Caritas kritisiert Merz für "Sozialtourismus"-Aussage

"Wir brauchen jetzt weltweite Solidarität"

Der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz bezeichnete Geflüchtete aus der Ukraine als "Sozialtouristen". Dafür kritisiert die Caritas-Flüchtlingshilfe im Erzbistum Köln ihn scharf. Statt Populismus werde in der Krise Solidarität gebraucht.

Moldau, Palanca: Geflüchtete warten nach dem Grenzübertritt von der Ukraine nach Moldau in einer Wärmehalle auf den Transport / © Robin Loznak (dpa)
Moldau, Palanca: Geflüchtete warten nach dem Grenzübertritt von der Ukraine nach Moldau in einer Wärmehalle auf den Transport / © Robin Loznak ( dpa )

DOMRADIO.DE: Friedrich Merz hat sich mittlerweile für das Wort Sozialtourismus entschuldigt. Trotzdem bleibt ein ziemliches Geschmäckle, oder?

Irene Porsch, Flüchtlingsbeauftragte der Caritas / © Caritas (Diözesan-Caritasverband Erzbistum Köln)

Irene Porsch (Flüchtlingsbeauftragte des Diözesan-Caritasverbands für das Erzbistum Köln e. V.): Ja, es bleibt ein ziemliches Geschmäckle, wenn wir uns die Verfolgungen in Rostock-Lichtenhagen vor 30 Jahren anschauen oder die Ereignisse in der Kölner Silvesternacht 2015 und was daraus gemacht wurde.

All das sind Polarisierungsdebatten, die Effekte auf die Bevölkerung haben, die wir gerade nicht gebrauchen können. Wir brauchen jetzt wirklich weltweite Solidarität, aber auch hier vor Ort, weil auch hier die Not der Menschen steigt, aber eben auch weltweit.

DOMRADIO.DE: Was heißt das konkret? Die Menschen in den Kriegsgebieten in der Ukraine leiden sowieso schon. Was droht mit Blick auf den Winter?

Porsch: Wir haben ja die Bilder gesehen von zerstörten Städten wie Charkiw oder auch Mariupol. Da ist die Infrastruktur einfach kaputt gebombt. Das heißt, wenn jetzt der Winter kommt, die Temperaturen fallen, dann platzen die letzten Wasserrohre. Heizungssysteme sind sowieso größtenteils zerstört. Das bedeutet, immer mehr Menschen werden sich auf den Weg aus der Ukraine machen müssen, die im Moment noch gut dort bleiben können, weil sich in einigen Regionen ja die Sicherheitslage verändert hat.

Gleichzeitig haben wir als Folge des Ukrainekrieges, aber auch zum Beispiel als Folge des Taliban-Regimes in Afghanistan, eine Ernährungskrise. In Afghanistan und auch in Syrien fehlen Lebensmittel, weil auf dem Weltmarkt nicht genügend verfügbar sind. Auch in Syrien haben wir durch Putin zerstörte Städte, wo jegliche Infrastruktur immer noch kaputt ist.

Irene Porsch, Flüchtlingsbeauftragte des Diözesan-Caritasverbands für das Erzbistum Köln

"Wir können diese Menschen in dieser Not nicht alleine lassen."

All dies zusammen führt dazu, dass sich wieder mehr Menschen auf den Weg machen. Die Balkanroute füllt sich gerade und es wird auch erwartet, dass im Winter mehr Menschen aus der Ukraine fliehen müssen. Die steigenden Energiepreise in ganz Europa sind ein weiteres Problem. Somit stehen auch die Geflüchteten aus der Ukraine in den Anrainerstaaten wie Polen vor der Herausforderung, dass die Kosten steigen und sie da nicht mehr gut versorgt sind. Dann machen sie sich auch auf den Weg nach Deutschland. Wir können diese Menschen in dieser Not nicht alleine lassen.

DOMRADIO.DE: Das heißt, wie können und müssen wir da helfen?

Porsch: So wie wir es bisher auch getan haben. Weghören, wenn Friedrich Merz meint, irgendwie ein bisschen Wahlkampf oder ein bisschen schlechte Stimmung machen zu müssen, sondern wirklich den Menschen helfen, ein warmes und herzliches Willkommen zu bereiten und gemeinsam schauen, wie wir Menschen, die fliehen mussten, hier ein gutes Ankommen ermöglichen.

Irene Porsch, Flüchtlingsbeauftragte des Diözesan-Caritasverbands für das Erzbistum Köln

"Weghören, wenn Friedrich Merz meint, irgendwie ein bisschen schlechte Stimmung machen zu müssen, sondern wirklich den Menschen helfen und ein warmes und herzliches Willkommen bereiten."

Aktion Neue Nachbarn

Im November 2014 hat Erzbischof Rainer Maria Kardinal Woelki die „Aktion Neue Nachbarn“ ins Leben gerufen. Denn aus allen Teilen der Welt – dem Nahen Osten, Osteuropa und Afrika – flüchten Menschen nach Deutschland, um Krieg, Katastrophen, Verfolgung und bitterer Armut in ihren Herkunftsländern zu entgehen. Schreckliche Erlebnisse und Schicksale pflastern diesen Weg. Ihre Flucht war und ist gefährlich und endete bereits für viele tödlich. Unzählige Familien wurden und werden zudem auseinandergerissen. Bis heute ruft der Kölner Erzbischof immer wieder dazu auf, diesen Menschen zu helfen.

Neue Nachbarn im Erzbistum Köln / © Barbara Bechtloff (Caritas Köln)
Neue Nachbarn im Erzbistum Köln / © Barbara Bechtloff ( Caritas Köln )

Dafür sorgt die Aktion "Neue Nachbarn" und mit den gut 11.000 Engagierten und Ehrenamtlichen, die an verschiedensten Stellen unterstützen, Geflüchtete zusammen mit dem Fachdienst Integration und Migration informieren und ihnen vor allem zeigen, dass wir Menschen tatsächlich nicht alleine lassen in dieser Not. Gleichzeitig bereitet sich die Caritas auch darauf vor, den Menschen zu helfen, die hier unter den explodierenden Energiekosten leiden und voller Sorgen und Ängste sind.

DOMRADIO.DE: Es gibt insgesamt 20 Integrationsbeauftragte, die in der Fläche schon seit vielen Jahren eben genau das machen, was sie gerade angesprochen haben. Was haben Ihnen diese zurückgemeldet, was gerade bei der Hilfe für die Geflüchteten gebraucht wird?

Porsch: Gebraucht werden Sprachkurse, aber auch Begegnungsangebote wie Willkommens-Cafés, Schul- und Kitaplätze, das ist ein Riesenproblem in Nordrhein-Westfalen, und am dringendsten natürlich: bezahlbarer Wohnraum.

Aber das ist leider ein Problem, das haben wir in den Metropolen hier im Erzbistum ja nicht nur bei Geflüchteten. Wichtig ist auch, Möglichkeiten anzubieten, sich hier zu orientieren, erst einmal anzukommen und auch ein bisschen zur Ruhe zu kommen angesichts des Kriegsgeschehens.

Das Interview führte Martin Mölder.

Quelle:
DR
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