"Evangelisierung ist mir ein wichtiges Anliegen", betont Tabea Ritter. Von der Veranstaltung in der Aula der romanischen Innenstadtkirche St. Aposteln, Nähe Neumarkt, erhofft sich die 26-Jährige daher praktische Impulse, wie sich dieser Begriff ganz konkret in einer Großstadt wie Köln und ihrem eigenen persönlichen Alltag mit Leben füllen lassen kann. "Ich will überlegen, wo ich noch besser missionarisch tätig sein kann", erklärt die Referentin für Changemanagement im Kölner Generalvikariat. Um sich selbst zu fordern, wagt sie an diesem Nikolaustag dafür einen Schritt aus ihrer Komfortzone heraus. Denn mutig hat sie sich für den Workshop eingetragen, in dem sie – so der Plan – Passanten in der Fußgängerzone auf ihren Glauben ansprechen soll. "Unangenehm" findet sie diese Art Straßenapostolat, aber gerade deshalb will die junge Frau an ihre persönliche Schmerzgrenze gehen und "das einfach mal ausprobieren", wie sie sagt – um des Evangeliums willen.
Tabea Ritter ist eine von vielen jungen Leuten, die der Einladung der Veranstalter – das sind der Bereich Strategie und Evangelisierung im Erzbistum, das Erzbischöfliche Priesterseminar Redemptoris Mater in Bonn sowie das Katholische Bildungswerk Köln – gefolgt sind, um sich in "Taten und Worten", so die Überschrift zu dem Studientag, mit dem apostolischen Schreiben von Papst Paul VI. aus dem Jahr 1975 auseinanderzusetzen, wobei es vornehmlich um "Inspirationen" aus "Evangelii nuntiandi" gehen soll.
"Wir verfolgen mit diesem Jubiläum keinen nostalgischen Rückblick – und es hat auch nicht den Anspruch eines wissenschaftlichen Symposiums", macht Dr. Daniel Weisser, Fachbereichsleiter Strategieentwicklung und Grundsatzfragen, deutlich. "Vielmehr wollen wir damit eine Gelegenheit schaffen, sich zu begegnen, sich inspirieren zu lassen und voneinander zu lernen, wie wir ganz konkret evangelisierend tätig werden können." Eine Art Laborsituation nennt das Dr. Cornelia Möres, Leiterin des Fachbereichs lebensbegleitende Pastoral, als sie zusammen mit Pawel Milerski, Subregens und Studienpräfekt des Redemptoris Mater, die einzelnen Arbeitskreise vorstellt.
Apropos Workshops: Die rund 110 Teilnehmer, darunter eine große Zahl an Seminaristen und Ordensleuten, sollen auf der Straße, auf dem Weihnachtsmarkt, aber auch in einem Altenheim mit Menschen über ihren Glauben ins Gespräch kommen und dabei die Trias, die Anders Kardinal Arborelius zuvor als spirituelle Anregung formuliert hatte – einen aufmerksamen Blick auf den anderen haben und ihn wirklich sehen, ihm zuhören und dann erst von der eigenen Überzeugung sprechen – beherzigen.
Gleichzeitig geht es um die Fragen: Wie können wir als missionarische Jüngerinnen und Jünger Menschen mit Jesus Christus in Kontakt bringen? Wie werden wir eine dienende Kirche für die Menschen am Rande? Wie kann es uns gelingen, eine neue Generation für das Evangelium zu gewinnen und die Kirche zu erneuern? Später wollen alle ihre Erfahrungen beim Ausschwärmen in die volle City miteinander teilen und auswerten, wie sie die Begegnungen, die sie zunächst vor manche ungekannte Herausforderung stellt, erlebt haben und was sie davon positiv motiviert weiterverfolgen werden.
Denn Arborelius, Bischof von Stockholm und anlässlich des 25-jährigen Bestehens des Redemptoris Mater eigens für diesen Studientag nach Köln gekommen, spricht über den spirituellen Aspekt von Evangelisation. Und so argumentiert er gleich zu Beginn: "Die Spiritualität, die Theologie und Pädagogik des geistlichen Lebens möchte uns helfen, die Begegnung mit Jesus aufzunehmen und uns von ihr verwandeln zu lassen." Schließlich wolle Gott im Geist, im Herzen und im inneren Heiligtum eines jeden in ständiger Gemeinschaft mit ihm leben. Und das Evangelium sei nicht nur eine Schrift über etwas, was vor langer Zeit geschehen sei, sondern eine lebendige Wirklichkeit der Beheimatung.
