Canisius-Schulleiter reflektiert Missbrauchsvergangenheit der Schule

Gegen das Schweigen

Am 28. Januar 2010 veröffentlichte die Berliner Morgenpost einen Brief von Pater Klaus Mertes, in dem er den jahrelangen Missbrauch an Schülern im Canisius-Kolleg bekanntmachte. Ein einschneidendes Erlebnis mit Auswirkungen bis heute.

Autor/in:
Tobias Fricke
Canisius-Kolleg in Berlin / © Christoph Scholz (KNA)
Canisius-Kolleg in Berlin / © Christoph Scholz ( KNA )

DOMRADIO.DE: Vor 15 Jahren war das Canisius-Kolleg in allen Nachrichten. In der Kirche war diese Art der Aufklärung und Öffentlichkeit umstritten. Wie sehen Sie das heute? Wie wichtig war dieser Schritt, den Pater Mertes gegangen ist?

Jan Bernhardt (Schulleiter des Canisius-Kollegs Berlin): Ich glaube, dass dieser Schritt sehr wichtig gewesen ist, sowohl für uns als Schule mit Blick auf die Aufarbeitung unserer Schulgeschichte. Aber eben auch mit Blick auf die Präventionsarbeit und ganz allgemein die Arbeit mit Schülerinnen und Schülern und den vielen pädagogischen Herausforderungen, die dazugehören. 

Nahmen an der Diskussion teil - Jesuitenpater Klaus Mertes (l.), Rektor des Canisius-Kollegs, und Bischof Stephan Ackermann, der Beauftragte der katholischen Kirche für die Missbrauchsfälle. (DR)
Nahmen an der Diskussion teil - Jesuitenpater Klaus Mertes (l.), Rektor des Canisius-Kollegs, und Bischof Stephan Ackermann, der Beauftragte der katholischen Kirche für die Missbrauchsfälle. / ( DR )

Dieses Interview ist insofern ein Wendepunkt, weil Schule und alle Bereiche, die mit Kindern und Jugendlichen arbeiten, seitdem viel stärker oder vielleicht zum ersten Mal einen Fokus darauf haben, dass bestimmte Themen nicht nur zu bedenken, sondern auch ganz konkret anzusprechen  und zu behandeln sind in unserer Arbeit mit unseren Schülerinnen und Schülern. Deshalb ist es ein ganz zentraler Moment. 

DOMRADIO.DE: Immer wieder wird in der Schule über den Missbrauchsskandal gesprochen. Ist das ein Thema unter Eltern, Schülerinnen und Schülern? 

Bernhardt: Es ist ein Thema. Wir merken, dass das Wissen ein wenig verloren geht. Wir haben Eltern hier, aber auch Schülerinnen und Schüler, die das Canisius-Kolleg nicht mit diesen Missbrauchsvorfällen verbinden oder das Jahr 2010 nicht mit dem Beginn der Aufarbeitung verbinden. Aber es sind durchaus Kenntnisse da. Bei den Eltern sind es natürlich mehr als bei den Schülerinnen und Schülern. Es ist bekannt, dass wir das damals aktiv bearbeitet haben und das Thema immer noch ganz klar auf unserer Agenda ist.

Wir haben auf unserer Homepage Informationen dazu und betten das alles in den Rahmen unseres Präventionskonzeptes ein. Wir sind da sehr klar und transparent. Uns ist das auch sehr wichtig, weil das Canisius-Kolleg damit in Verbindung gebracht wird. 

DOMRADIO.DE: Was tun Sie dafür, dass solche Vorfälle heutzutage nicht mehr vorkommen? 

Bernhardt: Wir haben zwei Perspektiven. Für die Arbeit mit unseren Schülerinnen und Schülern haben wir uns nach dem Jahr 2010 ein Präventionskonzept erarbeitet und auch schon davor damit begonnen. Jede Klassenstufe behandelt verschiedene Schwerpunkte der Präventionsthematik. Dabei geht es unter anderem um Fragestellungen zu sexuellem Missbrauch und Verhinderung von Missbrauch.

Jan Bernhardt

"Ziel der Präventionsarbeit ist es, die Schülerinnen und Schüler darin zu stärken, Themen anzusprechen und sich Hilfe und Unterstützung zu holen."

Ziel der Präventionsarbeit ist es, die Schülerinnen und Schüler darin zu stärken, Themen anzusprechen und sich Hilfe und Unterstützung zu holen. Darüber muss informiert werden. Dafür muss man ins Gespräch gehen. Man muss arbeiten. Was sind die Grenzen, die Erwachsene zu beachten haben? Was sind aber auch die Grenzen im täglichen Umgang miteinande? Die Präventionsthematik ist eine ganz breite Fragestellung. Und das muss auch unbedingt so sein.

Mit Blick auf die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter finden auch verpflichtende Präventionsschulungen für alle statt, sobald man anfängt, hier zu arbeiten. Es geht um das Vorbringen des polizeilichen Führungszeugnisses. Wir haben ein Schutz- und Präventionskonzept, das Teil unserer Dienstvereinbarung ist. Und darauf werden alle, die hier tätig sind, festgemacht. Das sind Regeln, an die sich alle halten müssen.

DOMRADIO.DE: Vor 15 Jahren war die Öffentlichmachung dieser Missbrauchstaten ein großer Skandal für Ihre Schule. Hat das dem Image geschadet? Sind Anmeldungen zurückgegangen?

Bernhardt: Die Art und Weise, wie die Schulgemeinschaft und der Jesuitenorden als Träger der Schule damit umgegangen ist, hat dazu geführt, dass ein Schaden verhindert worden ist. Eben weil man transparent war und die Sachen benannt hat und immer noch benennt. Von vornherein hat man immer nach außen kommuniziert und das auch aktiv so durchgeführt; welche Konsequenzen müssen wir daraus ziehen für die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen? 

Ich glaube, das ist der wesentliche Punkt an dieser Stelle. Dass diese Schule weiterhin gut existiert, hängt ganz viel damit zusammen, dass wir das auch weiterhin als unsere Verpflichtung wahrnehmen, was da 2010 passiert ist. 

DOMRADIO.DE: Das Canisius-Kolleg feiert in diesem Jahr den hundertsten Geburtstag. Spielt da auch der Missbrauchsskandal eine Rolle oder wollen Sie das trennen? 

Bernhardt: Es gehört zur Schulgeschichte dazu. Deswegen haben wir mit unseren Schülerinnen und Schülern und mit der gesamten Schulgemeinschaft im Januar dazu gearbeitet. Es ist für uns auch eine Frage, die nach innen ganz zentral ist. Es ist Teil unseres Selbstverständnisses als pädagogischer Ort, als Herausforderung, die da ist. 

Jan Bernhardt

"Der Missbrauchsskandal ist eine tägliche Herausforderung unserer pädagogischen Arbeit."

Deswegen passieren viele Sachen, aber eben immer in dem größeren Rahmen des Präventionskonzeptes. Es wäre unsinnig zu sagen, wir werden 100 Jahre alt, jetzt holen wir es wieder vor. Der Missbrauchsskandal ist eine tägliche Herausforderung unserer pädagogischen Arbeit. Wie gehen wir miteinander um? Wo sind die Grenzen zwischen Schülerinnen und Schülern, Erwachsenen und Lehrkräften? Die Frage ist viel allgemeiner, als dass man es jetzt auf 100 Jahre verkürzen könnte. 

Das Interview führte Tobias Fricke.

Quelle:
DR

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