Warum die US-Bischöfe Biden doch nicht die Kommunion verbieten

"Politisch sehr, sehr geschickt"

Sollte dem US-Präsidenten die Kommunion verboten werden? Amerikas Bischöfe hatten ein Dokument zum Thema angedacht, dass am Sonntag wieder entschärft wurde. Der USA-Experte Andreas G. Weiß sieht darin politisches Kalkül der Bischöfe.

US-Präsident Biden nach einem Gottesdienst / © Patrick Semansky (dpa)
US-Präsident Biden nach einem Gottesdienst / © Patrick Semansky ( dpa )

DOMRADIO.DE: Die US-Bischöfe haben beschlossen, ein Dokument über die Bedeutung der Eucharistie zu formulieren. Eigentlich war klar: Es geht darum, ob Politikern, die eine liberale Abtreibungspolitik vertreten, der Kommunionempfang verweigert werden kann. Am Sonntag hat die US-Bischofskonferenz aber nun klargestellt: Es gehe explizit nicht um ein Kommunionverbot. Warum dieser Sinneswandel?

Dr. Andreas G. Weiß (Theologe und Religionswissenschaftler, Direktor-Stellvertreter des Katholischen Bildungswerks Salzburg): Zunächst einmal muss man betonen, dass die US-Bischöfe unter einem enormen Druck stehen, einen Druck vonseiten der Öffentlichkeit - der politischen Öffentlichkeit - und von ihren eigenen Gläubigen, von unterschiedlichen Institutionen, die es dort gibt. Sowohl auf der eher liberaleren Seite als auch auf der konservativeren Seite.

Solch eine Entscheidung ist immer auch in gewisser Weise politisch. Es war eine taktische Entscheidung, sicherlich, aber es war notwendig, diese Klarstellung endlich festzulegen und das auch deutlich auszusprechen.

Ein Dokument zur Eucharistie in Zeiten der Krise, in Zeiten der Pandemie, ist insofern ja nichts Neues. Allerdings verschieben sich natürlich auch in Zeiten der Krise und in Zeiten von politischen Verschiebungen hier die Kontexte, in denen ein solches Dokument zustande kommt. Und das war bei Joe Biden eben der Fall. Wir haben nun einen demokratischen Präsidenten, einen katholischen, demokratischen Präsidenten. Und natürlich wissen die Bischöfe, dass jede ihrer Äußerungen auch von der Republikanischen Partei in gewisser Weise auf eine Goldwaage gelegt wird. Man beobachtet das sehr genau, welche Signale von der Bischofskonferenz in Richtung Joe Biden ausgehen.

Die Entscheidung vom Sonntag, dass es keinen Passus zum Kommunionempfang von Politikern - speziell Joe Biden - geben wird, halte ich für theologisch sehr, sehr wichtig, aber auch für politisch sehr, sehr geschickt. Denn die Bischöfe wissen natürlich auch: Ein solches Dokument, selbst wenn es diesen Passus gegeben hätte - wobei wir alle nicht wissen, wie der ausgeschaut hätte - ein solches Dokument ist nur etwas wert, wenn sich auch alle Bischöfe daran halten. Und nun haben aber im Vorfeld schon die beiden Heimatbischöfe von Biden, nämlich in Washington Wilton Gregory, aber auch sein Heimatbischof in Wilmington, Delaware gesagt: Joe Biden ist auch weiterhin bei Ihnen in der Eucharistiefeier und zur Kommunion herzlich willkommen. Das hätten die Bischöfe natürlich auch gewusst.

Und man darf auch nicht vergessen: Natürlich hat auch der Präfekt der Glaubenskongregation in Rom, Ladaria, den Bischöfen ausrichten lassen: Ein solches Dokument ohne einen Dialog davor, kann sehr, sehr kontraproduktiv sein. Mit diesem Dialog hat er natürlich gemeint, es müsste einen langen Prozess geben, in dem auch alle Fragen erläutert werden. Es geht natürlich auch um kirchenrechtliche Fragen. Also so ein Dokument der Bischofskonferenz kann nicht geltendes Kirchenrecht oder die Zuständigkeit der Ortsbischöfe aushebeln. So hat man jetzt einen Weg gewählt, indem man sagt, man macht ein symbolisches Dokument zur Wichtigkeit der Eucharistie. Aber natürlich wissen alle, welche Fragen ein solcher Diskurs auch beinhaltet.

