Christlich-jüdische Organisation verurteilt Demos

"Gefahrensituationen für Radikale"

Im Heimatland des Holocaust haben antisemitische Parolen und Plakate naturgemäß einen besonders bitteren Beigeschmack. Zu den jüngsten antisemitischen Aktionen und Parolen auf Anti-Israel-Demonstrationen ein DOMRADIO.DE-Interview.

Demo gegen Antisemitismus (dpa)
Demo gegen Antisemitismus / ( dpa )

DOMRADIO.DE: Sicher darf man Kritik an US-Präsident Trumps jüngstem Coup äußern, Jerusalem als Hauptstadt Israels anzuerkennen - und auch an triumphierenden Tönen der israelischen Regierung. Wie beurteilen Sie diesen ungebremsten Antisemitismus, der sich jetzt breitmacht?

Prof. Jürgen Wilhelm (Vorsitzender der Kölnischen Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit e.V.): Das sind Automatismen, die seit vielen Jahrzehnten im Nahen Osten entstehen. Allerdings kommen sie nicht aus dem Nichts. Wenn ich eine solche provokative Entscheidung der Vereinigten Staaten sehe, als wichtigster Partner Israels, ist das eine Verantwortungslosigkeit, bei der man nur mit dem Kopf schütteln kann. Dass Herr Netanjahu und auch viele Israelis das gut finden, mag verständlich sein. Aber wenn man aus der Distanz die politische Situation und die Brisanz sieht, die damit verbunden sind, dann ist es konsequent, was der US-Präsident in der letzten Woche schrecklicherweise und leider getan hat.

DOMRADIO.DE: Wie war denn Ihre Reaktion auf die Äußerung des US-Präsidenten?

Wilhelm: Ich freue mich über alles, was die Situation meiner jüdischen Freunde in Israel verbessern würde. Ich habe auch Verständnis dafür, dass man das mit Sympathie sieht. Es gibt auch eine nicht vollkommen abwegige Argumentation, dass man anerkennt, was faktisch schon seit 30 Jahren geschaffen worden ist. Aber wenn ich gemäßigte palästinensische Menschen spreche - und ich kenne sehr viele persönlich - dann ist ihnen wieder mal die Tür vor der Nase fest zugeschlagen worden. Eine Zwei-Staaten-Lösung ist weit von der Realisierung entfernt.

DOMRADIO.DE: Wie waren die Reaktionen ihrer jüdischen Freunde?

Wilhelm: Ich habe auch hier mit Kölnern gesprochen, die waren schon sehr freundlich und offen für die Entscheidung - aber nicht euphorisch. Sie sehen auch die Brisanz und Gefahr einer neuen Intifada (palästinensische Aufstände). Man hat natürlich den radikalen Palästinensern damit wieder den Ball auf den Elfmeterpunkt gelegt, den sie jetzt nur noch verwandeln müssen. Wozu? Ich muss ja den anderen in ihrer Radikalität keine Argumente geben, wenn der Status quo für die Menschen keinen Deut verbessert wird. Es werden Gefahrensituationen geschaffen durch Radikale und auch dem Terror nicht abgeneigte palästinensische Gruppen.

DOMRADIO.DE: Hier in Deutschland protestieren ja scheinbar nicht nur Palästinenser gegen Israel, es gibt wieder einen stärkeren Antisemitismus. Wie beurteilen Sie den?

Wilhelm: Es ist nicht unbedingt ein Antisemitismus, sondern vielleicht ein Anti-Israelismus oder ein Anti-Judaismus. Das kann man jetzt spitzfindig halten, ist aber schon ein Unterschied. Ich glaube, dass die meisten, die sich da jetzt äußern, auch über die politische Entscheidung aufregen und damit nicht automatisch Antisemiten sind. Abgesehen natürlich von denen, die das instrumentalisiert tun. Aber es gibt eine bedrohende Gemengelage und wir haben nicht nur einen latenten, sondern auch existenten Antisemitismus in Deutschland.

Ich schließe nicht aus, dass sich hinter der Demo auch ein Großteil verbirgt, der so denkt. Den Menschen, die Fahnen verbrennen, war das ein willkommener Anlass ihre Radikalität zu zeigen. Das ist so geschmack- und verantwortungslos auf deutschem Boden israelische Fahnen zu verbrennen. Diese Leute sind politischer Willkür ausgeliefert, sie sind einer Organisation unterstellt, die sich instrumentalisieren lässt. Sie haben eben jetzt durch Trump in schlimmster Weise wieder einen Anlass gefunden.

DOMRADIO.DE: Sie haben vor rund 30 Jahren die Bundeskanzler Helmut Schmidt und Helmut Kohl beraten in Sachen Nahen Osten. Was würden Sie denn der derzeitigen Bundeskanzlerin raten?

Wilhelm: Das ist das, was Frau Merkel schon ganz klug macht: Nicht auf Fragen antworten, die man nicht gestellt bekommt.

Das Gespräch führte Martin Mölder.

 

Prof. Dr. Jürgen Wilhelm  / © gemeinfrei
Prof. Dr. Jürgen Wilhelm / © gemeinfrei
Quelle:
DR
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