DOMRADIO.DE: Sie unterstützen Katholikinnen und Katholiken in Skandinavien, im Baltikum oder auch in Ostdeutschland. Was sind aktuell die größten Herausforderungen für die Menschen in der Diaspora?
Monsignore Georg Austen (Generalsekretär des Bonifatiuswerks): Das Bonifatiuswerk unterstützt als Hilfswerk für den Glauben und Menschen schon seit 1849 unter Solidarität Menschen, die in einer Minderheitensituation leben. In Ostdeutschland beispielsweise gehören etwa 80 Prozent der dort lebenden Bevölkerung keiner christlichen Kirche an.
Große Herausforderungen in der Diaspora sind die weiten Entfernungen, besonders in den kleinen Gemeinden in Nordeuropa. Oftmals mangelt es den Diözesen an Geld und kirchlicher Infrastruktur. Das sind sehr große Herausforderungen, da sind die Menschen schon auf unsere Solidarität angewiesen.
Wenn ich den Blick nach Nordeuropa wende, beispielsweise nach Island, existieren dort große Unterschiede. Es gibt nur eine sehr kleine katholische Gemeinschaft, etwa vier Prozent der dort lebenden Bevölkerung, aber die Kirche wächst dort erfreulicherweise. 2004 gab es etwa 3.400 registrierte Katholiken. Heute sind es mehr als 16.000 in Island, wobei man von einer doppelten Anzahl ausgeht. Es ist dort eine junge, wachsende und internationale Kirche.
DOMRADIO.DE: Das muss für ein Hilfswerk doch eine erfreuliche Entwicklung sein. Wie steht es denn um den Zusammenhalt in dieser internationalen Kirche?
Austen: Es berührt mich sehr, dass dort andere Nationen und Nationalitäten nicht nur als Befremdung erlebt werden. Und so sehe ich es auch, dass sie eine Bereicherung für unsere Kirche sind. Etwa 172 Nationen gehören dort zu den Kirchen in Nordeuropa.
Das sind die Herausforderungen und Chancen, Menschen eine Beheimatung zu geben, wenn sie als Migranten aus Polen, aus Afrika, aus Kroatien, aus vielen anderen Ländern kommen. Egal, ob als Geflüchtete oder auch als Arbeitsmigranten: Sie finden in der Kirche eine neue Heimat. Diese Menschen leben ihren Glauben und bilden Gemeinden, auch mit den Schwierigkeiten der großen Entfernungen oder oft auch klimatischen Bedingungen.
DOMRADIO.DE: Haben Sie ein konkretes Beispiel, denn Entfernung können auch Sie nicht ändern, wie man konkrete Hilfe da gestalten kann?
Austen: Ein Beispiel bei uns sind die "Boni-Busse", also wo man eben mit unserem Markenzeichen Menschen zusammenführen kann. In Deutschland fahren etwa 600 davon und bringen Menschen zu Gottesdiensten zusammen, oder zur Kinder- und Jugendarbeit und in vielen anderen Bereichen.
Wir unterstützen beispielsweise gerade den Umbau eines Klosters in Hafnarfjörður in Island. Dort werden neue Wohnungen gebraucht, wo es auch ein Ort des Gebets für die Menschen ist, aber wo ich auch einladend aufgenommen werde in der Gastfreundschaft.
Oder im isländischen Selfoss hat die Gemeinde einen Durchmesser von etwa 300 Kilometern. Dort wird eine neue Kirche gebaut. Derzeit feiert man den Gottesdienst in einer Wohnung, die natürlich viel zu klein ist. Dort kommen Menschen zusammen und erleben nun, wie ein neues Gotteshaus gebaut wird. Das ist eben wichtig, neben Orten auch Personen zu haben, die uns mit begleiten. Das geht dank der Spender und Spenderinnen, die diese Projekte unterstützen.
DOMRADIO.DE: Haben Sie noch ein kurzes Beispiel aus Deutschland?
Austen: In Hamburg unterstützen wir beispielsweise ein caritativ-soziales Projekt, ein Beispielprojekt von uns in diesem Jahr: "Klaras Küche", wo man Essen, Lebensmittel und Kleidung bekommt, vor allen Dingen aber auch Wertschätzung. Und dann natürlich im Bereich von Katechese, von Gotteshäusern, das ist ganz konkret, wo man helfen kann, wo Menschen auch Glaubenserfahrungen, aber auch Glaubensgemeinschaft erleben.
DOMRADIO.DE: Wir haben schon gehört, dass materielle Hilfe sehr wichtig ist. Worauf kommt es in Ihrer Arbeit sonst noch an?
Austen: Ich glaube, der Kern ist natürlich sehr wichtig. Wie können wir heute das Evangelium zeitgerecht in die Welt tragen? Und wo sind wir auch auskunftsfähig über die Inhalte unseres Glaubens? Das heißt, dass Menschen Orte und Personen erleben, wo sie auch Glauben miteinander leben können, feiern können und wo aus dem Glauben heraus gehandelt wird.
"Stärke, was dich trägt" ist genau die Einladung, derzeit in einer oft unsicheren, aufgeladenen Zeit zu erkennen, was uns denn eigentlich im Glauben und in der Welt trägt und was wir dort stärken müssen. Was gibt uns Halt und Orientierung? Was gibt uns den Mut, selbstbewusst aus der christlichen Botschaft in die Welt zu gehen? Und wo können wir tragfähige Beziehungen stärken, auch in dem Bewusstsein, ein Mitglied einer Weltkirche zu sein? Das ist herausfordernd und hat Chancen zugleich.
DOMRADIO.DE: In Deutschland sind immer weniger Menschen Mitglied in der Kirche. Was bedeutet das für Ihre Diaspora-Arbeit?
Austen: Zum einen glaube ich, dass wir viel zu sehr auf die Zahlen fixiert sind. Wir sind so getrimmt auf Zahlen, und natürlich ist es schmerzhaft, zu erleben, wenn Menschen die Kirche, im Respekt zu ihrer persönlichen Entscheidung, verlassen. Aber es kommt doch längst nicht nur auf die Zahlen an. In Deutschland sind etwa noch fast 50 Prozent der Bevölkerung Mitglied einer christlichen Kirche. Da müsste doch auch etwas vom christlichen Geist zu spüren sein, wenn wir das leben würden, was das Evangelium uns gibt.
Es kommt für mich darauf an, nicht nur auf die Zahl zu schauen, sondern was wir auch als kleiner werdende Kirche, als Minderheit an Wertvollem in die Gesellschaft weitergeben können und wo wir auch zum Gemeinwohl der Menschen beitragen können. Wie können wir in einen Dialog treten mit Andersdenkenden und Glaubenden oder Nichtglaubenden? Wo können auch Artenräume des Glaubens schaffen und etwas spüren lassen, was den Mehrwert des Glaubens ausmacht?
Was ist denn für uns das Wichtige und Wertvolle in allen nüchternen Zahlen, die wir haben, was uns prägt, aber was uns auch über Jahrhunderte getragen hat? Und in den wertvollen Traditionen müssen wir uns auch verändern, auch Reformen angehen. Aber was bedeutet es für uns auch heute, die frohe Botschaft zu leben und weiterzugeben? Und da bin ich sehr dankbar, gerade oft auch in der Diaspora Glaubenszeugnisse zu erleben, was Kirche mit allen Schwierigkeiten auch bedeuten kann. Und da sind wir allen sehr dankbar, die dies mittragen, stützen und solidarisch zur Seite stehen.
Das Interview führte Bernd Hamer.