Coronavirus nährt Ängste auch vor Einsamkeit

Experten raten zum Aktivbleiben

Hoffnung hat derzeit Hochkonjunktur: Sie stirbt zuletzt. Das Sprichwort ist in Nachrichten und Talkrunden zu hören, im Büro, beim Bäcker und im Freundeskreis. Psychologisch betrachtet ist diese Haltung sinnvoll.

Autor/in:
Paula Konersmann
Symbolbild Angst / © Elena Helade (shutterstock)

Die Nachrichten überholen sich momentan selbst. Vor zehn Tagen spielte das Coronavirus bei der Telefonseelsorge noch kaum eine Rolle. Ende vergangener Woche drehten sich bereits acht Prozent der Anrufe um das Thema; inzwischen sind es über 25 Prozent. Der häufigste Grund, aus dem Menschen anrufen: Sie fürchten sich vor Einsamkeit.

Ältere Menschen nähmen oftmals ohnehin zu wenig am öffentlichen Leben teil, sagt der Gerontologe Uwe Sperling. Bei Maßnahmen wie Besuchsverboten in Seniorenheimen müsse daher abgewogen werden, inwieweit Schutz geboten sei - und wann er zur Diskriminierung werde.

Völlige Isolation ist schädlich

Derzeit sei es ratsam für Ältere, sich vorübergehend etwas zurückzuziehen. Aber: "Völlige Isolation ist schädlich - auch für die Gesundheit", mahnt der Forscher. Es gelte daher, neben klassischen Kontaktmöglichkeiten via Telefon und über digitale Medien "erfinderisch zu sein" im täglichen Miteinander.

Aktiv bleiben im Rahmen der Möglichkeiten - dazu rät auch der Psychiater Ulrich Hegerl. Das betreffe nicht nur Senioren, sondern auch etwa Menschen mit generalisierten Angststörungen. "Viele machen sich durch die Unklarheit im Zusammenhang mit dem Coronavirus noch mehr Sorgen als ohnehin schon", sagt er. "Ängste bekommen derzeit Futter." Wenn sich Betroffene zurückziehen müssten, könne ihre Angst weiter wachsen.

Mancher Politiker, Religionsvertreter oder Promi appelliert momentan an eine Besinnung auf das, was wirklich wichtig ist. Darauf setzt auch die Sozialpsychologin Elisabeth Kals. "Viele von uns werden schon jetzt positive Interaktionen im Alltag erleben. Ganz nach dem Motto 'In dieser Zeit der Krise müssen wir zusammenhalten'", so die Professorin von der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt.

Daraus könne Solidarität erwachsen: "Solidarität mit denjenigen, die zu den Risikogruppen gehören, aber auch mit all denjenigen, die durch die Krise beruflich oder privat besonders gefordert sind und dabei oft an ihre Grenzen gehen."

Medien spielen wichtige Rolle

Die Medien spielten für die psychologischen Auswirkungen der Krise eine wichtige Rolle, fügt Kals hinzu. Die Informationsflut gehe schnell mit dem Gefühl einher, "keine Kontrolle über die Situation zu haben, nicht sicher einschätzen zu können, mit welcher Gefahr wir es denn hier zu tun haben".

Viele Menschen erlebten die aktuelle Lage als Kontrollverlust, sagt auch Trauerbegleiterin Mechthild Schroeter-Rupieper. Die Gründerin der Familientrauerarbeit und Leiterin des Lavia Instituts in Gelsenkirchen berät derzeit etwa Familien, die unschlüssig sind, ob sie die Großeltern besuchen sollen - oder lieber nicht.

Dabei hätten viele ältere Menschen mehr Angst vor dem Alleinsein als vor Krankheit und Tod. "Natürlich ist es sinnvoll, Abstand zu halten und jemanden nur zu besuchen, wenn man selbst gesund ist. Andererseits sagen mir ältere Menschen: Und wenn ich jetzt sterbe, aber vorher niemanden noch einmal gesehen habe?"

Wer unsicher sei, könne sich Alternativen zu Besuchen überlegen: häufiger telefonieren, andere soziale Kontakte aktivieren.

Was kann Angst mildern?

Ängstlichen Menschen rät die Expertin, konkret zu überlegen, was die Angst mildere. "Das können Kleinigkeiten sein. Das Licht anlassen, Musik hören, nur zweimal täglich Nachrichten ansehen. Ein permanenter Liveticker schürt eher Ängste." In Familien oder im Freundeskreis könne man sich über "Notfall-Nummern" verständigen - "manchen hilft es, zu wissen, dass sie jederzeit jemanden anrufen können."

Insbesondere in Familien, die einen Trauerfall zu bewältigen hätten oder in denen es ohnehin viel Streit gebe, könne eine Quarantäne zur Belastungsprobe werden, sagt Schroeter-Rupieper. "Auch Menschen, die finanziell nicht abgesichert sind, sorgen sich eher um Arbeitsausfälle, als sich über Entschleunigung zu freuen." Dennoch könnten Spieleabende oder alte Kinderfilme zumindest vorübergehend ablenken.

Bei allen Problemen sieht die Beraterin auch positive Entwicklungen.

"Viele Gespräche enden derzeit mit den Worten 'bleib gesund'", erklärt sie. "Und das sagen die Menschen bewusst, nicht als Floskel." So könne aus der Erinnerung an die eigene Sterblichkeit letztlich wieder mehr Vertrauen in das Leben entstehen.


Quelle:
KNA