Kommentar von Nahost-Korrespondentin zum Alltag in Syrien

Können Syrer zurückgeschickt werden?

"Syrien sieht schlimmer aus als Deutschland 1945", soll Außenminister Wadephul gesagt haben, nachdem er die Ruinen von Damaskus gesehen hat. Unrecht habe er mit der Aussage nicht, findet Syrien-Expertin Marion Sendker. Ein Kommentar.

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Marion Sendker
Syrien im Oktober 2025: Im Bürgerkrieg zerstörte Häuser. / © Marcus Brandt/dpa (dpa)
Syrien im Oktober 2025: Im Bürgerkrieg zerstörte Häuser. / © Marcus Brandt/dpa ( dpa )

"Syrien sieht schlimmer aus als Deutschland 1945", soll Johann Wadephul neulich in der Unionsfraktion gesagt haben. Der Satz kommt ein paar Tage, nachdem der bundesdeutsche Außenminister zur Stippvisite in Damaskus war.

Wadephuls syrischer Amtskollege hatte ihn durch die Ruinen eines Vororts von Damaskus geführt - wo laut Wadephul "kaum Menschen richtig würdig leben" könnten. Unrecht hat er damit nicht. Nach Angaben der Weltbank ist etwa die Hälfte der syrischen Infrastruktur zerstört. Der Wiederaufbau soll demnach bis zu 20 Jahre dauern und mindestens 216 Billionen US-Dollar kosten.

Außenminister Johann Wadephul (CDU) hat mit Raed Saleh (rechts), Minister für Katastrophenschutz in Syrien, ein humanitäres Projekt besucht. / © Marcus Brandt/dpa (dpa)
Außenminister Johann Wadephul (CDU) hat mit Raed Saleh (rechts), Minister für Katastrophenschutz in Syrien, ein humanitäres Projekt besucht. / © Marcus Brandt/dpa ( dpa )

Doch Wadephuls Aussagen sind nicht nur einen Ticken zu emotional für jemanden, der das deutsche Außenministerium anführt, sie werden auch weder dem Nachkriegsdeutschland noch dem Nachkriegssyrien gerecht. Zwei Punkte müssen unterschieden werden: Sicherheit und Wirtschaft.

Nachkriegsdeutschland nicht gleich Nachkriegssyrien 

Seitdem vor knapp einem Jahr das Regime von Ex-Diktator Bashar al Assad gestürzt wurde, hat sich vieles in Syrien verändert. Die Sicherheitsfrage spielt für die meisten Menschen in den meisten Regionen eine untergeordnete Rolle. Ja, die neue Regierung ist nicht Herrin der Sicherheitslage. Es hat Massaker an Alawiten gegeben, Kämpfe in drusischen Gebieten und einen Terroranschlag auf eine christliche Kirche in Damaskus.

Weil die neue Regierung zu wenig geschultes Sicherheitspersonal hat, organisieren sich Teile der Gesellschaft: Christen in der Hauptstadt patrouillieren nachts ihre Viertel, junge Drusen, Sunniten und auch manche Alawiten haben sich in manchen Regionen zu regionalen Sicherheitstrupps zusammengetan. All das geschieht in Absprache mit der syrischen Regierung und in dem verbindenden Wunsch, das Land wieder aufzubauen. 

Marion Sendker / © Burhan Akdag (DR)
Marion Sendker / © Burhan Akdag ( DR )

Dafür ist Sicherheit eine Grundvoraussetzung, die nur vor allem in zwei Regionen nicht gegeben ist: die vor allem drusische Gegend um Suwayda in Südsyrien und ein weitaus größeres Areal im Nordosten des Landes. Das Gebiet macht etwas ein Drittel Syriens aus und steht unter der Kontrolle von extremistischen Kurden.

Bewohner flüchten vor kurdisch geführten Milizen

Die extremistischen Kurden verkaufen auch nach Deutschland das romantische Märchen eines Freiheitskampfes "der Kurden", obwohl mehr als die Hälfte ihrer Kämpfer Araber sind und sich nur angeschlossen haben, weil sie fürs Kämpfen ein wenig Geld bekommen. Wer aus Deutschland dorthin zurückgeschickt wird, muss sehr wahrscheinlich mit Festnahme, Erpressung oder Zwangsrekrutierung rechnen. Auch ein Jahr nach dem Umsturz des Regimes in Syrien fliehen Bewohner des Nordostens vor kurdisch geführten Milizen. 

90 Prozent lebt unter Armutsgrenze

Der zweite Punkt ist die Wirtschaft. Etwa 90 Prozent der syrischen Bevölkerung lebt unter der Armutsgrenze. Strom gibt es meistens nur für ein paar Stunden am Tag, fließendes Wasser ist nicht überall eine Selbstverständlichkeit. Statt Arbeitsperspektiven breiten sich Korruption und Schwarzarbeit aus. Eine ausreichende Gesundheitsversorgung ist genauso wenig garantiert wie Schulbildung. Das gilt vor allem für die Syrer, deren Kinder jahrelang im Ausland gelebt haben. Sie können oft vielleicht Arabisch sprechen, es aber nicht ausreichend lesen oder schreiben.

