Medizinethikerin Woopen über die Herausforderungen im Kampf gegen das Virus

Der Impfstoff ist nicht alles

Seit Monaten befindet sich die Welt im Corona-Ausnahmezustand. Die Forschung nach einem Impfstoff läuft auf Hochtouren – aber wird der überhaupt helfen? Die Vorsitzende des europäischen Ethikrates Christiane Woopen spricht über den aktuellen Stand.

Es wird nach einem Impfstoff gegen das Coronavirus geforscht / © joel bubble ben (shutterstock)
Es wird nach einem Impfstoff gegen das Coronavirus geforscht / © joel bubble ben ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: Der Virologe Hendrik Streeck hat diese Woche in der FAZ gesagt, dass ein möglicher Impfstoff gegen das Coronavirus nicht unbedingt allgemein gültig sein muss. Man braucht vielleicht jedes Jahr einen neuen. Deshalb müssten wir uns auf ein Leben mit dem Virus einstellen. Hat er da recht?

Prof. Christiane Woopen (Medizinehtikerin und Vorsitzende des Europäischen Ethikrates): Diese Aussagen sind vor dem Hintergrund der Erfahrung mit dem Grippevirus in den letzten Jahren und Jahrzehnten verständlich. Da muss auch immer wieder neu entwickelt und angepasst werden. Vielleicht muss man sich aber vor diesem Hintergrund auch einmal ganz andere Gedanken machen: 

Es gibt einen Vorschlag der Wissenschaftler Hans Lehrach und George Church, die eine Test-Strategie vorstellen, die es ermöglichen würde, das Virus weitgehend zu eliminieren. Hier stellt sich die Frage, ob die Zahlungen für die Entwicklung eines Impfstoffes und die Vermeidung wirtschaftlicher Schäden nicht besser als Investition in die Test-Strategie aufgehoben wären. Sie hat natürlich einige technologische Herausforderungen, die aber durchaus lösbar erscheinen.

Insofern scheint mir die Diskussion im Moment auch noch etwas unvollständig geführt zu sein, weil wir auch über diese ganz ausführliche Test-Strategie über mehrere Wochen kombiniert mit einer konsequenten Quarantäne-Regelung bei positiv Getesteten, die Zahl der Aktiv-Infizierten, die das Virus weiter verbreiten, möglicherweise auf ein erhebliches Minimum reduzieren können – wenn nicht sogar auf null.

DOMRADIO.DE: Das heißt, die Diskussion muss weg von der Vorstellung des Impfstoffes als Allheilmittel?

Woopen: Das ist sowieso dringend anzuraten, denn wir haben bei Viren aus derselben Klasse und auch beim Aids-Virus, also beim HI-Virus, gesehen, dass die Impfstoff-Entwicklung vielleicht gar nicht funktionieren kann. Das sieht zwar im Moment nicht so aus, aber wir sehen, dass wir überhaupt noch nicht genug darüber wissen, ob, bei wem und für wie lange dieser potentielle Impfstoff tatsächlich wirkt.

DOMRADIO.DE: Da gibt es auch die Meldung, dass so eine Immunisierung mit Antikörpern nicht unbedingt dauerhaft ist. Gehen wir mal vom besten Fall aus: Nächstes Jahr im Sommer haben wir einen Impfstoff entwickelt. Die Experten sagen, man bräuchte schätzungsweise acht Milliarden Impfstoff-Dosen. Ist das denn überhaupt realisierbar? Dann braucht man ja auch acht Milliarden Impfnadeln und alles, was noch dazugehört.

Woopen: Die technischen Kapazitäten sind vorhanden und auch die Materialien werden produziert. Die Firmen stocken ihre Produktionsmöglichkeiten auf. Das ist natürlich eine riesige Anstrengung. Aber wenn es erforderlich ist, wird es die Möglichkeit dazu geben.

