Historiker begrüßt Diskussion um Kardinal-Höffner-Kreis

"Ernsthaft über eine Umbenennung nachdenken"

Seit der Veröffentlichung des Kölner Missbrauchs-Gutachtens debattiert der Kardinal-Höffner-Kreis in der CDU über den Umgang mit seinem Namensgeber. Thomas Großbölting begrüßt die Diskussion, weil sie auch das Selbstverständnis hinterfragt.

Joseph Kardinal Höffner, Erzbischof von Köln / © Ernst Herb (KNA)
Joseph Kardinal Höffner, Erzbischof von Köln / © Ernst Herb ( KNA )

DOMRADIO.DE: Hat Sie das Ergebnis des Kölner Missbrauchs-Gutachtens, das auch Joseph Kardinal Höffner belastet, überrascht?

Prof. Dr. Thomas Großbölting (Direktor der Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg): Nein! Was Kardinal Höffner getan hat, nämlich diese Taten unter der Oberfläche der Öffentlichkeit zu halten, zu vertuschen, um es ganz einfach zu sagen, entspricht eigentlich in vielem der Mentalität und der Verhaltensweise von Bischöfen und anderen Kirchenoberen in den damaligen Jahrzehnten, über die wir da sprechen.

Insofern praktizierte er hier eine Mentalität, nämlich die Institution zu schützen, den Täter vor allen Dingen als priesterlichen Mitbruder zu sehen und auf diese Art und Weise ein Verhalten zu praktizieren, was wir heute als nicht mehr angemessen betrachten.

DOMRADIO.DE: Das würde dann wahrscheinlich auch ganz andere Würdenträger betreffen, die heute in einem fast ausschließlich positiven Licht stehen wie Kardinal Frings in Köln oder Kardinal von Galen in Münster, der sogar als Seliger verehrt wird. Wie müsste die Kirche grundsätzlich im Hinblick auch auf solche Beurteilungen weiter vorgehen?

Großbölting: Auf der einen Seite sind wir ja dabei, zumindest in einem Teil der Bistümer Aufarbeitung zu betreiben und erst einmal Informationen dazu zu sammeln, wie tatsächlich Bistumsleitungen in den vergangenen Jahrzehnten mit Missbrauchstaten umgegangen sind und inwieweit sich auch Würdenträger der Vertuschung schuldig gemacht haben. Das wird man weiter betreiben müssen, um dort ein klares Bild zu bekommen.

Diese Rekonstruktion der Ereignisse aus einer historischen oder auch aus einer juristischen Perspektive kann allerdings nur ein erster Schritt sein. Man wird sich überlegen müssen, inwieweit die Strukturen der Kirche, insbesondere die Rollenverteilung beispielsweise zwischen Bischof, Priester und Laien dazu beigetragen haben, genau solche Formen einerseits des Missbrauchs zu begünstigen und andererseits aber auch die Vertuschung oder die Nicht-Veröffentlichung, die Nicht-Bearbeitung von Missbrauchsfällen ebenfalls zu begünstigen.

DOMRADIO.DE: Wie geht man denn jetzt am besten mit einem solchen Erbe von Persönlichkeiten um, nach denen Straßen, Plätze und auch Institutionen wie der Kardinal-Höffner-Kreis benannt sind?

Großbölting: Da würde ich keinen generellen Ratschlag geben. Das ist in das Gutdünken der Institutionen und der Personen, der Akteurinnen und Akteure gestellt, die sich diesen Namen einmal gegeben haben und die versucht haben, durch diese Namensgebung nicht nur Höffner zu ehren, sondern sich auch selbst eine bestimmte Bedeutung zuzuweisen.

Wenn wir uns diesen Kardinal-Höffner-Kreis anschauen, dann sehen wir dort einen 1992 gegründeten Zusammenschluss in der CDU, der wenige Jahre nach der Wiedervereinigung ganz dezidiert versucht, einen konservativen Gegenpunkt gegen das wiedervereinigte Deutschland und gegen den Wechsel von der Bonner zur Berliner Republik zu setzen.

Mit Höffner verbindet sich also viel mehr als nur das Andenken an die Person des Kardinals, sondern es ist vor allen Dingen ein politisches Signal, das die Akteurinnen und Akteure in der damaligen Zeit aussenden.

Interessant ist dabei, dass man sich mit Höffner ja nicht nur an jemanden anlehnt, der viele positive biografische Züge hat. Er ist "Gerechter unter den Völkern", weil er beispielsweise als Pfarrer zusammen mit seiner Schwester ein jüdisches Mädchen vor dem Zugriff der Nationalsozialisten versteckt hat. Sondern wir haben ja auch einen bestimmten Typus von Politik, nämlich einen stark patriarchalischen Stil, in dem die konservative CDU mit den entsprechenden Kreisen aus der katholischen Kirche zusammengeht, also ein Politikmodell der 70er- und 80er-Jahre, was heute letztlich nicht mehr funktioniert.

