Bischof Ackermann befürchtet offenen Krieg in der Ukraine

"Scham und Trauer, dieses Leid zu sehen"

Bischof Ackermann befürchtet eine weitere Eskalation der Gewalt in der Ukraine. Die Gefahr eines offenen Krieges steige. Ackermann würdigte in der Westukraine den Friedenseinsatz der Kirchen vor Ort. Seine Rede im Wortlaut.

Ostukraine (dpa)
Ostukraine / ( dpa )

Grußwort von Bischof Stephan Ackermann an Seine Seligkeit, Großerzbischof Dr. Sviatoslav Shevchuk, und an die Bischofssynode der Ukrainischen Griechisch-Katholischen Kirche:

"Eure Seligkeit, verehrter, lieber Herr Großerzbischof, liebe Mitbrüder im Bischofsamt,

es ist für mich eine große Ehre und Freude, aus Anlass der Eröffnung der Bischofssynode der Ukrainischen Griechisch-Katholischen Kirche als Vertreter der Deutschen Bischofskonferenz heute bei Ihnen sein zu dürfen. Ich übermittle Ihnen die herzlichen Grüße und Segenswünsche des Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Reinhard Kardinal Marx, denen ich meine eigenen und die aller Mitglieder der Deutschen Bischofskonferenz hinzufüge. Angesichts der schwierigen und bedrückenden Lage, in der sich Ihr Land und Ihre Kirche derzeit befinden, mögen Ihnen diese Segenswünsche auch und vor allem ein Zeichen der Anteilnahme und der Solidarität der ganzen katholischen Kirche in Deutschland sein.

Nicht nur durch die bestürzenden täglichen Fernsehbilder und Medienberichte, sondern auch dank der mannigfachen menschlichen Beziehungen zwischen unseren Ländern wissen wir, welche furchtbare Wende der bewunderungswürdige demokratische Aufbruch in der Ukraine genommen hat.

Ihr jüngster Aufruf an die Kirchen und alle Menschen guten Willens, Eure Seligkeit, bleibt daher nicht ungehört. Für die Dichte der Beziehungen zwischen unseren Ländern und Kirchen stehen nicht nur die zahlreichen ukrainischen Arbeitskräfte, sondern auch 9.000 ukrainische Studenten, die jedes Jahr nach Deutschland kommen und eine Brücke freundschaftlicher Verbindungen bauen. Ihr Besuch in Deutschland im Februar 2012, Eure Seligkeit, bei dem Sie insbesondere auch mit dem damaligen Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz

und seinem heutigen Nachfolger, Reinhard Kardinal Marx, zusammengetroffen sind, ist uns in guter Erinnerung. Ich selbst bin Nachfolger von Kardinal Marx als Bischof von Trier und leite damit eine Diözese, die seit vielen Jahren eng mit der Erzdiözese Ivano-Frankivsk beim Aufbau der dortigen Caritas und des Malteser Hilfsdienstes zusammenarbeitet – dem Teil unseres kirchlichen Auftrages, in dem Kirche sich angesichts der heutigen Lage in besonderem Maße bewähren muss.

Nach der Staatsgründung von 1991 und der sogenannten "Orangenen Revolution" im Jahre 2004 haben die Ukrainer mit der "Revolution der Würde" im Winter 2013/2014 zum dritten Male – und dies einträchtiger und daher noch überzeugender als zuvor – ihr Verlangen nach Freiheit, Demokratie, Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit zum Ausdruck gebracht. Wir Deutschen, die bitterste Erfahrungen sowohl mit der braunen als auch mit der roten Diktatur haben, haben Ihre Freude über den Sturz eines Regimes geteilt, das nicht zuletzt auf Korruption aufbaute und sich mehr einzelnen Oligarchen als dem Wohl der Allgemeinheit verpflichtet sah.

Unsere gemeinsame Freude währte nicht lange. Hatten sich die Sieger der "Orangenen Revolution" durch ihre Zwietracht und Partikularinteressen noch selbst um die Chance der demokratischen Erneuerung gebracht, so wird das beeindruckende Streben der Ukrainer nach Demokratie, Freiheit, Rechtsstaatlichkeit und nationaler Selbstbestimmung im gemeinsamen Haus Europa heute durch einen Krieg von außen bedroht, der verdeckt in den äußeren Formen eines Bürgerkrieges geführt wird. Zwar hat die Ukraine heute trotz aller Bedrohung einen durch freie und demokratische Wahlen legitimierten Präsidenten. Auch hoffen wir weiter mit Ihnen, dass es trotz der systematischen Destabilisierung von russischer Seite bald zu allgemeinen, freien und geheimen Parlamentswahlen kommen wird, damit die demokratische Erneuerung des Landes politisch und verfassungsrechtlich gesichert werden kann. All dies aber wird überschattet durch die ständig wachsende Gefahr, dass der bislang verdeckt geführte Konflikt jeden Moment in einen offenen Krieg umschlagen könnte.

