Psychologe Stephan Grünewald über die Welt nach Corona

"Es wird kleine Veränderungen geben"

Delfine in italienischen Häfen, Solidaritätsaktionen über Ländergrenzen hinweg: Die Corona-Krise hat auch ihre positiven Auswirkungen. Sollten wir uns darüber freuen? Und vor allem: Wird nach der Krise noch etwas davon übrig sein? 

Autor/in:
Andreas Laska
Werden wir uns durch die Corona-Pandemie nachhaltig verändern? / © Alexander Ozerov (shutterstock)
Werden wir uns durch die Corona-Pandemie nachhaltig verändern? / © Alexander Ozerov ( shutterstock )

KNA: Herr Grünewald, Solidarität statt Egoismus, Kreativität statt Lernstress, Entschleunigung statt Hamsterrad - mehr und mehr Menschen versuchen der Corona-Krise Positives abzugewinnen. Wie viel ist da wirklich dran?

Stephan Grünewald (Psychologe, Geschäftsführer des Markt-, Medien- und Kulturforschungsinstituts "Rheingold" in Köln): Krisen haben immer zwei Seiten, auch die aktuelle Corona-Krise. Auf der einen Seite bricht uns gerade fast der ganze gewohnte Alltag weg, Dinge, die uns unterhalten, getröstet, befriedigt haben.

Die Menschen haben Angst - vor der Krankheit natürlich, aber viele auch vor den wirtschaftlichen Folgen. Andererseits aber kann diese "soziale Fastenzeit" auch Veränderungsprozesse und so manches Produktive anstoßen.

KNA: Zum Beispiel?

Grünewald: Zu Beginn der Krise waren die Menschen quasi in einem kollektiven Vorruhestand. Weil man plötzlich mehr Zeit hatte oder wusste, dass man bald mehr Zeit haben würde, sind viele Leute regelrecht in Aktionismus verfallen, haben mit Eifer gegärtnert, geputzt und geräumt. Aber dieser Aktionismus erschöpft sich schnell. Für die nun anstehenden Wochen gibt es im Grunde drei Strategien.

Es gibt Menschen, die den Alltag jetzt ganz neu entdecken. Während sie sonst von Termin zu Termin hetzen und sich in Multitasking üben, finden sie jetzt plötzlich Zeit, ein Buch zu lesen, etwas zu basteln oder wieder mal ein intensives Beziehungsgespräch zu führen.

Bei einer zweiten Gruppe geht das noch weiter. Die Erkenntnis, dass sich die Welt auch weiterdreht, wenn man selbst aus dem Hamsterrad aussteigt, fördert bei ihnen die Kreativität. Manch einer wird diese Besinnungspause in der Tat nutzen, seinen Lebensstil zu überdenken, nach neuen Wegen für sich und die Gesellschaft zu suchen. Und das könnte auch Auswirkungen auf die Zeit nach der Krise haben.

KNA: Und die dritte Strategie?

Grünewald: Natürlich gibt es auch Menschen, die ganz anders auf so eine Krise reagieren. Sie ziehen sich jetzt in eine Tagtraumblase zurück, streamen ohne Ende Serien bei Netflix, verbringen den halben Tag im Internet. Das gibt fürs erste ein Gefühl der Ruhe und Sicherheit, ist aber auf längere Sicht nicht ungefährlich. Denn die vermeintliche Ruhe wird bald kippen - ähnlich, wie das bei Kindern der Fall ist, die zu viel am Computer daddeln. Man wird dann unruhig, aggressiv, neigt vielleicht gar zu Verschwörungstheorien.

KNA: Die Menschen - Sie haben es anfangs gesagt - verzichten derzeit auf vieles, das eigentlich selbstverständlich zu ihrem Alltag gehört. Wie lange, denken Sie, sind Sie dazu bereit?

Grünewald: Das ist in der Tat eine spannende Frage. Zu Beginn der Krise waren wir ja in einer Aktivitätsspirale. Die unsichtbare Bedrohung durch die Pandemie wurde gefühlt immer größer, fast täglich haben die Politiker neue Maßnahmen zur Eindämmung der Krankheit verkündet. Die Menschen waren also gezwungen zu reagieren - und sie haben das, von Ausnahmen abgesehen, in großer Einmütigkeit getan.

Die Frage ist allerdings, wie lange dieser Schulterschluss zwischen Bürgern, Politik und Medien anhalten wird. Ich denke, wir werden bald erleben, dass sich Zweifler zu Wort melden. Je länger die Beschränkungen dauern, desto lauter wird die Frage der Angemessenheit diskutiert werden. Auch die politische Einmütigkeit wird dann aufbrechen. Und wir werden merken, dass es Krisengewinner und -verlierer gibt, was wiederum neue Spaltungen hervorrufen wird.

KNA: Arbeitsprozesse verändern sich derzeit radikal. Wird einiges davon über die Krise hinaus anhalten?

Grünewald: Da bin ich mir sicher. Not macht einerseits wendig, andererseits erfinderisch. Dinge, die wir bislang für alternativlos gehalten haben, Rituale, in denen wir bislang erstarrt sind, erweisen sich plötzlich als verzicht- oder zumindest veränderbar.

Einiges davon wird die Krise überdauern, einfach, weil wir gelernt haben, dass es auch anders funktioniert und vielleicht sogar Spaß macht. Nehmen wir nur ein Beispiel: Es werden sicher künftig weniger Menschen für eine Konferenz einmal quer über Deutschland fliegen,
weil die Unternehmen gesehen haben, wie praktisch und auch günstig Videokonferenzen sind.

KNA: Und wie sieht es mit der Lebenseinstellung aus? Wird es auch da zu einem Umdenken kommen? Manch einer träumt ja schon von der besseren, gesünderen Welt nach Corona...

Grünewald: In Krisen schlägt auch immer die Stunde der Utopien und Idealisierungen. Aber die Welt ist dafür zu komplex. So heilsam auch die erzwungene Entschleunigung in manchen Bereichen erscheinen mag, so ehrlich wir uns über Delfine in Venedig freuen mögen - die Krise hat auch schwere ökonomische Auswirkungen, die unsere Gesellschaft
als ganze in eine Unwucht bringen können.

Ich glaube auch nicht an ein komplettes Umdenken der Menschen, etwa an einen Ausstieg aus der Globalisierung oder ein ganz neues Umweltbewusstsein. Aber es wird kleine Veränderungen geben, weil wir in der Krise Alternativen kennengelernt haben, weil wir neue Erfahrungen gemacht und ungewohnte Wege gegangen sind. Und die können durchaus zum Wohl der Welt sein.


Quelle:
KNA