Pfarrer Meurer zur Vaterunser-Debatte

"Grausamkeit muss auch vorkommen"

Es ist das bekannteste Gebet der Welt, das Vaterunser. Viele lernen es schon in der Kindheit. In Frankreich wurde eine Zeile umgeschrieben. Eine neue Übersetzung, die auch bei Papst Franziskus Anklang findet. Seit Tagen wird darüber diskutiert.

Das Gebet des Herrn / © Eva Friebe (DR)
Das Gebet des Herrn / © Eva Friebe ( DR )

DOMRADIO.DE: Das Vaterunser wird in vielen Gottesdiensten nur so runter gerattert. Hat der Papst nicht vielleicht Recht, wenn er sagt "Wir müssen darüber mehr nachdenken"?

Pfarrer Franz Meurer (aus den Kölner Stadtteilen Höhenberg und Vingst): Dem Papst bleibt nichts anderes übrig, wenn die Diskussion läuft. Ich habe zu diesem Thema seit einem Jahr Kontakt zu einem Mann in Pirmasens. Die Frage ist virulent. Aber bei uns wird das nicht einfach nur so runter gerattert, sondern alle fassen sich an den Händen. Die Kinder fangen damit an und wir sprechen das Vaterunser extra langsam. Das finde ich sehr wichtig, dass man Satz für Satz langsam ausspricht.

Die große Frage ist: Führt Gott nicht wirklich in Versuchung? Hiob zum Beispiel. Da macht er einen Pakt mit dem Teufel und sagt zu Hiob "Du kannst alles machen, was du willst. Du darfst ihn nur nicht töten!" Also stirbt sein Vieh, seine Familie entfremdet sich, er wird schwer krank. Das heißt, Gott hat auch eine dunkle Seite. Und die möchte ich persönlich auf keinen Fall wegnehmen, denn wir wissen von allen großen Heiligen, zum Beispiel Mutter Teresa, dass die Jahrzehnte in der Nacht des Glaubens gelebt haben. Weil eben Gott in dieser Welt nicht so zu erkennen ist. Und wenn, dann über Umwege, über die Menschen. 

DOMRADIO.DE: Also ist die Zeile - genau so wie sie ist - wichtig. Das heißt, dass es Gott ist, der in die Versuchung führen kann?

Meurer: Erstens das, zweitens muss man es so nicht verstehen. Man könnte ja auch sagen "Führe uns nicht in Versuchung", also "Lass uns nicht in Lebenssituation hereinrutschen, die als Versuchung dienen können". Ich mache mal einen anderen Vorschlag: Einer aus meiner Jugendgruppe und ich haben über ein Jahr lang die Vaterunser-Bitte "Wie auch wir vergeben unseren Schuldigen" nicht mitgebetet. Wir haben gesagt, wir sind nicht bereit jedem zu verzeihen. Also lässt man diese Passage einfach weg. Die Grausame Seite Gottes oder der Menschen, die sich für Gott einsetzen, die muss auch vorkommen.

DOMRADIO.DE: Wie wäre das, wenn Sie Ihrer Gemeinde sonntags einfach vorschlagen würden "Wollen wir nicht einfach eine andere Version beten?" Wie wären die Reaktionen?

Meurer: Ich habe in der Liturgie noch nie etwas verändert. Verändern muss man im Leben, wenn neue Probleme da sind, dann muss man sein Leben ändern und sich damit beschäftigen. Aber Liturgie muss man nicht andauern ändern, sondern es muss klar sein: Menschen - gerade die Kinder - brauchen Räume, Regeln und Rituale. Rituale darf man nicht permanent verändern. Eltern, die ihrem Kind vorlesen, die können doch nicht ständig dieses Vorleseritual verändern.

Dass man natürlich über die Vaterunser-Bitte predigen muss - jetzt wo es überall in den Medien ist -, das ist für mich genau so selbstverständlich. Und dann kann man die Menschen nochmal drauf hinweisen, wenn man die Bibelworte einzeln nimmt, dann liegt man falsch. Man muss sie aus dem Sinn erklären. Das ist unsere Aufgabe: die Bibel zu erklären, denn die Bibel ist - aus sich heraus - verständlich in ihren Geschichten. Wenn man die Geschichte dann hört, muss man sie trotzdem auf sein Leben hin übersetzen.

Das Interview führte Silvia Ochlast.


Pfarrer Franz Meurer / © Melanie Trimborn (DR)
Pfarrer Franz Meurer / © Melanie Trimborn ( DR )
Quelle:
DR
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