Da gibt es etwa für die Grippeimpfung bereits Pläne, wie Impfstoffe zu priorisieren sind, welche Personengruppen oder welche Regionen zu priorisieren sind, um einen solchen Impfstoff zu erhalten. Es gibt ganze Komitees, die sich damit auch schon längere Zeit befassen. Das kann man nicht eins zu eins auf die Covid 19 Situation übertragen – aber im Wesentlichen schon.

Zunächst würden wir ja alle einig sein, dass man den Impfstoff erst einmal solchen Personengruppen zugute kommen lässt, die ein hohes Risiko für eine besonders schwere Erkrankung haben: also Menschen mit Vorerkrankungen. Dann würde man Personengruppen in Betracht ziehen, die für eine Ansteckung und Verbreitung relevant sind, weil sie vielleicht eine hohe Anzahl an Kontakten haben oder auch keine Abstandsmöglichkeiten gegeben sind.

Wir denken da an Personengruppen im Gesundheitswesen oder auch an Lehrer und Betreuungspersonal in Kindertagesstätten, oder an eine Hotspot-Region, in der es einen Ausbruch gibt. Auch dort wäre eine Impfung zur Limitierung der Ausbreitung sicherlich sinnvoll.

Des Weiteren muss man auch an kritische Berufsgruppen denken: beispielsweise Mitarbeiter bei Impfstoffherstellern, die Polizei oder das Servicepersonal in gesellschaftlich besonders wichtigen Bereichen. So kann man Priorisierungspläne erarbeiten und dann die Impfstoffe entsprechend verteilen. Das sollte man aber auch nicht nur in einem einzigen Land oder Staat tun, sondern tatsächlich auch zumindest europäisch, wenn nicht sogar am besten weltweit denken.

DOMRADIO.DE: Wer entscheidet das denn? Was hindert zum Beispiel Donald Trump daran, den großen Impfstoff-Firmen alles abzukaufen?

Woopen: Daran hindert ihn keiner. Es ist eine Frage an die Firmen, inwieweit sie darauf eingehen und auch eingehen können. Solche globalen Zusammenhänge sind natürlich bei den Institutionen am besten aufgehoben, die zum einen das Know-how haben als auch den globalen Auftrag, sich darum zu kümmern.

Das Problem ist natürlich, dass sie in den seltensten Fällen wirklich Durchgriffsmöglichkeiten haben, weil sie freiwillige Verbände und Vereinigungen sind, die auf einer Vereinbarungsbasis arbeiten. Ihre Anerkennung können sie sich letztlich nur faktisch erarbeiten. Ihre Autorität beruht darauf, dass die Mitglieder, die diese Vereinbarungen getroffen haben, sich daran auch halten.

Wir haben ja bei den USA gesehen, dass Donald Trump aus der WHO aussteigen will. Dann wird er sich vermutlich auch nicht mehr an die von der WHO entwickelten Verteilungskriterien für Impfstoffe halten wollen. Insofern braucht es tatsächlich einen breiten internationalen Konsens.

DOMRADIO.DE: Was denken Sie als jemand, der Einblick in das gesamte Themenfeld hat, wie sich die Situation weiterentwickeln wird?

Woopen: Ich vermute, dass sich die allgemeine Diskussion über die Impfstoffentwicklungen und auch die Verteilung von Impfstoffen im Falle einer erfolgreichen Entwicklung noch intensivieren wird. Sie ist natürlich auch gekoppelt an so etwas wie einen Immunitätsnachweis, der ja jetzt auch schon in Deutschland diskutiert wird. Wobei ein Immunitätsnachweis nach einer Impfung etwas anderes ist als der nach einer Infektion.

Ich vermute, dass diese Diskussion auch auf der internationalen Ebene zunehmend lebhaft geführt werden wird. Denn je näher wir an der Entwicklung eines erfolgreichen Impfstoffes sind, desto dringlicher wird auch die Beantwortung dieser Frage. Man kann nicht früh genug anfangen, darüber nachzudenken, zu sprechen und Vereinbarungen zu treffen.

Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.


Quelle:
DR