Meines Erachtens ist die Vorgehensweise, wie der Höffner-Kreis das jetzt beschreibt, sicher angebracht, sich einmal zu vergegenwärtigen, wie es denn um die Person des Kardinals bestellt ist, für welchen Politikstil dieser Kardinal auch steht.

Dann wird man in diesem Kreis sehr genau darüber nachdenken müssen, ob man sich dieses Namens dann auch tatsächlich bedienen will, um das eigene Selbstverständnis nach außen hin zu zeigen.

DOMRADIO.DE: Wenn hinter Benennungen oder Umbenennungen eine politische Haltung steckt, dann sind solche Namensgebungen auch immer ein Spiegelbild der aktuellen Mentalität und Geisteshaltung in einer Gesellschaft. Würde man also, wenn in 500 Jahren wieder Monarchie herrscht, dann wieder Denkmäler von Königen und Kaisern aufstellen?

Großbölting: Ja, das könnte man theoretisch. Das ist jetzt ein sehr unwahrscheinliches Beispiel, aber es illustriert sehr gut, wie Namensgebungen, Ehrungen qua Straßenbenennung, Denkmalsetzung und Ähnliches eigentlich funktioniert.

Also es sagt einiges über die Person desjenigen oder derjenigen, die dort geehrt werden soll, aber sagt viel, viel mehr über die Hintergründe, die Werthaltungen, die politischen Einstellungen derjenigen, die diese Denkmalsetzung, die Straßenbenennung usw. entsprechend vornehmen.

Da begrüße ich es als Historiker, wenn es ein offenes Umgehen mit den Benennungen gibt, wenn man das zur Diskussion stellt und wenn man dort offen darüber diskutiert, inwieweit das den jeweils aktuellen Werthaltungen noch entspricht.

Also Denkmäler sind immer nur dann interessant, auf der einen Seite, wenn sie aufgestellt werden und auf der zweiten Seite dann, wenn sie gestürzt werden. Zwischenzeitlich interessiert sich in der Regel niemand sehr explizit dafür, sondern erst bei der Setzung bzw. beim Sturz eines Denkmals, bei der Umbenennung eines Kreises kommt diese Diskussion entsprechend auf.

Der eigentliche Punkt, der dahinter steht und der für mich als Historiker auch gewinnbringend ist und - glaube ich - auch für die Gesellschaft produktiv sein kann, wie sich an den Namensgebungen bzw. an dem Namensentzug aufhängende Diskussionen zeigen, welche Werte, welche politischen Einstellungen heute eigentlich vertreten werden.

DOMRADIO.DE: Bei vielen prominenten Persönlichkeiten, nach denen Straßen, Plätze und Institutionen benannt sind, wechseln sich Licht und Schatten ab. Wo ist da die Grenze überschritten, wo eine Umbenennung unabwendbar wird?

Großbölting: Da werden wir jetzt keine generelle Maßgabe geben können, sondern wir werden das im jeweiligen Einzelfall diskutieren müssen. Ich glaube aber, dass wir natürlich eine Grenze oder einen starken Hinweis auf eine nötige Umbenennung im dem Moment haben, wenn in diesem Zusammenhang tatsächlich gegen Recht und Gesetz der damaligen Zeit verstoßen worden ist.

DOMRADIO.DE: Man sollte also Persönlichkeiten im Kontext ihrer Zeit beurteilen? Also ein Kardinal Höffner, der gehandelt hat wie alle anderen kirchlichen Würdenträger auch?

Großbölting: Nicht wie alle anderen. Es gab natürlich die Option, auch anders zu handeln, aber er war ganz gefangen in der Mentalität der Zeit und hat sich tatsächlich mit vielen seiner Amtsbrüder in dieser Praxis entsprechend getroffen.

Dagegenhalten muss man aber auch, dass insbesondere Höffner als einem akademisch sehr versierten Theologen sowohl rechtlich wie auch kirchenrechtlich klar gewesen sein muss, dass er auch die kirchenrechtlichen Regeln der damaligen Zeit zugunsten der Täter extrem gebeugt hat. Er war niemand, der auf blauen Dunst hin handelte.

Und ab dem Punkt würde ich immer dazu raten, sehr ernsthaft darüber nachzudenken, auch eine Umbenennung vorzunehmen.

Das Gespräch führte Jan Hendrik Stens.


Quelle:
DR
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