Thüringen bringt neues Leben in alte Kirchen

Übernachten in der Kirche?

Rund 2000 evangelische Kirchen in Thüringen stehen leer. Für sie werden jetzt neue Lebenszwecke gesucht, eines der ersten Modelle ist die "Her(r)bergskirche" in Neustadt, die einer ganzen Region Aufschwung bringen soll.

Die "Her(r)bergs-Kirche" in Neustadt am Rennsteig / © René Zieger (IBA Thüringen)
Die "Her(r)bergs-Kirche" in Neustadt am Rennsteig / © René Zieger ( IBA Thüringen )

DOMRADIO.DE: Nehmen Sie uns mal mit in die "Her(r)bergskirche" Sankt Michaelis in Neustadt am Rennsteig. Wie sieht's da aus?

Elisa Wrobel (Pressesprecherin Internationale Bauausstellung Thüringen): Die Michaeliskirche ist eine kleine Kirche, wie so viele von den 2000 Kirchen in Thüringen. Jedes Dorf hat da oft in der Ortsmitte eine meist über 500 Jahre alte Kirche stehen. Man geht also rein, und das sieht erst einmal ganz typisch aus, wie eine kleine Kirche mit den Kirchenbänken und Altar. Aber dann gibt es eine Schlafnische hinten in der Ecke, mit einem wunderschönen blauen Vorhang, wo zwei Personen Platz finden, wo man den Vorhang schließen kann, wenn man seine Ruhe haben möchte. Und morgens kann man aus dem Bett steigen und sieht dann das wundervolle Kirchenfenster, wo die Sonne schon durchstrahlt, und, ja - kann gleich wandern gehen.

DOMRADIO.DE: Das heißt, die Gäste übernachten im Kirchenschiff?

Wrobel: Genau. Als das Projekt entwickelt wurde und es Tests gab, wo man schlafen könnte, hat man erst geschaut, ob man das Bett tatsächlich auf die Bänke stellt. Aber da hat sich etwas Kritik geregt, und man hat sich darauf einigen können, dass man es im hinteren Bereich macht, wo es nicht weiter auffällt und ein bisschen dezenter im Hintergrund ist.

DOMRADIO.DE: Die Idee für diesen Umbau hatten Menschen aus der Kirchengemeinde, zusammen mit jungen Architekten. Das war 2017 das Ergebnis eines Wettbewerbs zur neuen Nutzung von ungefähr 2000 Kirchen in Thüringen. Wie werden denn sonst noch Kirchen in Thüringen genutzt? Oder was ist da in Planung?

Wrobel: Wir hatten 2016 einen Aufruf für die Nutzung der Kirchen in Thüringen, da viele nur selten oder gar nicht mehr genutzt werden, aber wunderschön sind und zu 99 Prozent unter Denkmalschutz stehen. Da haben sich im folgenden Jahr 2017 500 Ideen gefunden und daraus sind sieben Modellprojekte entstanden, die die IBA (Internationale Bauausstellung) und die EKM (Evangelische Kirche in Mitteldeutschland) dann aufgenommen haben.

Das erste Modellprojekt, das fertig wurde, ist die Sankt Annen Kapelle in Krobitz, auch einem ganz kleinen Ort in Thüringen. Wir nennen sie "Kunst-Kapelle", weil dort für den Wettbewerb ein internationaler Künstler namens Carsten Nicolai eine sogenannte "Flammen-Orgel" erbaut hat, die mit Gasflammen bespielt wird. Das ist eine Kirche, die Künstler aus ganz Thüringen und Deutschland anzieht und so 2018 700 Besucher anlocken konnte.

DOMRADIO.DE: Kommen wir zurück zur "Her(r)bergerskirche" in Neustadt. Das war eine Idee, die aus der Gemeinde kam. Wie hat sich denn die Verbindung zur Kirchengemeinde entwickelt? Mischen sich die Besucher und die Gemeinde?

Wrobel: Die Kirchengemeinde hat sich beworben bei der EKM und bei der IBA und war ganz stark von Anfang an dabei. Oft kommt die Kraft von innen heraus. Die Gemeinde will, dass ihre Kirche wieder genutzt wird. Sie wollen dem Verfall nicht zusehen. Gemeinsam mit den Architekten und der IBA als Begleitung, wird dann lange an Konzepten gearbeitet, werden Ideen gesammelt, die auch von den Bürgern vor Ort kommen. Und dann werden Projekte entwickelt. Da kommt es natürlich auch oft zu Reibungen. Wie viel darf man eigentlich in einer Kirche machen? Wann wird es zu viel? Wann sagt die Gemeinde: “Halt, stopp!“ Das ist dann doch ein bisschen "too much" und hat nicht mehr viel mit uns zu tun.

Die Her(r)bergskirche ist also ein Prozess, wo sich alle auch einigen mussten und jetzt aber ganz große Freude daran haben, wie viele Besucher kommen. Wie viele Touristen. Und dann freut sich natürlich auch die Kneipe nebenan, abends wieder mehr Besucher zu haben.

DOMRADIO.DE: Also nachhaltiger Tourismus, bei dem es nicht nur ums Übernachten geht.

Wrobel: Richtig, und die Leute können den Rennsteig neu entdecken. Da kommen ja auch Leute aus ganz Deutschland, sogar aus China und Australien waren schon Gäste da. Und das ist für die Region wahnsinnig wichtig. Und das möchte auch die Internationale Bauausstellung mit solchen Modellprojekten bewirken. Zeigen, dass mit kleinen Akupunkturen schon viel möglich ist und eine Region wieder mehr aktiviert wird.

DOMRADIO.DE: Tatsächlich ist die Michaeliskirche ein voller Erfolg. Bis auf weiteres ausgebucht.

Wrobel: Wir sind dran mit den Architekten, Gemeinde und den Nachbargemeinden, die natürlich auch ein bisschen neidisch auf das Projekt gucken, einen Her(r)bergskirchen-Pfad zu entwickeln. Da wollen wir genau, wie bei der Her(r)bergskirche, erst einmal soziokulturelle Treffen organisieren, wo alle gemeinsam überlegen, was für ihre Gemeinde, für ihr kleines Dorf wichtig wäre, was vielleicht auch noch für Veranstaltungen in den Kirchen das umrahmen könnten, oder ob es vielleicht nicht eine klassische Herberge wird, sondern ein anderes Konzept. Da sind wir dran. Aber ein Traum wäre tatsächlich ein Pfad mit Her(r)bergskirchen am Rennsteig.

Das Gespräch führte Hilde Regeniter.


Die "Her(r)bergs-Kirche" in Neustadt am Rennsteig / © Thomas Müller (IBA Thüringen)
Die "Her(r)bergs-Kirche" in Neustadt am Rennsteig / © Thomas Müller ( IBA Thüringen )
Quelle:
DR
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