Schavan blickt zum Amtsende positiv in die Zukunft der katholischen Kirche

"Das lässt sich nicht einfach abdrehen"

Die ehemalige Bundesbildungsministerin Annette Schavan leitet seit Juli 2014 die Botschaft beim Heiligen Stuhl. An diesem Donnerstag endet nach vier Jahren ihre Amtszeit. Ihr Fazit fällt positiv aus. Auch dank des "Felses in der Brandung".

Annette Schavan mit Franziskus / © Uli Deck (dpa)
Annette Schavan mit Franziskus / © Uli Deck ( dpa )

DOMRADIO.DE: Vier Jahre waren Sie hier im Vatikan als deutsche Botschafterin am Heiligen Stuhl. Das sind vier Jahre, die für den Vatikan relativ turbulent gewesen sind. Sie sind ein Jahr, nachdem Papst Franziskus ins Amt gekommen ist, hier hingekommen. Sie haben quasi die große Zeit seines Pontifikats bis jetzt miterlebt. Was hat sich getan in der Zeit?

Annette Schavan (Deutsche Botschafterin am Heiligen Stuhl): Das sind in der katholischen Kirche und in der Weltkirche dynamische Jahre, weil in der Welt so viel geschieht. Und weil Papst Franziskus uns Christen sehr deutlich sagt: "Nehmt eine neue Perspektive ein. Schaut Euch die Welt aus der Perspektive der Peripherie an". Also aus der Sicht der Menschen am Rande der Gesellschaft. Und das hat natürlich viele Debatten ausgelöst. 

DOMRADIO.DE: Wie haben Sie die Zeit erlebt?

Schavan: Die Zeit hat mich vor allem in meinem theologischen Denken angeregt. Katholische Theologie habe ich damals in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre studiert, wo alle noch erfüllt waren vom Zweiten Vatikanischen Konzil.

DOMRADIO.DE: Also das Konzil, bei dem die Kirche durch eine Reform ihrer Strukturen in eine neue Zeit führen wollte. Die christliche Wahrheit sollte nicht so sehr durch Weisungen und Dekrete, sondern durch Dialog vermittelt werden…

Schavan: Und nun konnte ich hier in Rom erleben, wie wesentliche Beschlüsse dieses Konzils wieder in Erinnerung gerufen werden. Franziskus sagt: "Das Konzil ist noch lange nicht abgearbeitet. Es liegt noch viel Arbeit vor uns. Wenn wir dem gerecht werden wollen, was damals beschlossen worden ist." Das hat mich auch in meinem eigenen Denken weitergebracht.

DOMRADIO.DE: Es gibt Stimmen, die sagen, es findet eine Revolution in der Kirche statt. Es verändert sich etwas grundlegend und dramatisch. Würden Sie, wenn Sie so nah dran sind, auch so weit gehen?

Schavan: Dramatisch finde ich es ganz und gar nicht, es ist eigentlich vor allem Erneuerung durch Erinnerung. Das heißt, der Papst sagt ja nicht: "Macht alles anders als früher." Der Papst sagt nicht: "Das, was bislang war, ist bedeutungslos." Er verweist auf die Geschichte; auf den Ursprung, auf eben dieses Konzil und sagt: "Das, was da am Anfang war, wie das Christentum entstanden ist, das was beim Konzil diskutiert worden ist, das ist von größerer Bedeutung, als vielleicht manche gedacht haben." Also es ist nicht Revolution. Es ist Ermutigung zu unserer Geschichte, unseren Haltungen, unseren Werten als Christen zu stehen und davon mehr spüren zu lassen.

DOMRADIO.DE: Es ist ja wirklich viel passiert. Es sind die Enzykliken rausgekommen, das Schreiben Amoris laetitia. Was denken Sie? Was ist der größte und wichtigste Schritt, der sich in diesen Jahren getan hat, wo Sie hier waren?

Schavan: Ich habe es als besonders ermutigend empfunden, wie sehr der Papst weit über die Christenheit hinaus wirkt. Er ist für viele Menschen jenseits des Christentums wie der Fels in der Brandung. Er ist für viele Menschen in allen Regionen der Welt derjenige, der in Zeiten, die unberechenbar und zerbrechlich sind, sichtbar wird. In den vielen Konflikten ist er so etwas wie ein Impulsgeber für ein neues Maß; für einen neuen Kompass.

DOMRADIO.DE: Sie sprechen von den Menschen jenseits des Christentums; wie ist das für die Christen?

Schavan: Ich finde, darin steckt eine große Chance für uns Christen, nicht immer über das, was nicht mehr ist, zu jammern und nicht ständig zu fragen, wie viele Priester oder Ordensleute gibt es? Wir haben ja manchmal so eine Art Kulturpessimismus oder reden ewig über Verfallsgeschichten.

Ich finde, man kann auch optimistisch sein. Ich habe hier in Rom erlebt, dass in der Weltkirche immer irgendwo Aufbruch ist - selbst, wenn es bei uns in Europa ein bisschen mau zugeht. Das, finde ich, ist ermutigend und schafft auch ein neues Bewusstsein für die Realitäten.

DOMRADIO.DE: Es hat viel mit der Person Papst Franziskus zu tun, weil er begeistert. Denken Sie, wenn es den nächsten Papst gibt, wird es so bleiben? Oder hängt das von ihm als Mensch ab?

Schavan: Jeder Papst schreibt seine eigene Geschichte. Aber ich bin davon überzeugt, vieles - vor allem auch atmosphärisch - das lässt sich nicht einfach abdrehen. Da ist etwas erreicht, das weiterwirken wird, egal was danach kommt. Und wir hoffen auch, dass dieser Papst noch viele Jahre hat, in denen er so wirken kann.

Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.


Quelle:
DR
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