Spanischer Kardinal wünscht sich bewusste Evangelisierung durch Kirche

"Verstecken wir uns nicht"

Gerade in Europa gibt es Menschen, die nicht wissen, wer Jesus ist. Das schockiert den spanischen Kardinal Antonio María Rouco Varela. Er sieht die Kirche in der Pflicht, mehr vom Glauben zu sprechen – aber auch jeden Katholiken.

Autor/in:
Roland Müller
Gespräche über den Glauben. / © Adrian Rodrigues (Bistum Passau)
Gespräche über den Glauben. / © Adrian Rodrigues ( Bistum Passau )

DOMRADIO.DE: Was ist Evangelisierung?

Kardinal Antonio María Rouco Varela (emeritierter Erzbischof von Madrid): In diesem Jahr feiern wir den 50. Jahrestag des Apostolischen Schreibens "Evangelii nuntiandi" vom heiligen Papst Paul VI. Es war sowohl ein nachsynodales Schreiben als auch ein päpstliches Dokument. "Evangelii nuntiandi" ist eine sehr hellsichtige Analyse des Begriffs Evangelisierung und der damaligen Situation den Glauben betreffend. 

Denn etwa bis zum Ende des Zweiten Vatikanischen Konzils bedeutete Evangelisierung die Weitergabe des Glaubens an die Nicht-Christen. Dann musste man jedoch feststellen, dass der christliche Glaube in den Ländern Europas und Amerikas immer weiter auf dem Rückzug war. Deshalb musste die Kirche den Adressatenkreis ihrer Evangelisierungsbemühungen auch auf jene ausdehnen, die getauft sind, aber ihren Glauben nicht leben. Evangelisierung richtet sich also an alle Menschen.

Kardinal Antonio María Rouco Varela ist emeritierter Erzbischof von Madrid. / © Roland Müller (DR)
Kardinal Antonio María Rouco Varela ist emeritierter Erzbischof von Madrid. / © Roland Müller ( DR )

DOMRADIO.DE: Wie würden Sie Menschen, die den Begriff Evangelisierung noch nie gehört haben, seine Bedeutung erklären?

Rouco Varela: Kurzgesagt: Evangelisierung bedeutet, die Botschaft Jesu Christi – sein Wort – zu verkündigen. Ihr Inhalt ist das Leben des Gottessohnes von seiner Geburt über seinen Tod am Kreuz bis hin zu seiner Auferstehung. Gleichzeitig muss sich die Evangelisierung auf die Situation der Menschen beziehen, sie ernst nehmen und ihnen das von Gott verheißene ewige Leben als Hoffnung anbieten.

Kardinal Antonio María Rouco Varela

"Es genügt nicht, dass man mehr oder weniger christlich lebt."

DOMRADIO.DE: "Evangelii nuntiandi" hat sich mit der Evangelisierung "in der Welt von heute" beschäftigt. Das war vor 50 Jahren. Wie betreibt man heutzutage Evangelisierung?

Rouco Varela: Die Welt hat sich sehr verändert, sie ist viel schneller als früher. Heute kann man fast jeden Ort der Welt in einigen Stunden erreichen oder sogar in wenigen Sekunden mit jedem weltweit kommunizieren. Meiner Meinung nach müssen wir deshalb die Botschaft Christi bewusst und ausdrücklich verkünden. Es genügt nicht, dass man mehr oder weniger christlich lebt. Natürlich sind der persönliche Glaube, das Gebet und ein christlicher Lebensentwurf wichtig. Das ist aber die Grundlage für das Sprechen über das Evangelium in der Welt.

DOMRADIO.DE: Wünschen Sie sich mehr Evangelisierung von der Kirche?

Rouco Varela: Was mir am meisten auffällt: Die bewusste und explizite Evangelisierung wird von der Kirche oft nicht betrieben. Es gibt viele Millionen Europäer, die etwa nicht mehr wissen, wer Jesus ist. Grundlegende Kenntnisse über Jesus Christus, den Glauben und die Kirche sind nicht mehr vorhanden. Es lässt sich beobachten, dass das Leben für sehr viele Menschen keine transzendente Komponente mehr hat – auch in den früher sehr katholischen Ländern und Regionen, wie Spanien, Italien oder Bayern. Wir müssen als katholische Kirche mehr auf der Straße präsent sein. Damit meine ich die Gesellschaft, die Öffentlichkeit und auch die Medien. Dort müssen wir uns nicht nur zu sozialen oder politischen Problemen äußern, sondern viel mehr von Jesus und vom Gebet sprechen. Auch die Heiligen sollten wir mehr hervorheben, denn sie sind ja auch heute noch wichtig.

Kardinal Antonio María Rouco Varela

"Man muss sich nicht dafür schämen, Christ zu sein."

DOMRADIO.DE: In Deutschland sind viele Menschen eher zurückhaltend, wenn es darum geht, über den Glauben und die Kirche zu sprechen. Haben Sie einen Tipp, wie man diese Scheu überwinden und ein christliches Zeugnis geben kann?

Rouco Varela: Das ist sehr einfach: Man kann zum Beispiel am Arbeitsplatz sagen, dass man Katholik ist. Man sollte von den gewöhnlichen Dingen des christlichen Lebens sprechen, wie dem Kirchgang am Sonntag oder der Glaubenserziehung der Kinder. Man muss sich nicht dafür schämen, Christ zu sein. Verstecken wir uns nicht! Das ist dann auch schon Evangelisierung.

Das Interview führte Roland Müller.

Kirche in Spanien

Kirche in Spanien hat zwei Gesichter: Zum einen ist Spanien ein traditionell katholisches Königreich - etwa ab 380 war das Christentum im Römischen Reich endgültig Staatsreligion, also auch in der Provinz Hispanien - in dem die Osterprozessionen jedes Jahr tagelang inbrünstig und mit eindrucksvollen Kutten zelebriert werden; wo jede Stadt und Gemeinde einen eigenen Feiertag hat, der dem Stadtheiligen gewidmet ist und imposante Kathedralen zum Weltkulturerbe zählen; ein Land, in dem die katholische Vereinigung Opus Dei gegründet wurde und mit eigenen Universitäten und mächtigen Mitgliedern i

Eine spanische Flagge hängt an einer alten Kirche in Cáceres (shutterstock)
Eine spanische Flagge hängt an einer alten Kirche in Cáceres / ( shutterstock )
Quelle:
DR

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