Der Bischof, der dem Orden der Unbeschuhten Karmeliter angehört, unterstreicht: "Um zu evangelisieren, müssen wir zuerst selbst evangelisiert werden – mit Hilfe des Geistes, mit Hilfe der Spiritualität. Wir brauchen die Weisheit und die Gaben des Heiligen Geistes, um das Evangelium glaubwürdig vermitteln zu können. Wenn wir Menschen in ihrem innersten Wesen erreichen wollen, dort, wo sie am verletzlichsten und zugleich am offensten für Gott sind, müssen wir selbst zuerst ganz offen für den Geist sein und in seinem Dienst stehen."
In Anlehnung an das Wort von Papst Franziskus "cultura del encuentro" müsse eine Kultur der Begegnung das Leben, die Verkündigung und die Mission der Kirche prägen, fährt Arborelius fort. Die Evangelisation sei ein bevorzugter Ausdruck der großen Aufgabe der Kirche, die frohe Botschaft vom eingeborenen Sohn Gottes weiterzugeben. "Und im Evangelium sehen wir immer wieder, wie Jesus handelt, um den Menschen zu begegnen und ihnen seine rettende Gnade zu schenken. Jesu Blick ruht auf ihnen. Jesu Ohren hören ihnen zu. Jesu Mund spricht zu ihnen." So sei jeder eingeladen, den Menschen auf dieselbe Weise zu begegnen – "mit unserem ganzen Wesen, damit wir durch unsere unauflösliche Vereinigung mit Jesus ihr Herz mit dem Evangelium berühren können".
Und dann vertieft Kardinal Arborelius den Dreischritt, den er meint, stellt jedoch zunächst fest, dass der Blick auf einen anderen Menschen und das Zuhören deshalb so wichtig seien, weil es genau an dieser Aufmerksamkeit heute fehle, viele aber danach hungerten, gesehen und gehört zu werden. Dabei gelte es, sich ein Beispiel an Jesus zu nehmen und es ihm gleichzutun. "Gott ist in Jesus Christus Mensch geworden, um jeden Menschen mit seinem rettenden Blick anzusehen. Wer immer er ist, was immer er getan hat – Gottes Blick ruht auf ihm. Schon durch seinen Blick schenkt er ihm seine Gnade und Fürsorge."
Mit seinem "Röntgenblick" schaue er direkt in eines jeden Herz, sehe die Schwächen und Stärken, verborgenen Wunden und Komplexe. Doch sein Blick sei immer heilend, reinigend und heiligend. "Durch seinen Blick wachsen wir und werden emporgehoben", stellt der Bischof fest. Evangelisation könne dann geschehen, "wenn wir Menschen mit dem Blick Jesu ansehen und das Beste und Schönste in ihnen hervorlocken". Arborelius ergänzt: "Wenn wir evangelisieren, dürfen wir uns darin üben, uns ‚Jesu Augen zu leihen’ und den Menschen, dem wir begegnen, mit seinen Augen anzusehen – so wie er stets die Menschen ansah, denen er begegnete."
Genauso verhalte es sich mit dem Zuhören. "Einem Menschen aufmerksam zuzuhören, lehrt uns, wer er ist, und hilft ihm, sich selbst zu verstehen. Vor allem aber müssen wir lernen, auf Gottes Stimme zu hören – sowohl in der Heiligen Schrift als auch in unserem eigenen Leben." Die Begegnung mit Gott sei eine Art gegenseitigen Zuhörens. Auf Menschen und auf Gott zu hören, sei ein wichtiger Schritt in der Evangelisation. "Wir müssen wissen, was im Innersten eines Menschen vorgeht; wissen, wonach sein Herz sich sehnt, um mit dem Evangelium zu ihm durchzudringen." Im Gebet wiederum müssten wir Gott unser tiefstes Sehnen hören lassen und gleichzeitig lernen, Gottes stille Ansprachen zu hören. "In der Stille lernen wir manchmal viel mehr darüber, wer Gott ist und was er uns sagen möchte."
Abschließend betont der Ordensgeistliche aus Stockholm, dass Evangelisation immer Dialog sei. "Das Evangelium muss ausgesprochen und vermittelt, aber auch empfangen und fruchtbar werden." Doch jeder, der evangelisieren wolle, müsse zuerst selbst vom Evangelium verwandelt werden, damit er es glaubwürdig weitergeben könne. "Darum müssen wir zuerst lernen, Menschen mit Jesu Augen anzusehen und mit Jesu Ohren zuzuhören. Dann können wir Jesu Worte mit unserem Mund zu ihnen sprechen." Jeder Getaufte habe diese evangelisierende Aufgabe. "Wichtig ist, dass wir an die Hilfe des Heiligen Geistes glauben und das Vertrauen haben, dass Gott durch uns arbeiten will, auch wenn die Ergebnisse nicht immer sichtbar sind." Und er fügt noch hinzu: "Nicht wir können Menschen bekehren, aber Gott kann es."