Als die Menschen noch die Sprache der Glocken verstanden

Besser als keine Warnung

Ist es lächerlich, wenn Kirchen als Warnung vor der Flut ihre Glocken läuteten? Manche Medienvertreter sehen das wohl so. Doch vielleicht gehört ein Ordensmann aus Wuppertal dieser Tage auch zu den kleinen Helden.

Autor/in:
Alexander Brüggemann
Eine Kirchenglocke / © powell'sPoint (shutterstock)
Eine Kirchenglocke / © powell'sPoint ( shutterstock )

Nach den Überschwemmungskatastrophen in Teilen Deutschlands und einer zweiten Welle von Mitgefühl und Hilfsbereitschaft scheint nun eine dritte zu rollen: eine Welle der Kritik an fehlenden oder mangelhaften Warnungen.

Spott über fehlende Warnungen

Das Satireportal "Der Postillon" (dpo) titelt: "Seehofer verspricht: Menschen in Katastrophengebieten erhalten künftig Warn-Fax". Und "Spiegel Online" macht am Samstag damit auf, dass ein Ordensmann in einem Vorort von Wuppertal die Glocke läutete, um die Menschen vor den Fluten zu warnen.

Und das ist nicht anerkennend gemeint; eher höhnisch, als Spott über veraltete Strategien in Deutschland. "Marode Technik, naive Konzepte, Kompetenzgerangel: Das Hochwasser hat endgültig aufgedeckt, wie wenig Sicherheit der Staat seinen Bürgern gewähren kann", so die These des zehn Autoren zählenden Verfasserteams.

Glocken warnen seit Jahrhunderten

Der Ordensmann als naives Relikt von gestern; die Glocke, die eh nur zur Messe rufen kann, die keiner mehr besucht: Das mag man so sehen im 21. Jahrhundert und mit abgeklärter Hauptstadtjournalismus-Attitüde.

Doch an wen richtete sich der Ordensmann an der Wupper? Nicht zuerst an die Generation Smartphone, die sich via App über verbrauchte Kalorien des Tages, aktuelle Niederschlagsmengen in New York oder die eigene prognostizierte Haarlänge für Mitte August informieren lässt. Sondern an Menschen, zuallermeist ältere, die überhaupt noch auf Glocken hören und ihre "Sprache" noch verstehen.

Seit vielen Jahrhunderten ist die Glocke ein Warn-Klassiker. Sie ordnete das Leben des Dorfes, der Stadt; schlug längst vor Armbanduhr und Handy die Stunde und die Viertelstunden. Und ja, sie ruft zum Gottesdienst - was heute nicht selten Anwohnerklagen wegen Lärmbelästigung nach sich zieht.

Mehr als nur Warninstrumente

Auch Nachrichten verbreitete die Glocke; alle Bewohner des Ortes wussten, was ihre Signale bedeuten. Ein dumpfes, getragenes Schlagen der Totenglocke etwa: Ein Mitglied der Gemeinde war gestorben. Läuten zum Gedenken an die Opfer eines Krieges oder sonstigen Ereignisses, wie noch am Freitagabend um 18.00 Uhr für die Opfer der Flut.

Schandglocken verkündeten, wenn ein Verbrecher der Stadt verwiesen wurde. Wurde ein Verurteilter hingerichtet, dann schlug ihm die Armesünder- oder Blutglocke. Oder, und da kommt der märkische Mönch wieder ins Spiel: die Sturm- oder Signalglocke. Sie bedeutet: Gefahr! Sei es früher der Ansturm feindlicher Reiterheere, später von Bombern, sei es - bis heute - die Warnung vor Feuer oder Wasser.

Wer sein Handy in jener Schicksalsnacht auf Flugzeugmodus gestellt hatte, dem hätten auch modernste Warn-Apps nichts geholfen. Aber ob der Mönch von der Wupper tatsächlich nur einen, fünf oder Hunderte Menschen auf die drohende Gefahr aufmerksam gemacht hat: Sein (kostenfreies) Geläute ist nicht umsonst gewesen.


Quelle:
KNA
Mehr zum Thema