Angela Merkel blickt auf ihre Begegnungen mit Papst Franziskus zurück

"Es war ein ganz wichtiger Rat"

Angela Merkel wurde von Papst Franziskus fünf Mal empfangen. Die ehemalige Bundeskanzlerin schätzte das verstorbene Kirchenoberhaupt als Mahner und Ratgeber. Für das anstehende Konklave hat sie einen Wunsch.

Autor/in:
Lara Burghardt
Papst Franziskus und Angela Merkel / © Vatican Media/Romano Siciliani (KNA)
Papst Franziskus und Angela Merkel / © Vatican Media/Romano Siciliani ( KNA )

DOMRADIO.DE: Einmal den Papst treffen, das wünschen sich viele Christen. Sie hatten gleich fünf Privataudienzen bei Franziskus und schenkten ihm dabei sogar seinen liebsten Brotaufstrich aus Argentinien, Dulce de Leche. In Ihrem Büro steht ein Geschenk, das Sie vom Papst erhalten haben. Denken Sie an Franziskus, wenn Sie es ansehen?

Dr. Angela Merkel mit Lara Burghardt (DR)
Dr. Angela Merkel mit Lara Burghardt / ( DR )

Dr. Angela Merkel (Bundeskanzlerin a.D.): Natürlich, ich denke dabei auf jeden Fall an Franziskus. Das ist ein wunderbarer Olivenzweig, ein Zeichen für den Frieden. Ich sehe da auch eine Verbindung zur Sintflut. Der Zweig ist ein Zeichen, dass wir Menschen nach dieser schwerwiegenden Katastrophe eine zweite Chance mit unserer Natur bekommen haben. Er ist ein Zeichen dafür, dass wir Menschen uns ordentlich um die Erde kümmern sollten, was wir leider nicht immer tun. Das Kunstwerk ist ein besonderes Erinnerungsstück an Papst Franziskus – besonders jetzt, nach seinem Tod. 

DOMRADIO.DE: Ich habe eben kurz das Dulce de Leche erwähnt. Haben Sie das auch schon selbst einmal probiert? 

Merkel: Nein, ich bin aber auch keine große Freundin von sehr süßen Speisen. Aber es hat mich unheimlich gefreut, dass ich die Gelegenheit hatte, es dem Papst mitzubringen. Vorher war ich in Argentinien gewesen, weil Deutschland die G20-Präsidentschaft, also die Präsidentschaft der führenden 20 Industrieländer innehatte, und der Gipfel in Hamburg bevorstand. Aus diesem Anlass habe ich auch den Papst besucht, der ja aus Argentinien kam, und ich wollte ihm natürlich etwas mitbringen, von dem ich wusste, dass es ihm sehr mundet. 

Angela Merkel

"Wenn sich jemand in der Welt auskannte, dann war das sicherlich Franziskus."

DOMRADIO.DE: Bei diesem Treffen haben Sie Franziskus um einen Rat für den anstehenden G20-Gipfel gefragt. Sie wollten wissen, wie man mit einer Gruppe von Menschen umgehen sollte, die sehr unterschiedliche Meinungen haben. Warum haben Sie gedacht, dass der Papst dafür der richtige Ansprechpartner sein könnte? 

Papst Franziskus mit Bundeskanzlerin Angela Merkel und Annette Schavan bei einer Privataudienz im Jahr 2016 / © Stefano Dal Pozzolo (epd)
Papst Franziskus mit Bundeskanzlerin Angela Merkel und Annette Schavan bei einer Privataudienz im Jahr 2016 / © Stefano Dal Pozzolo ( epd )

Merkel: Papst Franziskus hat sich immer als ein Papst für die ganze Welt verstanden. Die katholische Kirche als Weltkirche ist etwas sehr Faszinierendes. Und wenn sich jemand in der Welt auskannte, dann war das sicherlich Franziskus. Er kam schließlich aus Lateinamerika und seine Reisen haben ihn an die Brennpunkte in aller Welt geführt. Er war nie in Deutschland, dort lief ihm, so glaube ich, alles zu geordnet ab. Franziskus wollte dorthin, wo Rat und Tat wirklich gebraucht werden. Deshalb wusste ich, dass er von dem Zusammenhalt und den Spannungen in der Welt etwas versteht. Als ich ihn um seinen Rat fragte, wusste ich, dass er kein Mann ist, der den Bruch und die theologischen Unterschiede in den Vordergrund stellt. Er möchte vielmehr versuchen, alle Menschen zu erreichen und ihnen etwas Gutes entgegenzubringen, ein Stück Hoffnung. 