DOMRADIO.DE: Dabei gibt es drei Parteien, die bei der Diskussion eine Rolle spielen: Die US-Bischofskonferenz, der Vatikan und die Biden-Regierung. Wie spielen diese drei zusammen?

Weiß: Das kann man nur historisch verstehen. Die Bischofskonferenz in den USA ist in den letzten 50 bis 70 Jahren in ein starkes Nähe-Verhältnis zur Republikanischen Partei gerückt. Das hatte politikgeschichtliche Gründe, weil man in der Republikanischen Partei verstärkt in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts auf eine Allianz gesetzt hat, die konfessionsübergreifend konservative Werte in den Mittelpunkt der Politik stellen sollte. Das hat den Bischöfen eigentlich sehr, sehr gut gefallen.

Man darf nicht vergessen, die katholische Kirche war bis in die fünfziger Jahre des 20. Jahrhunderts eigentlich recht am Rand der Gesellschaft angesiedelt. Also man hatte öffentlich keine wirkliche Stimme, weil es immer noch sehr, sehr starke Vorurteile gegenüber der katholischen Kirche gab. Und die Bischöfe haben das zu einem gewissen Grad sehr, sehr genossen, im Fahrwasser einer anerkannten, mächtigen Partei zu schwimmen und in die Mitte der Gesellschaft vorzudringen.

Nun hat sich das Blatt aber in gewisser Weise gewendet, nämlich dadurch, dass nun ein liberaler Katholik, also liberal in mehreren Fragen der modernen Lebensführung und vor allem der Gesetzgebung dazu, ins Weiße Haus eingezogen ist. Joe Biden repräsentiert eine Form von Katholizismus, die nicht einfach im Katechismus abgebildet werden kann beziehungsweise die von der Republikanischen Partei nicht sehr gern gesehen wird.

Natürlich hat das jetzt nach seinem Amtsantritt durchaus laute Stimmen aus der Republikanischen Partei in Richtung Bischöfe gegeben. Nun gibt es hier einen Präsidenten, der offensiv und offensichtlich eine Gesetzgebung befürwortet, die sich mit einer Lebensfrage beschäftigt, wo der Katechismus der katholischen Kirche eine sehr, sehr deutliche und eindeutige Meinung hat. Mit seiner Partei vertritt er eine liberale Abtreibungspolitik. Das hat die Bischöfe quasi in einen Gewissenskonflikt gedrängt.

Die Republikaner sagen den Katholiken: Ja, jetzt ist dieser Präsident da. Politisch können wir jetzt nicht mehr viel machen, aber religiös seid ihr gefordert. Wie geht ihr damit um, dass da jetzt ein Katholik an der Spitze eines Landes ist, der offensichtlich eine liberale Gesetzgebung für Schwangerschaftsabbrüche befürwortet. Man hat eigentlich aus dieser religiösen Frage, also wie man mit individuellen Gewissensentscheidungen in politischen Ämtern umgeht, im Grunde eine politische gemacht, aber diesen Ball gleich wieder an die Bischofskonferenz zurückgespielt.

Das war zu einem gewissen Grad vorherzusehen. Man konnte bereits ahnen, wenn ein katholischer Präsident wieder ins Weiße Haus einzieht, dann wird diese Karte umso stärker gespielt. Man hat das natürlich auch bei vergangenen Präsidentschaftskandidaten und Präsidenten gehabt. Man denke etwa nur an Bill Clinton. Auch hier hat man versucht, auf Basis seiner persönlichen individuellen Fehlentscheidungen politisches Kapital zu schlagen. Nur Bill Clinton war und ist kein Katholik. Bei der katholischen Kirche weiß man: Da ist ein Bischof zuständig, da gibt es eine Institution, nämlich die Bischofskonferenz, auf die kann man Druck ausüben, um in diesen politischen Diskurs Kapital zu schlagen.