Vor den Ruinen im syrischen Harasta haben die Menschen Bäume gepflanzt. / © Marcus Brandt/dpa (dpa)
Vor den Ruinen im syrischen Harasta haben die Menschen Bäume gepflanzt. / © Marcus Brandt/dpa ( dpa )

"Nur Idioten kehren in dieses Syrien zurück", hat mir bei einem Syrienbesuch ein christlicher Unternehmer in Damaskus gesagt. Er selbst bleibt nur, weil er sich um seine alte Mutter kümmert. So geht es immer mehr Menschen. Viele Christen würden Syrien am liebsten verlassen, 

Christen fühlen sich in Syrien diskriminiert

Minderheiten wie Christen fühlen sich zunehmend durch die Regierung zum Teil diskriminiert oder haben Angst vor einzelnen islamistischen Kleingruppen, die die Regierung nicht unter Kontrolle hat - oder mit denen sie in Teilen indirekt kooperiert. Es bringt aber auch nichts, als Bundesregierung Minderheitenschutz zur Bedingung für wirtschaftliche Hilfen zu machen. Syrische Regierungsanhänger wissen, dass Deutschland im Zweifelsfall und angesichts der Zerstörung, die auch Wadephul gesehen hat, trotzdem zahlt.

Und wenn nicht, dann gibt es ja noch Länder wie die reichen Golfstaaten, China oder Russland. Die meckern auch nicht über Menschenrechte. Deutschland spielt für die syrische Regierung schon jetzt kaum eine Rolle.

Die Syrer in Deutschland wurden dagegen zuletzt von einem Medienberater des Präsidenten für ihre Unterstützung gelobt. Viele Familien in der Heimat werden von Verwandten in Europa finanziert. Während aus dem Nachbarland Türkei in den vergangenen elf Monaten mehr als eine halbe Million Syrer freiwillig zurückgekehrt sind, liegt die Zahl der Rückkehrer aus Deutschland bei schätzungsweise eintausend. Stand Mai waren es etwa 800 Menschen.

Syrien brauche Kraft von Rückkehrern

Dabei wird ihre Kraft gerade jetzt dringend benötigt, damit das Land nicht in den Ruinen seiner Vergangenheit untergeht, das 2.000 Jahre alte christliches Leben nicht noch weiter verschwindet und auch Angehörige von anderen Minderheiten nicht mehr Opfer von Anschlägen oder Massakern werden. Ein Großteil davon ist noch dazu aus dem Ausland geplant oder provoziert worden. Kämpfe in drusischen Gebieten im Frühjahr zum Beispiel wurden durch einen Fake-Audioclip aus den Niederlanden ausgelöst.

Wenn die Bundesregierung wirklich an einem stabilen Syrien und an einer Rückkehr von Syrern in Deutschland interessiert ist, solle sie da ansetzen: Netzwerke von Assad-Anhängern oder kurdischen Extremisten in Europa zerschlagen, zwischen Damaskus und Tel Aviv vermitteln, Einfluss nehmen auf Nachbarländer Syriens, Minderheiten fragen, was sie konkret brauchen und vor allem als ernster Partner auftreten – und nicht als Regierung, die sich von Zerstörung beeindrucken lässt.

Für viele Syrer ist die Verwüstung seit Jahren Alltag. In manchen Ruinen leben sogar Familien. Eine Gruppe Kinder, deren Wohnung nicht einmal eine Haustür hat, verriet mir im Sommer ihren größten Wunsch: Sie wollen ein Fahrrad und jeden Tag zur Schule gehen. 

Marion Sendker ist freie Korrespondentin in Istanbul und reist regelmaßig nach Syrien

Christen in Syrien

Syrien gilt als Wiege des Christentums. Vor dem 2011 ausgebrochenen Bürgerkrieg waren laut Daten der Linzer "Initiative Christlicher Orient" etwa 7 Prozent der damals 21 Millionen Syrer christlich. Aktuelle Zahlen sind schwer zu ermitteln, auch weil mindestens 5,5 Millionen Syrerinnen und Syrer aus dem Land geflohen sind. Nach verschiedenen Schätzungen soll es noch maximal 500.000 Christen in Syrien geben. Rund drei Viertel der Syrer sind sunnitische Muslime, etwa 12 Prozent gehörten vor dem Krieg der Sekte der Alawiten an, darunter auch der nun gestürzte Assad-Clan. 

Außenansicht der Kirche Sankt Georg in Izra (Syrien) / © Karin Leukefeld (KNA)
Außenansicht der Kirche Sankt Georg in Izra (Syrien) / © Karin Leukefeld ( KNA )
Quelle:
DR

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