Christen fordern politische Teilhabe in Syrien

"Wie Bürger zweiter Klasse"

Die Bilanz in Syrien ein Jahr nach dem Sturz des Assad-Regimes ist nüchtern. Christen sehen sich weiter unter Druck. Die Lebenssituation der Menschen in dem Land bleibt prekär. Christliche Hilfswerke warnen vor voreiligen Schlüssen.

Blick von der maronitischen Kathedrale von Aleppo in Syrien am 17. Dezember 2018 auf Ruinen zerbombter Häuser der Stadt / © Jean-Matthieu Gautier (KNA)
Blick von der maronitischen Kathedrale von Aleppo in Syrien am 17. Dezember 2018 auf Ruinen zerbombter Häuser der Stadt / © Jean-Matthieu Gautier ( KNA )

Ein Jahr nach dem Sturz des Assad-Regimes in Syrien sieht das katholische Hilfswerk missio Aachen immer noch große Defizite bei der politischen Teilhabe aller Religions- und Bevölkerungsgruppen. 

"Wir ziehen eine eher ernüchternde Bilanz. Zwar sind die Kirchen geöffnet und Christen können ihren Glauben leben, doch fühlen sie sich wie Bürger zweiter Klasse, die vom Aufbau eines neuen Syriens ausgeschlossen sind", sagte missio-Präsident Dirk Bingener am Sonntag in Aachen. 

Dirk Bingener / © Julia Steinbrecht (KNA)
Dirk Bingener / © Julia Steinbrecht ( KNA )

In einigen Regionen hätten die Behörden beschlagnahmten Kirchenbesitz zurückgegeben und kooperierten mit Kirchenvertretern. "Das sind aber leider nur Einzelfälle. Insgesamt bezweifeln die Christen im Land den Reformwillen der neuen Regierung", berichtete Bingener weiter. Auch die Wahlen im vergangenen Herbst hätten das Vertrauen nicht gestärkt, da kaum Christen im Parlament vertreten seien. 

Radikale Kräfte üben Druck aus

Nach den Worten des missio-Präsidenten beobachten die Christen in Syrien zunehmend, dass konservativ-islamistische Kräfte mit radikalen Ansichten das öffentliche Leben in Bildungseinrichtungen und Verwaltung prägten. Zwar sei dies in großen Städten bisher weniger spürbar, aber im ländlichen Raum stünden Christen und andere Minderheiten deutlich unter Druck. 

Christen in Syrien / © Youssef Badawi (dpa)
Christen in Syrien / © Youssef Badawi ( dpa )

Die neue Regierung habe auch Gewalt, die islamistische Gruppen gegen Christen und andere Minderheiten verüben, nicht verhindern können. 

"Die Christen in Syrien sehnen sich nach Stabilität, Sicherheit und politischer Teilhabe. Diese Punkte sind Prüfsteine für die neue Regierung ein Jahr nach dem Sturz Assads", sagte Bingener. "Gelingt es ihr nicht, die Lage glaubwürdig und spürbar zu verbessern, werden noch mehr Christen überlegen, ob sie in diesem Land bleiben können."

Sicherheitslage in Syrien instabil

Auch die evangelischen Hilfswerke Diakonie Deutschland, Brot für die Welt und Diakonie Katastrophenhilfe bezeichneten die Sicherheitslage in Syrien als instabil. Sieben Millionen Menschen seien weiterhin innerhalb des Landes vertrieben. Es mangele an ausreichend Wohnraum und angemessener Unterstützung, erklärten sie am Sonntag in Berlin. 

Ein Kreuz steht auf dem Gelände des griechisch-orthodoxen Klosters Saint Takla in Maaloula / ©  Leo Correa (dpa)
Ein Kreuz steht auf dem Gelände des griechisch-orthodoxen Klosters Saint Takla in Maaloula / © Leo Correa ( dpa )

"Der internationale Plan für humanitäre Hilfe in Syrien für das Jahr 2025 war Anfang Dezember erst zu 30 Prozent finanziert. Dennoch werden in Deutschland immer wieder Forderungen nach möglichen Rückführungen von syrischen Geflüchteten laut", heißt es in der gemeinsamen Erklärung. 

Bewaffnete Milizen

"Bewaffnete Milizen stellen in ganz Syrien eine ernsthafte Bedrohung für die Menschen dar, die humanitäre und wirtschaftliche Lage im Land ist katastrophal. Damit fehlen wichtige Grundvoraussetzungen für Rückkehrende, sich ein neues Leben in der Heimat aufzubauen", erklärte Dagmar Pruin, Präsidentin von Brot für die Welt und Diakonie Katastrophenhilfe. "Der Schutz und die Unterstützung geflüchteter Menschen müssen weiterhin zentrale Leitlinien politischen Handelns bleiben."

Rüdiger Schuch, Präsident der Diakonie Deutschland, verwies auf Syrerinnen und Syrer, die längst Teil der deutschen Gesellschaft geworden seien. Rund 250.000 syrische Staatsbürger seien in Deutschland sozialversicherungspflichtig beschäftigt, viele von ihnen in Mangelberufen. "Es braucht ein klares Signal, dass viele Menschen bleiben werden und hier nach wie vor willkommen sind. Sie sollten in erster Linie Bleibeperspektiven haben, statt sie zur Rückkehr nach Syrien aufzufordern."

Quelle:
KNA