Ältere Leute können laut Soziologin Berater fürs Leben sein

"Wie ein Fels in der Brandung"

Bekommen ältere Menschen die Anerkennung, die sie verdienen? Die Situation hat sich positiv entwickelt, sagt die Soziologin Liane Schirra-Weirich. Dennoch besteht bei der gesellschaftlichen Teilhabe Verbesserungsbedarf.

Ein Großvater bringt seinem Enkel das Fahrrad fahren bei. / © dotshock (shutterstock)
Ein Großvater bringt seinem Enkel das Fahrrad fahren bei. / © dotshock ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: Wie hat sich die Rolle der älteren Generation in unserem Land verändert über die letzten Jahre?

Prof. Dr. phil. Liane Schirra-Weirich (Soziologin an der Katholischen Hochschule Nordrhein-Westfalen): Zunächst einmal kann man sagen, dass sich eine sehr positive Entwicklung für die Senioren und ältere Generation ergeben hat. Sie sind aus dieser Defizit-Perspektive herausgetreten. Die Frage nach dem Älter sein ist nicht mehr unbedingt mit Alter, Krankheit und Unterstützungsbedarf verbunden.

Es ist eine Generation herangewachsen, die letztendlich älter wird, fitter wird, gesünder ist und damit auch sehr viel mehr Selbstgestaltungs- und Selbststeuerungsmöglichkeiten in diesem Zusammenhang hat. Und das heißt, wir haben hier eine Gruppe, die mehr Lebensjahre und auch mehr Möglichkeiten gewonnen hat. 

Ich glaube, das ist eine ganz tolle und gute Entwicklung, die wir jetzt in der Gesellschaft haben, weil wir ja auch sehen, dass, wenn sie sich zu bestimmten Zeiten an bestimmten Orten aufhalten, Senioren und ältere Menschen eher die quantitativ dominantere Gruppe sind.

Das heißt, wir haben hier eine gesellschaftliche Gruppe, die weniger mit Einschränkungen und Unterstützung im Moment verbunden ist.

DOMRADIO.DE: Gesellschaftliche Teilhabe ist ja so ein Stichwort. Wie steht es denn darum? Das war oftmals ein Kritikpunkt, dass gesellschaftliche Teilhabe für eine ältere Generation nicht so leicht ist.

Prof. Liane Schirra-Weirich

"Wir haben natürlich auch eine Gruppe von Seniorinnen und Senioren, die letztendlich nicht über ausreichende finanzielle Möglichkeiten verfügen."

Schirra-Weirich: Ich glaube, das hat sich wesentlich positiver entwickelt. Es gibt zum Beispiel im Marketingbereich die sogenannte "Silver Economy Strategie". Das heißt, da werden insbesondere die Seniorinnen und Senioren - das ist die 50+ Generation - angesprochen und geschaut, wie können wir hier Möglichkeiten der Teilhabe, der Freizeitgestaltung, des Konsums eröffnen.

Hier würde ich gerne zwischen zwei Gruppen differenzieren. Und zwar auf der einen Seite die Gruppe, die wir heute sehr viel in der Werbung sehen, die wir im Fernsehen, in den Zeitschriften sehen. Da sind die fitten, aktiven, finanziell gut gestellten älteren Menschen und alten Menschen. Die haben natürlich bessere Chancen, sich im gesellschaftlichen Leben selbst darzustellen, Teil zu haben.

Aber wir haben natürlich auch eine Gruppe von Seniorinnen und Senioren, die letztendlich nicht über diese ausreichenden finanziellen Möglichkeiten verfügen, Seniorenreisen und Seniorenfreizeiten zu gestalten.

DOMRADIO.DE: Es gibt Möglichkeiten als Seniorin oder als Senior auf eigenen Wunsch weiter berufstätig zu sein - solange das körperlich noch möglich ist. Aber das unterscheidet sich auch in den beiden Gruppen, oder? Entweder ich muss noch arbeiten oder ich gönne mir meine Freizeit...

