allen immer schmerzlich gefehlt hatte, als Großfamilie zusammengefunden. Es war, als hätte jahrzehntelang ein Elefant im Raum gestanden, über den nie jemand zu sprechen wagte – schon allein um keine alten Wunden aufzureißen. Doch unausgesprochen war Kerstin immer präsent gewesen, und trotzdem wurde das in unserer Familie komplett verdrängt.
Warum erzähle ich diese Geschichte? Zum einen weil sie – das konnte ich auch jetzt wieder bei meinem Auftritt im Senftöpfchen beobachten – ganz offensichtlich die Menschen berührt und sich mit ihr ganz vieles – vor allem Ernsthaftes, nachdenklich Stimmendes, auch die Frage von Schuld – verknüpft. Natürlich: Wäre Kerstin nie wieder aufgetaucht, hätte man diese Geschichte sicher nicht so erzählen können; sie wäre im Almanach des Vergessens gelandet. Und dann habe ich sicher als Kabarettist auch ein Sendungsbewusstsein. Natürlich will ich mein Publikum primär unterhalten, aber ich will ihm auch etwas mitgeben. "Leben, um davon zu erzählen!" heißt ein Buch eines meiner Lieblingsschriftsteller, des Literaturnobelpreisträgers Gabriel Garcia Marquez. Dieser Titel könnte auch mein Lebensmotto sein.
Das heißt, mir ist wichtig, mich zu meinen Gefühlen, meiner Haltung und meiner Einstellung zu bekennen, zu leben und über das Leben zu sprechen: heiter und leicht, mit Humor, aber auch ernst reflektierend und tiefsinnig. Und wenn ich eine Botschaft habe, dann wäre das: Steh zu Deinen Werten, zu Deiner Meinung, zu Deinen Überzeugungen, zu Deinem Glauben! Egal, was andere denken. Wenn man so will, ist die Moral von der Geschicht’ mit Kerstin, dass Gott auch auf krummen Zahlen gerade schreibt, wir überaus froh und dankbar sind, dass Kerstin in unserem Leben ist. Trotz ihres nicht leichten Starts ins Leben ist sie ein großartiges Gottesgeschenk.
DOMRADIO.DE: Seit vielen Jahren engagieren Sie sich neben Ihrer Unternehmertätigkeit und Ihren zahlreichen Auftritten als Entertainer, Kommunikationsberater, Moderator und Kolumnist ehrenamtlich vor allem für benachteiligte Kinder, für die Sie Ferienlager organisieren. Was motiviert Sie dazu, und wie wirkt sich das auf Ihren Glauben aus? Und umgekehrt: Wie notwendig ist der Glaube für Ihr eigenes Selbstverständnis als Christ und Katholik?
Linzenich: Hier halte ich es mit dem Schuster Voigt, dem Helden aus Carl Zuckmayers "Hauptmann von Köpenick”, der zu seinen Taten befragt, antwortet: ”Wenn ich vor meinem Herren stehe und der fragt mich ‘Wat haste jemacht aus dein’ Leben?’ dann will auch ich eine Antwort parat haben!” Es ist sicher so, dass ich aus meinem Glauben an ein wie auch immer geartetes Leben nach dem Tod ein starkes Bedürfnis habe, Gutes zu tun. Das ist meine Motivation, aber es ist auch Teil meines Wesens. Allerdings habe ich auch Freunde, die durchaus nach christlichem Verständnis leben, ohne an Gott zu glauben. Ob man also notwendigerweise immer Gott braucht, um moralisch auf der richtigen Seite zu stehen oder Moral nicht doch schon im Wesen des Menschen grundgelegt ist – diese Frage kann ich nicht beantworten.
Außerdem würde das ja bedeuten, dass nur Menschen mit einem christlichen Backround etwas Gutes tun könnten. Das scheint mir zu kurz gegriffen. Und was täte ich dann, wenn ich meinen Glauben nicht hätte? Würde ich mich nicht um andere kümmern? Aber das ist alles graue Theorie. Was ich dagegen sicher weiß, ist, dass ich von diesen Kindern viel zurückbekomme. Und das ist unbezahlbar. Klar ist doch – und da bin ich ganz ehrlich: Wer anderen Gutes tut, handelt ja nicht immer nur aus purer Selbstlosigkeit. Das ist vielmehr eine Investition, die allerhöchste Gewinne bringt.
Das Interview führte Beatrice Tomasetti.