Die Griechisch-Katholische und auch andere Kirchen in der Ukraine haben auf dem Maidan die mutigen Demonstranten geistlich begleitet und gestärkt. Zugleich haben sie dazu beigetragen, dass der gefährliche Konflikt mit der Staatsmacht nicht noch weiter eskalierte.

Sie haben sich dadurch große Verdienste und über die Ukraine hinaus großes Ansehen erworben, die ihnen helfen werden, sich auch den neuen Herausforderungen zu stellen. Seit der innere sich zunehmend in einen äußeren Konflikt verwandelt, gilt ihre Seelsorge nicht mehr Demonstranten, sondern Soldaten.

Und es sterben immer mehr Menschen , auch wenn sie gar nicht kämpfen. Zu beklagen sind neben gefallenen Soldaten immer mehr Opfer von Geiselnahmen, Folter und Mord und immer mehr Zivilisten, die den Tod unter Bomben nur deshalb fanden, weil sie dort lebten, wo der innere mit dem äußeren Konflikt verschmilzt.

Liebe Mitbrüder im Bischofsamt, es erfüllt mich und die katholische Kirche in Deutschland mit Scham und Trauer, dieses Leid zu sehen und doch an den Ursachen nichts ändern zu können. Wohl haben wir die Annexion der Krim als völkerrechtswidrig verurteilt. Wohl appellieren wir an die Politiker unseres Landes, die Garantiestaaten des Abkommens von 1994 an ihre Verantwortung zu erinnern, die politische und wirtschaftliche Unabhängigkeit und die territoriale Integrität der Ukraine sicherzustellen. Konkret aber bleibt uns als Kirche in Deutschland nur, der Kirche in Ihrem Lande beizustehen.

Was wir über Renovabis und mit Hilfe mehrerer Diözesen seit gut zwei Jahrzehnten für die Kirche in der Ukraine tun, ist Ihnen bekannt. Welche neuen Maßnahmen nötig sind und von uns unterstützt werden können, darüber wird, soweit ich weiß, bereits gesprochen.

Die Griechisch-Katholische Kirche ist in der Ukraine ein wichtiger Akteur beim Aufbau der Zivilgesellschaft. Sie kann und wird dazu beitragen, dass das Bewusstsein für die Verpflichtung von Politik und Gesellschaft auf das Gemeinwohl wachgehalten und gestärkt wird. Sie braucht aber einen rechtlichen Status, der nicht nur ihre liturgische Funktion, sondern auch ihr gesellschaftliches Engagement schützt und sichert. Wenn es im Rahmen der weiteren Entwicklung zur Änderung der bestehenden oder zur Schaffung einer neuen Verfassung kommen sollte, dann könnte dies eine gute Gelegenheit bieten, der Kirche endlich einen klar definierten und gesicherten rechtlichen Status zu geben. Dafür bedarf es vorbereitender Lobby-und Bildungsarbeit im gesellschaftlichen und politischen Raum, die wir inhaltlich wie personell zu unterstützen bereit sind.

Eine der Stärken der Griechisch-Katholischen Kirche liegt im Wissen um die zentrale Bedeutung der Pfarrei nicht nur für das religiöse, sondern auch für das gesellschaftliche Leben Ihres Landes. Ich bin zuversichtlich, dass Renovabis die damit verbundenen pastoralen Projekte und Initiativen weiterhin unterstützen wird. Dazu werden verstärkt auch Anstrengungen in den Bereichen der Versöhnungsarbeit und des Umgangs mit den seelischen Wunden gehören, die heute geschlagen werden. Seelsorge wird verstärkt auch die Hilfe bei der Bewältigung seelischer Traumata umfassen. Auch hier bieten wir gerne Unterstützung der Kirche aus Deutschland an.

Verehrter Herr Großerzbischof, liebe Mitbrüder! Ich danke Ihnen, dass ich zu Ihnen habe sprechen dürfen, und versichere Ihnen, dass wir Sie und alle Gläubigen in dieser schweren Zeit auch durch unser Gebet begleiten und unterstützen werden. Möge Gott unsere Gebete erhören und Ihnen und der Ukraine den ersehnten inneren wie äußeren Frieden geben."

Bischof Ackermann am 8. September 2014 in Lviv (Lemberg), Ukraine


Bischof Stephan Ackermann in seinem Ornat (Bistum Trier)
Bischof Stephan Ackermann in seinem Ornat / ( Bistum Trier )
Quelle:
DBK , epd