Ihr Gott sei der falsche, ihr Kreuz ein Zeichen für Blasphemie und die Existenz ihrer Gemeinden werde nicht länger erwünscht. Von solchen Sätzen erzählen Christen in der syrischen Stadt Homs am Telefon. Es seien vereinzelte Extremisten, die sie so beschimpfen würden. "Die Straßen sind mit Salafismus gefärbt", sagt ein Priester, der hier anonym bleiben soll.
Videos in den sozialen Medien zeigen Dschihadisten, die mit Selbstmordattentaten drohen, beschmierte Kirchen oder Menschen, die mit Gesängen gegen Christen und andere Nicht-Muslime hetzen.
Hetze gegen Nicht-Muslime
Manche dieser Videos sind gefälscht. Trotzdem wachse bei Christen das Gefühl, in Syrien nicht mehr sicher zu sein, sagt der Priester. "Viele sitzen gedanklich auf gepackten Koffern."
Es gibt keinen Krieg mehr, aber auch keinen richtigen Frieden. Das ist Syrien, ein Jahr nach dem Sturz von Ex-Diktator Bashar al Assad und seinem Regime. Jahrzehnte der Brutalität können nur langsam aufgearbeitet werden.
Langsame Aufarbeitung
Die neue Regierung hat zwar Gerechtigkeit versprochen. Sie will Assads Schergen vor Gerichte bringen. Bisher ist aber nicht viel passiert. Manchmal kommt es deswegen zu Fällen von Selbstjustiz oder blutigen Auseinandersetzungen krimineller Gruppen, die weiter frei herumlaufen.
So geschah es zum Beispiel im Herbst im Wadi an Nasara, dem "Tal der Christen" im Westen des Landes, wo etwa 150.000 Syrer christlichen Glaubens leben. Im Oktober erschossen vermummte Männer zwei von ihnen.
Sie waren Cousins, lebten im Dorf Anaz und gehörten einer lokalen pro-Assad-Miliz an. Sie sollen Mitbürger verraten, gegen Rebellen gekämpft und auch nach dem Regimesturz noch Drogen sowie andere Güter geschmuggelt haben.
"Es war ein Racheakt"
Auf der Bestattungsfeier erzählt ein Verwandter der zwei toten Cousins, dass die Tat sich nicht gegen Christen gerichtet habe. "Es war ein Racheakt."
Der Mann trauert um die Männer und versteht die Wut der Täter. Ein anderer Bewohner des Dorfes gibt zu, dass so manche Christen in der Gegend das Regime unterstützt hätten. Unfreiwillig, sagt er. "Wir haben mitgemacht, um uns und unsere Existenz zu schützen." Kooperation oder Verfolgung, so habe das Regime die Gläubigen im Griff gehabt.
Selbe Strategie mit neuer Regierung
Ein Jahr nach Assad verfolgen zahlreiche Kirchenführer dieselbe Strategie mit der neuen Regierung. Die ist aus einer islamistischen Miliz entstanden. Ihr Präsident, Ahmed al Sharaa, wurde jahrelang international als Terrorist gesucht.
Er war zuerst bei al Quaida und hatte sich dann selbstständig gemacht. Über die Jahre entstand so seine Miliz Hayat Tahrir al Sham. Unter ihrem Regiment in der nordwestlichen Provinz Idlib gab es lange Zeit Verfolgung statt Religionsfreiheit.
Kirchen ohne Kreuze
Das änderte sich erst in den letzten Jahren. Vor den selbstzufriedenen Augen der internationalen Öffentlichkeit durften Kirchen offiziell wieder benutzt werden, nur ohne Kreuze an ihren Fassaden.
Heute trägt der Ex-Dschihadist al Sharaa Anzug und Krawatte, trifft sich mit Staats- und Regierungschefs von Washington bis Moskau und gewährt auch den Christen in seinem Land Audienzen.
Um ein Wiederkehren internationaler Sanktionen zu verhindern, ist die syrische Regierung angehalten, die Minderheiten im Land gut zu behandeln. Al Sharaa braucht das Wohl der Christen, um die Wirtschaft wieder aufbauen zu können. Und die Christen brauchen al Sharaa, um nicht vertrieben zu werden – von salafistischen oder jihadistischen Gruppierungen im Land.