Schirra-Weirich: Ganz genau. Das sind die zwei zentralen Gruppen, die wir unterscheiden müssen. Manche können das, was sie aus ihrem Berufsleben mitnehmen, noch mal in eine Beratungstätigkeit übernehmen.

Liane Schirra-Weirich

"Wollen wir es uns erlauben, dass Menschen ein Leben lang gearbeitet und keine ausreichende Sicherung im Alter haben?"

Es gibt natürlich auch die nicht ganz zu vernachlässigende Gruppe der Menschen, die auf Minijobs im Alter angewiesen sind, damit sie sich überhaupt eine wirtschaftliche Existenz im Alter gewährleisten können.

Und das ist noch mal eine Frage, die wir uns als Gesellschaft sehr stark stellen müssen: Wollen wir es uns erlauben, dass Menschen ein Leben lang gearbeitet oder Familie betreut, Kinder erzogen haben, vielleicht unterstützungs-, pflegebedürftige Angehörige versorgt haben und deshalb keine ausreichende Sicherung im Alter haben?

DOMRADIO.DE: Dann machen wir mal diesen Perspektivwechsel und schauen auf die Jüngeren. Was können die denn alles für sich mitnehmen im Kontakt zu älteren Menschen?

Schirra-Weirich: Im Kontakt zu älteren Menschen können sie natürlich auf der einen Seite die Lebenserfahrung, die die Älteren haben, mitnehmen. Und da bin ich immer an dem Punkt zu sagen: Wie können wir eine Lebenserfahrung, die vielleicht 50, 60 Jahre gewachsen ist, auf eine Generation, die mit ganz anderen Lebensbedingungen zu tun hat, übertragen?

Sie sind quasi wie ein Fels in der Brandung und können den Jüngeren den Rückhalt bieten, ihre Aufgaben im Leben zu gestalten und zu bewältigen.

DOMRADIO.DE: Welche Aufgabe kommt der jüngeren Generation zu?

Liane Schirra-Weirich

"Die Aufgabe, die die jüngere Generation hat, ist meines Erachtens, dass sie die ältere Generation gelegentlich um Rat und Unterstützung anfragt."

Schirra-Weirich: Die Aufgabe, die die jüngere Generation hat, ist meines Erachtens, dass sie die ältere Generation gelegentlich um Rat, um Unterstützung anfragt; und das haben wir ja jetzt gerade in der Pandemie gesehen.

Da waren viele junge Familien darauf angewiesen, dass sie ihre Großeltern vor Ort hatten, damit sie Homeoffice und Homeschooling miteinander verbinden konnten und an der Stelle letztendlich sich gegenseitig unterstützt haben und unterstützen konnten. Da können die Großeltern Erziehungsbegleiter und Lebensbegleiter sein.

DOMRADIO.DE: Welche Erfahrungen haben Sie selbst mit älteren Menschen gemacht?

Schirra-Weirich: Ich habe mehrere ältere Menschen in meinem Leben gehabt, die immer wieder an meiner Seite gestanden haben. Die haben mir nicht gesagt, wie ich etwas tun soll, sondern "so wie du das tust, ist das richtig und geh deinen Weg weiter". 

Das waren für mich immer die wesentlichen und wichtigsten Botschaften, die ich von der älteren Generation für mich mitnehmen konnte.

Gedenktag für Großeltern und Senioren

Am 25. Juli 2021 fand der erste Welttag der Großeltern und alten Menschen statt. An dem neuen Gedenktag, den Papst Franziskus ausgerufen hat, könne man mit älteren Menschen zusammenkommen und Geschichten und Erlebnisse austauschen, sagte der katholische Familienbischof Heiner Koch im Vorfeld.

"Alte Menschen, ob sie nun selbst Großeltern sind oder nicht, tragen einen Schatz an Lebens- und Glaubenserfahrung mit sich, den es unbedingt lohnt, mit den nachfolgenden Generationen, ihren Enkelinnen und Enkeln, zu teilen und lebendig zu halten."

Symbolbild Großeltern, Enkel / © dotshock (shutterstock)
Symbolbild Großeltern, Enkel / © dotshock ( shutterstock )
Quelle:
DR