Renovabis-Hauptgeschäftsführer Dartmann zur Lage in der Ukraine

"Dieses Land muss seine Zukunft selber bestimmen dürfen"

Renovabis-Hauptgeschäftsführer Pater Stefan Dartmann spricht im Interview über die Lage in der Ukraine und über das dortige Engagement des katholischen Osteuropa-Hilfswerks.

Stefan Dartmann SJ (KNA)
Stefan Dartmann SJ / ( KNA )

KNA: Pater Dartmann, welche aktuellen Informationen haben Sie von Ihren Projektpartnern in der Ukraine?

Dartmann: Im Westen des Landes ist es nach wie vor recht ruhig. Aber in jenen Gebieten im Osten, von denen wir in den Nachrichten hören, befinden sich auch die Kirchen in einer schwierigen Situation. Denn die nationalistischen Töne auf der einen wie auf der anderen Seite werden immer lauter. Das stellt für die Kirchen eine große Herausforderung dar, in gleicher Weise zur Befriedung beizutragen, wie das erfolgreich auf dem Maidan geschafft wurde.

KNA: Auf diesem zentralen Platz der Hauptstadt Kiew fanden Anfang des Jahres die Volksaufstände für eine Annäherung des Landes an die EU statt. Welche Rolle spielte dabei die Kirche?

Dartmann: Wenn man die Kirchengeschichte über die Ukraine schreibt, wird über den Maidan noch lange geredet werden. Alle fünf Kirchen, die zwei katholischen und die drei orthodoxen, merkten, sie müssen ihre Autorität ins Spiel bringen, damit es nicht zu einem Blutvergießen kommt. Die Stimme der Vernunft sollte siegen. Gleichzeitig haben sie erkennen lassen, dass sie die Grundanliegen der proeuropäischen Protestbewegung im Prinzip bejahen.

KNA: Welche Projekte unterstützt Renovabis?

Dartmann: Kurzfristig sind wir von unseren Partnern um Hilfe gebeten worden, etwa auf der Krim. Durch den enormen Währungsverfall und eine Gaspreissteigerung von fast 50 Prozent ist das Leben für die Menschen dort sehr teuer geworden. Hier haben wir der römisch-katholischen und der griechisch-katholischen Caritas mit Medikamenten und Nahrungsmitteln geholfen. Unsere eigentliche Aufgabe aber sind langfristige Projekte im Bereich Bildung, Schule, katholische Soziallehre, die den Aufbau der Zivilgesellschaft im Blick haben.

KNA: Was genau meinen Sie damit?

Dartmann: Es geht um eine bestimmte Kultur, das heißt, wie Gesellschaft funktioniert, wie Menschen miteinander im Gespräch sind und wie ethisch argumentiert wird. Die Universität der griechisch-katholischen Kirche in Lemberg beispielsweise ist ein Meisterstück dafür, wie man in wenigen Jahrzehnten eine Hochschule mit einer beachtlichen Anzahl von Fakultäten aufgebaut hat, die international mithalten kann. Dort ist man im Dialog mit Wissenschaftlern aus der ganzen Welt. Durch eine solche Kultur in der Ausbildung, wo Dinge in Ruhe erwogen und bewertet werden, kommt eine neue Sachlichkeit und Wertbezogenheit in die allgemeine Diskussion, die man in der Ukraine lange vermisst hat.

KNA: Wo im Land sind Ihre Projekte angesiedelt?

Dartmann: In allen Teilen der Ukraine. Fakt ist aber, dass unser Hauptpartner die griechisch-katholische Kirche ist, und da vor allem im westlichen Teil der Ukraine, wo sie am meisten verbreitet ist. Mit mehr als fünf Millionen Mitgliedern ist sie schon zahlenmäßig viel stärker als die römisch-katholische Kirche mit etwas über einer Million Gläubigen.

KNA: Arbeitet Renovabis mit allen Kirchen zusammen?

Dartmann: Wir haben gegenüber allen fünf Kirchen keine Berührungsängste, aber die Partner sind weitgehend die katholischen Kirchen. Alle Kirchen aber haben sich in den letzten Monaten aufeinander zubewegt, was im Sinne der Ökumene ein ganz großer Schritt ist. Es herrscht die Einsicht, dass dieses Land seine Zukunft selber bestimmen dürfen muss und dabei seine nationale Integrität bewahren sollte. Unter dieser Perspektive setzen sich die Kirchen gemeinsam gegen eine Eskalation der Gewalt ein.

KNA: Sprechen die alle mit einer Stimme?

Dartmann: Erstaunlicherweise ist dies zumindest in der Ukraine selbst in einem Maße der Fall, wie es nicht zu erwarten war. Im Rat der ukrainischen Kirchen, wo alle Mitglieder sind, haben sie sich damals auf eine gemeinsame Erklärung geeinigt, als es auf dem Maidan losging. Natürlich gibt es auch Spannungen, was bei der Krimkrise deutlich wurde. Die orthodoxe Kirche vom Moskauer Patriarchat muss befürchten, dass sie ihre vielen Anhänger verliert, wenn sie eine Intervention von Russland rechtfertigt. Das hat sie deshalb explizit auch nicht getan. Es ist auffallend, dass man bis in die höchsten Spitzen in Moskau hinein auf eine gewisse Distanz zur Politik der russischen Regierung gegangen ist.

KNA: Welche Entwicklung sehen Sie auf die Ukraine zukommen?

Dartmann: Das ist überhaupt nicht abzusehen und genau das kann einen sehr beunruhigen. Viele Szenarien, darunter auch solche mit schlimmen Konsequenzen sind nun plötzlich realistisch geworden.

KNA: Was heißt das für Renovabis?

Dartmann: Es wäre falsch, hier business als usual zu signalisieren.

Wir verfolgen die Entwicklung sehr genau im täglichen Kontakt mit unseren Partnern. Gerade das aber bestätigt uns darin, nicht in Panik zu geraten. Unsere Projekte sind nicht gefährdet. Ziel ist es, die Stimme der Vernunft und der Besonnenheit zu stärken. Die Kirchen in Ost und West haben hier eine weit wichtigere Rolle, als wir das noch vor einigen Jahren voraussehen konnten.

KNA: Der Umbruch in Polen war damals eng mit der katholischen Kirche und einem polnischen Papst verbunden. In der Ukraine stellt sich dies anders dar, oder?

Dartmann: Mich bewegt es zu sehen, dass es in den letzten 25 Jahren in der Ukraine deutlich zu einem neuen religiösen Erwachen und zu einer kirchlichen Blüte gekommen ist. Der Maidan hat Kennern zufolge eine qualitativ neue Situation des Dialogs und der Nationwerdung bedeutet. Es geht hier um Werte, für die die Menschen gestorben sind, nicht wenige von ihnen mit der europäischen Flagge in der Hand. Das war weit mehr als nur eine wirtschaftliche Option.

KNA: Hat damit Ihre Pfingstaktion "Mit meinem Gott überspringe ich Mauern" eine neue Bedeutung bekommen?

Dartmann: Nun, stellen wir doch einmal fest: Es ist eben nicht so, wie das viele Zeitgenossen meinen, dass es seit 1989 eine kontinuierliche demokratische Entwicklung gegeben hat. Hier ist noch viel zu tun, viele Mauern sind zu überspringen oder abzureißen, übrigens auch in unseren Köpfen, so dass wir die Situation nicht richtig wahrnehmen und deswegen nicht die entsprechenden Schritte tun.

Das Interview führte Barbara Just.


Quelle:
KNA