Kirchenchöre in Corona-Zeiten

60 Minuten Messe - fünf Minuten Gesang

Langsam wagen sich viele Gemeinden wieder vorsichtig an das Singen in den Kirchenchören und Gottesdiensten. Die neue Situation erfordert viele Anpassungen. Erste Erfahrungen aus dem Solinger Westen. 

Chorprobe / © SpeedKingz (shutterstock)

DOMRADIO.DE: Sie haben ein reiches kirchenmusikalisches Leben an den vier Kirchorten in ihrer Pfarrei. Aber wie lebendig sind die Chöre noch – nach rund fünf Monaten Corona?

Wolfgang Kläsener (Leitender Muiker der Pfarrgemeinde St. Sebastian in Solingen): Das ist ganz unterschiedlich. Es ist sehr schwer gewesen, die Chöre lebendig zu halten in dieser Zeit, weil man ja nur mit sehr geringer Personenzahl und mit sehr weiten Abständen singen konnte, wenn überhaupt. Das ist uns im Solinger Westen relativ gut geglückt, weil wir hier leistungsfähige Chöre haben. Jung und Alt kommen auch mit weiten Abständen klar und haben sich relativ rasch in diese Situation hinein gefunden. Trotzdem haben wir natürlich bei weitem nicht die Besetzung wie zur Normalzeit.

DOMRADIO.DE: Wie ist das bei Kindern und dem Singen auf Abstand? Verunsichert es, wenn da neben mir keine Stimme ist?

Kläsener: Die Kinder haben das erstaunlich gut verinnerlicht. Die Kinder sind gewohnt: Es gibt eine Regel – ich halte mich an die Regel, und ich gewöhne mich an die Regel. Sie tut mir vielleicht sogar gut, weil dann gewisse Dinge geklärt sind, im Zwischenmenschlichen und im Fachlichen. So ist es beim Singen auch. Natürlich war das eine neue Situation, auf Abstand zu singen. Aber die Kinder schaffen das.

DOMRADIO.DE: Gerade Kirchenchöre haben oft ältere Chormitglieder, die dann automatisch zur Risikogruppe gehören. Bieten Sie trotzdem Proben für die an, oder wollen die meistens sowieso nicht singen?

Kläsener: Ja. Seit jüngster Zeit erst. Das schmerzt mich besonders, dass die älteren Chormitglieder, die ja meistens die reichste Tradition, das reichste Leben in die Kirchengemeinde tragen, weil sie seit vielen, vielen Jahren und Jahrzehnten singen, dass die am meisten gestraft waren, weil sie aus gesundheitlichen Gründen besonders vorsichtig sein mussten.

Wir haben das überbrückt durch Telefonandachten, die aus dem Chor heraus entstanden sind und die Menschen einmal am Tag für zehn Minuten zusammengeführt haben. Das haben wir über einen längeren Zeitraum von mehreren Wochen anbieten können, wofür ich sehr dankbar bin. Dadurch waren die Menschen wenigstens für einen Moment in der Woche zusammen.

Jetzt, seit letzter Woche, singen wir wieder. Wir singen mit sehr großen Abständen. Wir singen im Kirchenraum, weil dort das Raumvolumen größer ist und die Lüftungsfrage leichter zu klären ist, wenn man die Türen öffnet. Aber es bleibt so, dass wir im Moment nur sehr einfache Dinge machen können. Die Menschen sind allerdings froh, überhaupt zusammenzukommen. Denn die Chorprobe ist doch für viele von uns, die wir uns im Bereich von Kirchenmusik engagieren, ein sehr wichtiger Zeitpunkt in der Woche.

DOMRADIO.DE: Singen, das wissen wir ja jetzt aus aktuellen Studien, ist tatsächlich besonders infektiös wegen der Aerosole, die dabei ausgestoßen werden. Wie wird der Gottesdienst in der Pfarrgemeinde bei Ihnen gehandhabt? Wird da wieder gesungen, oder muss man da summen?

Kläsener: Wir sind noch sehr vorsichtig. Es gilt Maskenpflicht, was beim Singen immer ein bisschen lästig ist. Aber es geht - besser mit Maske singen als gar nicht singen. Wir beschränken uns in Solingen West im Moment noch auf ganz kurze Verse, etwa beim Antwortpsalm oder beim Halleluja. Jetzt, am Samstag beim Fest Mariä Himmelfahrt, haben wir zum ersten Mal ein Eingangslied, ein Schlusslied mit wenigen Strophen dabei. Es gibt die Richtlinie, etwa fünf Minuten singen pro 60 Minuten Gottesdienst. Das ist im Erzbistum Köln genehmigt, aber auch befürwortet. Der Generalvikar sagt ganz ausdrücklich: Wir sollten die Chancen, die durch Musik im Zwischenmenschlichen, im Religiösen, im liturgischen Leben der Kirche existieren - die sollten wir jetzt wieder nutzen.

DOMRADIO.DE: "Ohne Musik wäre das Leben ein Irrtum". Der Satz wird Friedrich Nietzsche zugeschrieben. Was macht Ihnen als Musiker in dieser Situation Hoffnung?

Kläsener: Augustinus sagt so was ähnliches: Wer singt, betet doppelt. Das Singen ist ein physiologischer Vorgang, der Leib, Seele, Herz, Geist, Verstand, Emotion, Ratio – alles in Einklang zum Leben bringt. Und deswegen ist Singen wirklich etwas sehr Existenzielles. Mir macht Hoffnung, dass wir innerhalb der Abstandsregeln unter Einhaltung aller virologischen Empfehlungen, doch allmählich wieder ans Singen kommen, neue Formen finden, kreativ sind. Andere Räume, vielleicht sogar andere Literatur, andere Probenintervalle. Aber das ist ja nicht schlimm, wenn der Mensch sich ab und zu mal neu erfinden muss. Hauptsache, das Wesentliche bleibt.

Das Gespräch führte Tobias Fricke.


Quelle:
DR
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