DOMRADIO.DE: Warum gehört die Religionsfreiheit fundamental zu den Menschenrechten?
Thomas Rachel (Beauftragter der Bundesregierung für Religions- und Weltanschauungsfreiheit): Religions- und Weltanschauungsfreiheit ist ein zentraler Teil der universalen Menschenrechte. Denn sie ist unmittelbar mit der Identität der Menschen verbunden. Sie hängt eng zusammen mit Gewissensfreiheit und Meinungsfreiheit.
DOMRADIO.DE: Also ohne Religionsfreiheit auch keine Menschenrechte?
Rachel: Religions- und Weltanschauungsfreiheit ist ein Menschenrecht. Und ohne diese Freiheit sind auch andere Menschenrechte schnell gefährdet.
DOMRADIO.DE: Nehmen wir ein konkretes Beispiel: Nigeria ist in aller Munde. Dort gab es schlimme Christenverfolgung, sehr brutal und gewaltvoll. Das sind sicher Länder, mit denen Sie sich besonders beschäftigen.
Rachel: Die Sicherheitslage in Nigeria macht uns große Sorgen. Nicht nur Christen leiden, dem Terror der Boko Haram etwa fallen vor allem Muslime zum Opfer. In den vergangenen Jahren fanden gerade in der Weihnachtszeit brutale Anschläge gegen Christen statt. Aber auch jetzt erleben wir Entführungen von Kindern aus einem katholischen Internat und aus anderen Einrichtungen oder Anschläge auf Kirchen. Das sind massive Beeinträchtigungen in der Ausübung der Religionsfreiheit, aber in erster Linie auch Ausdruck von Gewalt nicht-staatlicher Kräfte.
DOMRADIO.DE: Inwieweit wird Nigeria ein Spielball der Weltpolitik? Donald Trump hat sich sehr vehement geäußert und sich für die Christen eingesetzt.
Rachel: Nigeria ist ein souveräner, demokratisch verfasster Staat. Es spielt als bevölkerungsreiches Land und Wirtschaftsmotor eine wichtige Rolle auf dem afrikanischen Kontinent und ist übrigens ein ganz wichtiger Partner der Bundesregierung. Entscheidend ist, dass Nigeria als Staat den Schutz der Menschen – der religiösen Minderheiten, der Kirchen, der Schulen – zum zentralen Anliegen macht. Durch die Äußerungen von Donald Trump ist die Aufmerksamkeit für Nigeria verstärkt worden.
DOMRADIO.DE: Trump hat zumindest angedeutet, dass er sich einen Militäreinsatz vorstellen kann. Das muss man kritisch sehen.
Rachel: Ich glaube, den Menschen hilft konkrete Unterstützung mehr. Ich hatte den katholischen Bischof Wilfred Chikpa Anagbe CMF (Bistum Makurdi, Anm. d. Red.) zu Besuch, der mir über die schwierige Situation berichtet hat. Er kann in seine Heimatregion nicht zurück, weil es zu gefährlich ist. Nigeria hat bekräftigt, dass es offen für die Zusammenarbeit im Sicherheitsbereich ist, solange die nationale Souveränität geachtet wird.
Gerade im Norden steht Nigeria vor der großen Herausforderung, den Terrorismus von Boko Haram und dem IS zu bekämpfen. Opfer sind alle, die den extremistischen Interpretationen dieser Terrorgruppen nicht folgen – ganz gleich, ob Muslime, Christen oder Angehörige anderer Religionen. Im "Middle Belt" und im Süden Nigerias gibt es Auseinandersetzungen um Ressourcen zwischen zum Teil militanten Fulbe-Hirten und überwiegend christlichen Bauern. Zwei Bischöfe berichteten mir auch über gezielte Angriffe islamistischer Gruppen auf Christinnen und Christen. Wichtig sind die Terrorismusbekämpfung und die Stabilisierung der Regionen durch andere Staaten wie die Bundesrepublik.
DOMRADIO.DE: Ein anderes Land, auf das Sie blicken, ist Syrien. Wie schätzen Sie die Lage dort ein?
Rachel: Dieses Jahr hat gezeigt, dass religiöse Minderheiten auch in Syrien unter Druck sind. Ich denke an das Attentat des IS auf die griechisch-orthodoxe Kirche in Damaskus, bei dem 22 Menschen getötet wurden. Ich denke an die Gewaltakte in Suwaida, bei denen mehrheitlich Drusen getötet wurden, und an die Ausschreitungen gegen Alawiten. Das führt zu großer Sorge, ob Minderheiten überhaupt eine Zukunft in Syrien haben können. Die syrische Regierung muss erkennen, dass ihre religiöse Vielfalt, die das Land über Jahrhunderte geprägt hat, auch ihr Zukunftsmodell sein kann und muss.
DOMRADIO.DE: Welche Rolle kann ein Beauftragter der Bundesregierung dabei spielen?
Rachel: Er hilft, den Blick zu schärfen – für Gruppen, die unter Druck sind. Für Christinnen und Christen, die um ihre Zukunft und ihr Leben fürchten, aber auch für Angehörige anderer religiöser Minderheiten. Deutschland hat die Aufgabe, den Schutz religiöser und ethnischer Minderheiten zu einem zentralen Thema der Gespräche mit Syrien zu machen.
DOMRADIO.DE: Stoßen Sie in der Bundesregierung auf offene Ohren?
Rachel: Die Tatsache, dass das Bundeskabinett und der Bundeskanzler entschieden haben, einen Beauftragten für Religions- und Weltanschauungsfreiheit im Außenministerium zu etablieren, zeigt die hohe Bedeutung des Themas. Mein Ziel ist, dass die Dimension von Religion in der Außenpolitik mitgedacht und in diesem Sinne mitgestaltet wird.
Das Interview führte Johannes Schröer.