Einfache Christen bleiben skeptisch
Während die meisten Kirchenführer mitspielen, bleiben viele einfache Christen skeptisch. Der neue Präsident sei nicht besser als der alte, sagt eine Frau im Christenviertel von Damaskus. Für sie bleibt er der Terrorist mit seinem alten Kämpfernamen "al Jolani".
Unter dieser Bezeichnung hatte er in den vergangenen Jahren mehrfach Christen, darunter auch Bischöfe, entführen lassen.
Einer von ihnen ist der Apostolische Vikar von Aleppo, Erzbischof Hannah Jallouf. Im vergangenen März unterzeichnete er eine Erklärung, worin er dem syrischen Staat seine Unterstützung im Kampf gegen diejenigen zusagt, "die diesem Land Böses wollen und versuchen, es zu destabilisieren."
Einen Monat später erzählte Jallouf in einem Fernsehinterview, wie al Sharaa sich persönlich für seine Entführung entschuldigt habe. In einer Bilanz, die der Bischof im Rahmen eines Interviews im November zog, lobte er, dass die neuen Machthaber sich nicht in Predigten einmischen würden – anders, als es das Assad-Regime getan habe.
Pro-christliche Zeichen
Die neue Regierung hat tatsächlich auch pro-christliche Zeichen gesetzt. Es gab Renovierungen von manchen Kirchengebäuden und in der Provinz Idlib konnten Franziskaner in den vergangenen Wochen eine christliche Schule aufbauen.
Im Dorf Ghassaniye wurde zum Beispiel Ende November erstmals wieder eine Messe gefeiert. Dutzende christliche Anwohner sind seit dem Sturz des Regimes aus anderen Landesteilen nach Idlib zurückgekehrt.
Christen zwischen den Fronten
Woanders gerieten Christen zwischen die Fronten. Etwa bei Angriffen von Anhängern des alten Regimes und den daraus folgenden Massakern im März in der westlichen Küstengegend, wo viele Alawiten leben, starben Christen.
Die Kämpfe waren als Auseinandersetzung zwischen Alawiten und Sunniten provoziert worden, um die Regierung zu destabilisieren. Ähnlich wurden Christen im südsyrischen Suwayda, wo vor allem Drusen zuhause sind, in tödliche Unruhen einbezogen.
Im Sommer gab es heftige Kämpfe mit Beduinen und Regierungseinheiten. Bis heute erzählen staatliche Sicherheitsmänner, dass die Drusen christliche Häuser zerstört und Christen getötet hätten.
"Verrat" an den Christen und am syrischen Volk
Der syrisch-orthodoxe Priester Tony Boutros aus Suwayda bestreitet das. Männer der Regierung oder Beduinen hätten christliche Gebäude angezündet und verwüstet. "Verrat" sei das, an den Christen und am gesamten syrischen Volk, sagt der Priester.
"Es ist eine Schande, Konfessionen gegeneinander auszuspielen – wir alle sind Syrer." Seit den Unruhen hat die Regierung die Stadt Suwayda komplett verloren.
Auch weite Teile des Nordostens stehen nicht unter der Kontrolle der Regierung. Dort herrschen kurdisch-geführte Milizen, die den rund 35 christlichen Schulen in der Gegend im Herbst ein Ultimatum stellten:
Entweder sie übernehmen den Lehrplan der Kurdischen Selbstverwaltung oder sie werden geschlossen. Seit Jahren machen die Schulen Unterricht nach den Vorgaben aus Damaskus. So ist sichergestellt, dass sich Absolventen im ganzen Land weiterbilden können.
Als sich die Schulen weigerten, die Lehrpläne der kurdischen Milizen zu übernehmen, stand der Lehrbetrieb eine Zeit lang still. Es dauerte ein paar Wochen, bis die kurdische Führung einlenkte.
Leicht ist christliches Leben in Syrien nicht. Einst hatten in diesem Land die Urchristen gewirkt. Bis heute erzählen hunderte und meist zerstörte Kirchen davon, wie in Syrien erstmals aus der profanen Basilika ein religiöses Baukonstrukt wurde.
Bis heute beweisen Nachbarschaften mit Christen, Sunniten, Alawiten oder Drusen, dass interreligiöser Dialog nicht unmöglich ist. Die Christen sind Teil des bunten, syrischen Gesellschafts-Mosaiks. Doch das droht nun zu zerbröckeln, ein Jahr nach dem Sturz von Assad.