 

Auf meine Frage hin sagte er fast wie aus der Pistole geschossen: "Biegen, biegen, biegen – aber aufpassen, dass es nicht bricht.” Das hat mir sofort eingeleuchtet, auch wenn ich noch nicht wusste, wie ich das in meine politische Praxis übernehmen konnte. Aber es war ein ganz wichtiger Rat. 

DOMRADIO.DE: Dieser Rat des Papstes ist durch die Medien bekannt geworden. Haben Sie auch eine andere Begegnung mit dem Papst im Kopf, an die Sie gerne zurückdenken, die aber nicht so bekannt ist?

Merkel: Es gibt wenig, das nicht bekannt ist. Bei meinem ersten Treffen mit Papst Franziskus habe ich ihn als einen lebendigen und weltzugewandten Menschen kennengelernt. In diesen großen Räumlichkeiten des Vatikan kam er mir sehr von der Welt abgeschnitten vor, weshalb ich immer gut verstanden habe, dass er im Gästehaus Santa Marta gewohnt hat. Ich habe Franziskus damals beim Abschied einfach die Hand geschüttelt und ihm gesagt, dass wir das nächste Mal eine Pizza auf einer Piazza essen können. Das wurde dann auch von Radio Vatikan aufgenommen. Franziskus wollte immer gern unter Menschen sein und deswegen war es so schön, dass er am Ostersonntag noch einmal mit dem Papamobil über den Petersplatz fahren konnte. Er hat einen Pfleger gehabt, der genau wusste, was ihm wichtig war.

 

DOMRADIO.DE: Von ihrem letzten Treffen 2021 gibt es Bilder, auf denen Sie beide sehr herzlich lachen. Papst Franziskus war für seinen Humor bekannt. Hat er Ihnen auch mal einen Witz erzählt? 

Merkel: Er hat mir nicht so viele Witze erzählt. Aber im Zusammenhang mit meinem Treffen mit dem Papst war es sehr wichtig, immer eine eigene Dolmetscherin mitzunehmen. Normalerweise übersetzen die Prälaten im Vatikan bei den Begegnungen, aber professionelle Dolmetscher können auch Nuancen in der Sprache gut ausdrücken. Seitdem ich eine Dolmetscherin dabei hatte, waren die Gespräche mit dem Papst viel facettenreicher und auch wirklich sehr tief. Uns hat geeint, dass wir die multilaterale Zusammenarbeit für sehr wichtig gehalten haben. Nur so kann man die großen Menschheitsprobleme lösen. 

Angela Merkel

"Er hat es den Menschen einfach gemacht, Gottvertrauen zu entwickeln."

Für Franziskus war auch klar, dass Migration nicht etwa an der deutsch-österreichischen Grenze bekämpft werden kann, sondern, dass Länder, in denen es Krieg und Armut gibt, mehr Chancen bekommen. Der Papst hat zudem seine Enzyklika "Laudato Si” geschrieben und sich um die Gemeinschaftsgüter der Menschheit sehr viele Sorgen gemacht. Ich war eine Politikerin, die auch immer gerne über den Tellerrand hinaus gedacht hat. Das alles zusammen hat eine gute Grundstimmung zwischen uns erzeugt. 

DOMRADIO.DE: Hatte Papst Franziskus auch Einfluss auf Ihren Glauben oder Ihre Sicht auf die Kirche? 

Merkel: Ich bin evangelische Christin und keine Katholikin. Auf meinen Glauben hat Franziskus aber einen Einfluss gehabt, weil er eine ursprüngliche Frömmigkeit hatte. Er hat es den Menschen einfach gemacht, Gottvertrauen zu entwickeln. Bei ihm musste man nicht über dieses oder jenes Bescheid wissen, sondern er ist erst einmal auf jeden mit offenen Armen zugegangen. Das fand ich sehr beruhigend. Ich habe auch Papst Benedikt gekannt, der theologisch viel formaler war. Papst Franziskus hat die Menschen als Menschen genommen und dieser Zugang war mir sehr nahe. Damit möchte ich aber nicht sagen, dass es keine theologische Wissenschaft bräuchte. 

