Vatikan-Archive zu Pius XII. offen - Coronavirus dämpft Andrang

Jahrelanges Warten hat ein Ende

​Am Eröffnungstag der Vatikan-Archive zum Pontifikat von Papst Pius XII. war der Forscher-Andrang geringer als erwartet. Maßgeblicher Grund dürften Reisebeschränkungen wegen des Coronavirus sein.

Blick in die Räume des Archives im Vatikan (KNA)
Blick in die Räume des Archives im Vatikan / ( KNA )

So musste das US Holocaust Memorial Museum nach Aussage eines Sprechers die Anreise seines Historikers verschieben. Israel, von wo ebenfalls Forscher angemeldet waren, hat Reisebeschränkungen zu Italien verfügt. "Das Apostolische Archiv war relativ leer", sagte Elisabeth-Marie Richter vom Seminar für Kirchengeschichte der Universität Münster/Westfalen der Katholische Nachrichten-Agentur (KNA) am Montagabend.

Richter war am Morgen die erste, die das Apostolische Vatikanische Archiv nach jahrelangem Warten betreten konnten. Sie gehört zu dem siebenköpfigen Team um den Münsteraner Kirchenhistoriker Hubert Wolf, das nach Rom gekommen ist, um die Archive Pius' XII. (Eugenio Pacelli) zu erforschen.

Verhältnis von Papst Pius zu den Juden

Richter und Kollege Sascha Hinkel haben beide an einer kritischen Edition der Akten Pacellis vor seiner Wahl zum Papst gearbeitet. Finanziert von der Deutschen Bischofskonferenz und der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung sollen sie speziell das Verhältnis von Pius zu den Juden untersuchen. Dieses Thema wird international mit der größten Aufmerksamkeit verfolgt. So suchte Hinkel in Akten mit persönlichen Redevorbereitungen Pius' XII. nach dessen Radio-Weihnachtsansprache vom 24. Dezember 1942.

Damals hatte der Papst beklagt, dass "Hunderttausende nur aufgrund ihrer Rasse verfolgt" würden. Dies wird als nur schwacher Verweis auf die Judenverfolgung der Nazis gewertet. Anders als zur Weihnachtsansprache 1944 war zu der Rede von 1942 zunächst jedoch nichts zu finden.

Rolle von Kirchenmitarbeitern bei Flucht von Nationalsozialisten

Weitere Themen, mit denen sich das Team aus Münster befasst, sind die sogenannte Rattenlinie nach Südamerika sowie die Gründung Israels. Auf der Rattenlinie waren nach dem Zweiten Weltkrieg etliche Nazis über Italien nach Argentinien und Brasilien geflohen. Wenig bekannt ist bisher, welche Rolle dabei Mitarbeiter der Kirche spielten.

Unklar ist auch, wie der Heilige Stuhl die Staatsgründung Israels im Jahr 1948 verfolgte. So dauerte es bis in die 1990er Jahre, bevor der Vatikan und Israel diplomatische Beziehungen aufnahmen.

Erste valide Aussagen in spätestens zwei Jahren

Die meisten Akten sind nach Aussage von Richter und Hinkel in gutem Zustand. Für einzelne Sammlungen, wie etwa die des Substituten im Staatssekretariat, Giovanni Battista Montini - später Paul VI. (1963-1978) -, gelte dies nicht. Solche Unterschiede bei Archivbeständen seien aber nicht ungewöhnlich, das komme öfter vor. Es fehlten aber noch Indizes zu einer Reihe von Bereichen. Diese hätten die Archivare aber bis Juni, andere bis September zugesagt.

Für erste valide Ergebnisse der jetzt begonnen Auswertungen braucht es nach Aussage der beiden Historiker ohnehin zwei, drei Jahre. Dies gelte besonders für komplexe Themen wie das öffentliche Schweigen von Pius oder die Rattenlinie. In Einzelfragen, etwa zur Entstehung von Enzykliken, dürften Resultate schon früher zu erwarten sein.


Quelle:
KNA