DOMRADIO.DE: Es gibt auch Stimmen, die vermuten einen Machtkampf, ein Kräftemessen zwischen US-Bischofskonferenz und Vatikan. Zum Beispiel hat der Vatikan zum Amtsantritt von Joe Biden ein viel positiveres Glückwunschschreiben formuliert als die Bischofskonferenz. Anderes Beispiel: Vor kurzem wurde aus konservativen US-Kreisen das Gerücht gestreut: Biden trifft den Papst, allerdings ohne Kommunionfeier. Solch ein Treffen war allerdings nie angedacht. Existiert dieser Konflikt zwischen Rom und USA, oder wird der herbeigeredet?

Weiß: Ich würde es jetzt nicht unbedingt als Konflikt bezeichnen, aber man merkt natürlich, dass die Bischofskonferenz in einer völlig anderen Situation steht, als der Vatikan. Der Vatikan kann international sehr, sehr stark auf seine aussenpolitischen Kommunikationen und Inhalte eingehen und kann sich darauf konzentrieren. Die Bischofskonferenz in den USA ist wie jede andere Bischofskonferenz in innenpolitische, aber auch in außenpolitische Fragen verwickelt.

Man hat jetzt sehr, sehr stark gemerkt: Die Bischofskonferenz in den USA ist reserviert gegenüber Joe Biden, gegenüber der Demokratischen Partei. Aber man darf auch nicht vergessen: Sie haben in den letzten vier Jahren auch gegenüber der Republikanischen Partei immer stärker wieder ein Distanzverhältnis eingenommen. Ich bin auf jeden Fall der Meinung, dass die US-Bischöfe in den letzten Jahren teils schmerzlich gemerkt haben, dass eine zu große Nähe zu den politischen Parteien sehr, sehr gefährlich werden kann.

Der Vatikan hat diese Probleme nicht. Der Vatikan kann aussenpolitisch agieren, der kann die Wahlsieger beglückwünschen, mit viel Enthusiasmus, mit viel positiven Zukunftsperspektiven. Da ist man zurzeit in der US-Bischofskonferenz einfach sehr vorsichtig geworden.

Der Konflikt, den Sie angesprochen haben, den gibt es natürlich. In den USA gibt es Kreise, auch bis hin in die Bischofskonferenz, die mit Papst Franziskus und seinem Verständnis eines Pontifikats, seiner Amtsführung, ein Problem haben. Das ist politisch und geschichtlich zu erklären, natürlich auch theologisch. Aber man ist diesem Papst jetzt reservierter gegenüber als etwa Papst Benedikt oder Johannes Paul. Das funktioniert anders. Da spielt sicherlich seine Herkunft eine Rolle, also weniger die Nationalität als vielmehr seine Art und Weise, seine enthusiastische, spontane Art und Weise, überbordend, teilweise auch nicht an Protokollen interessiert. Das hat natürlich auch für die Bischofskonferenz in den USA teilweise etwas beängstigende Züge.

Der Vatikan, oder besser Papst Franziskus, vertritt natürlich auch in den letzten Jahren eine sehr liberale, fortschrittliche Haltung in Fragen der Klimapolitik. Auch hier ist Joe Biden ganz auf der Linie von Papst Franziskus. Also er setzt sich wieder sehr, sehr stark für den Klimaschutz ein. Oder es gibt natürlich auch die Fragen bezüglich der Abtreibung, wie wir jetzt gemerkt haben, aber auch bezüglich der Todesstrafe, also dass Papst Franziskus den Katechismus ändern hat lassen, dass Todesstrafe in allen Fällen unerlaubt ist.