DOMRADIO.DE: Sie waren 2003 das erste Mal im Vatikan, damals noch als CDU-Vorsitzende bei Papst Johannes Paul II. Wie war es für Sie, das erste Mal die Räumlichkeiten des Papstes im Vatikan zu betreten? Sie sind an Sicherheitspersonal gewöhnt, aber die Schweizergarde ist nochmal etwas anderes.

Merkel: Ja, die Schweizergarde ist besonders. Aber eigentlich hat mich am meisten die unfassbare Kunstgeschichte oder besser gesagt, die Geschichte der Menschheit in Form von Kunst beeindruckt, die sich im Vatikan wiederfindet. Der sicherlich krönende Höhepunkt davon ist die Sixtinische Kapelle. Ich hatte einmal die Freude, sie sehr früh morgens zu sehen, sodass ich mir alles genau anschauen konnte. Die von Michelangelo gemalte Schöpfungsgeschichte ist atemberaubend. Das verortet einen ein Stück weit in der Geschichte. Wir finden immer, dass das alles so unglaublich wichtig ist, was wir heute machen. So, als hätte die Menschheit noch nie ein ähnliches Problem gehabt. Und wenn man dann sieht, wie die Jahrhunderte dahingegangen sind, dann ist das schon sehr beeindruckend. Andererseits hat es auch etwas Erdrückendes. 

DOMRADIO.DE: Am Mittwoch, dem 7. Mai beginnt das Konklave. Manche sagen, die Papstwahl hat auch etwas von einer politischen Wahl. Werden Sie das Konklave verfolgen? 

Merkel: Eine Papstwahl kann man immer nur bedingt verfolgen. Man kriegt denkbar wenig mit, die Störsender im Vatikan sind auch schon angebracht. Das heißt also, von dem, was sich innerhalb des Kollegiums der wahlberechtigten Kardinäle abspielt, kriegen wir nichts mit. Ich stelle mir vor, dass es, ähnlich wie in der Politik, unterschiedliche Fraktionen gibt. 

Interessant ist dieses Mal – und das hat uns Papst Franziskus hinterlassen –, dass die Kardinäle viel mehr Länder repräsentieren. Es sind nur noch drei wahlberechtigte Kardinäle aus Deutschland und auch die Italiener sind in ihrer Bedeutung zurückgegangen. Aus vielen Bereichen der Welt sind jetzt auch Kardinäle dabei, die sich noch gar nicht kennen, und das tut uns bestimmt gut. Wir dürfen nicht vergessen, dass Papst Franziskus ein sehr politischer Papst war. Er hat im Europäischen Parlament und vor der UNO gesprochen, er hat wirklich kein Blatt vor dem Mund genommen. Das hat nicht immer allen gefallen und jetzt sind wir sehr gespannt, wie es weitergeht. Ich bin es jedenfalls und ich werde nicht die Einzige sein. 

DOMRADIO.DE: Welche Qualitäten muss der neue Papst mitbringen? 

Merkel: Wie gesagt, ich bin evangelische Christin, aber ich fand die Predigt zur Beerdigung von Papst Franziskus von Kardinal Re sehr interessant. Er hat benannt, was von Papst Franziskus bleibt. Die anwesenden Gläubigen haben darauf sehr emotional reagiert. Es wäre schön, wenn hier eine Kontinuität entstehen würde, wenn sich also eine nächste Enzyklika auch wieder mit den Gemeinschaftsgütern beschäftigen könnte oder wenn einfach diese Linie eines menschennahen Papstes, die Franziskus angefangen hat, fortgesetzt würde. Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne – das ist in der Politik und auch bei der Papstwahl so. Kardinal Marx hat es gut gesagt: Er hofft, dass ein einigender Gedanke über die Kardinäle kommt. Das wünsche auch ich dem Konklave.

Das Interview führte Lara Burghardt. 

Quelle:
DR

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