Das hat natürlich auch sehr, sehr viele US-Amerikaner vor den Kopf gestoßen. Man merkt, dass hier einfach sehr unterschiedliche Perspektiven aufeinandertreffen und gerade aber solche Identitätsmarker wie zum Beispiel Abtreibungsfrage, Todesstrafe, Klimaschutz, wenn man den Ball weiter spielt wird natürlich auch die Frage von liberalen Waffengesetzen irgendwann eine Rolle spielen oder die Rolle von Homosexualität, gleichgeschlechtlichen Ehen usw.

Solche Identitäts-Marker zeigen sehr gut: Der Vatikan - oder Papst Franziskus - agiert auf eine ganz andere Weise, als die Bischofskonferenz einer bestimmten Nation.

DOMRADIO.DE: Für den heutigen Montag wurde kurzfristig ein Treffen von US-Außenminister Blinken und Papst Franziskus anberaumt. Wird der Kommunionstreit doch auch eine Rolle spielen?

Weiß: Das glaube ich seit Sonntag nicht mehr. Also ich bin der Meinung, dass die Bischofskonferenz hier in ihrer Ankündigung sehr viel Luft rausgenommen hat mit. Nun weiß auch der Vatikan recht genau, was man von diesem Dokument zu erwarten hat, also, welchen Zweck dieses Dokument auch hat.

Aber natürlich: Ein Besuch beim Papst ist für jeden politischen Vertreter immer mehr als ein bloßes persönliches Gespräch. Mit einem Besuch beim Papst holt man sich in gewisser Weise Autorität. Man holt sich nur durch das Zeichen, das man hier zu einem Dialog bereit ist, ein bisschen Schützenhilfe. Das wussten natürlich auch Politiker und Politikerinnen in den vergangenen Jahren. Donald Trump ist auch zum Papst geflogen und hat auch versucht, daraus politisches Kleingeld zu schlagen.

Bei Blinken ist das natürlich anders. Wir haben nun einen neuen Kurs in der US-Regierung, einen Kurs, der auch auf Themen eingeht, die Papst Franziskus immer wieder stark gemacht hat, von Klimaschutz bis hin zu Menschenrechten. Dieses Treffen ist wieder unter ganz anderen Vorzeichen. Aber es zeigt natürlich auch deutlich, dadurch dass das Treffen bereits innerhalb von sechs Monaten nach der Vereidigung von Joe Biden stattfindet: Hier gibt es wieder eine größere Nähe, eine größere - wenn man so will - religionspolitische Allianz.

Die Führung im Weißen Haus, die Führung der US-Regierung sucht eine Nähe zu einer religiösen Autorität, weil man weiß, man kann thematisch auf einer Ebene argumentieren. Und das ist natürlich etwas völlig anderes, als beim Besuch von Donald Trump. Damals hatte man diese Spannungen zwischen Papst und Trump, die sich auch öffentlich zwar nicht direkt, aber indirekt, Botschaften ausgerichtet haben, die alles andere als freundlich waren. Nun kann man wirklich davon ausgehen: Die Biden-Administration sucht eine Nähe zu diesen über-politischen Autoritäten, wenn man so will, und möchte sich dadurch natürlich auch wieder Rückendeckung holen, um das zu vollziehen, was Joe Biden angekündigt hat: Amerika is back.

Also man möchte wieder eine Führungsrolle in der Welt und in der Weltpolitik einnehmen. Man weiß aber: aus reiner politischer und wirtschaftlicher Stärke ist es schwer zu schaffen, denn da gibt es große internationale Player, die hier quasi ein Gegengewicht gebildet haben und eine Front gegen diesen Anspruch der USA. Deshalb sucht man natürlich nun auch gezielt spirituelle oder religiöse Autoritäten, um sich diesen Rückenwind zu holen. Und da ist der Vatikan als ein international anerkanntes völkerrechtliches Subjekt eine wichtige Adresse.

Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.


Andreas G. Weiß / © Lorenz Masser (privat)
Andreas G. Weiß / © Lorenz Masser ( privat )
Quelle:
DR