Kirche in Spanien hat zwei Gesichter: Zum einen ist Spanien ein traditionell katholisches Königreich - etwa ab 380 war das Christentum im Römischen Reich endgültig Staatsreligion, also auch in der Provinz Hispanien - in dem die Osterprozessionen jedes Jahr tagelang inbrünstig und mit eindrucksvollen Kutten zelebriert werden; wo jede Stadt und Gemeinde einen eigenen Feiertag hat, der dem Stadtheiligen gewidmet ist und imposante Kathedralen zum Weltkulturerbe zählen; ein Land, in dem die katholische Vereinigung Opus Dei gegründet wurde und mit eigenen Universitäten und mächtigen Mitgliedern in Politik und Wirtschaft angeblich großen Einfluss auf die wichtigen Entscheidungen des Landes hat.
Spanien ist aber auch das Land, in dem – anders als in Deutschland – die Ehe auch homosexuellen Paaren ohne rechtliche Abstriche offen steht und 16-Jährige ohne Wissen der Eltern abtreiben sowie ihr Geschlecht im Personalausweis ändern lassen dürfen. Die katholische Kirche hatte sich im Vorfeld gegen diese Reformen der sozialistischen Regierung unter Ministerpräsident Sánchez ausgesprochen. Und nicht nur die. Eine gemeinsame Stellungnahme ("Interreligiöse Erklärung zur Würde des menschlichen Lebens und zu den Menschenrechten") wurde von den Spitzen der Bischofskonferenz, der Islamischen Kommission, mehreren orthodoxen Kirchen, der reformierten Episkopalkirche und der Föderation Evangelikaler Körperschaften Spaniens unterzeichnet.
Umbrüche nach Franco und Zweitem Vatikanum
Im Reina-Sofía-Museum hängt Pablo Picassos "Guernica", das wohl bekannteste Anti-Kriegsgemälde überhaupt. In seinem monumentalen Werk verarbeitete Picasso die Schrecken des von Francisco Franco (1892-1975) im Jahr 1936 ausgelösten Bürgerkriegs. Die baskische Kleinstadt Guernica, die Franco mit Hilfe von Hitlers Kampfflugzeugen der deutschen Legion Condor dem Erdboden gleichmachen ließ, wurde durch Picassos Gemälde zum Antikriegs-Symbol schlechthin. Nach seinem Putsch ab 1936 gegen die republikanische Regierung beherrschte der faschistische General Spanien bis zu seinem Tod 1975 mit eiserner Hand. Danach durchlebte Spanien eine mühsame Phase des demokratischen Übergangs, die sogenannte "Transición".
Bis 1976 regierte noch der Franco-treue Ministerpräsident Carlos Arias Navarro. Erst 1978 wurde eine demokratische Verfassung verabschiedet. Wie schwach Spaniens Demokratie damals war, zeigte noch im Februar 1981 der Staatsstreichversuch von Franco-treuen Militärs. Der Putsch scheiterte erst, nachdem sich König Juan Carlos I., der von Franco als dessen Nachfolger benannt worden war, auf die Seite der Demokratie stellte. Gesellschaft, Militär und Politik waren tief gespalten, was die Franco-Diktatur anging. "Der Übergang zur Demokratie musste behutsam vorgenommen werden und konnte auch nur mit Unterstützung des franco-treuen Militärs und Politiker des Regimes gelingen", erklärt der spanische Politologe Felix Arrieta.
Die Verbrechen der Franco-Diktatur wurden in einer Art "Pakt des Schweigens" zum Schutz der schwachen Demokratie zunächst "vergessen". Es gab Generalamnestien für ehemalige Franco-Schergen. Das Problem: "Der Pakt des Schweigens dauerte zu lange und führte dazu, dass es in Spanien niemals zu einer richtigen Vergangenheitsbewältigung kam", so Felix Arrieta. Die Gräben zwischen "Besiegten" und "Siegern" wurden auch in der Demokratie niemals komplett zugeschüttet.
Die katholische Kirche Spaniens hatte fast gleichzeitig den politischen Umbruch und den kirchlichen durch das Zweite Vatikanum zu bewältigen. Das Konzil traf die spanische Kirche unvorbereitet und ahnungslos. Fast der gesamte Episkopat und ein großer Teil des Klerus lebte bis zum Ende der fünfziger Jahre in einem ideologischen Gehäuse, das noch immer vom Bürgerkrieg (dem "Kreuzzug") und seinen Folgen geprägt war. Der Übergang von der Vorkonzils- zur Nachkonzilszeit vollzog sich unter beträchtlichen Schwierigkeiten. Es bestanden starke Spannungen zwischen einer von rückwärtsgewandten Vorstellungen geprägten Spitze der Bischofskonferenz und breiten Teilen des jüngeren Klerus, die das Konzil mit Begeisterung verfolgt hatten. In dieser religiös wie politisch aufgewühlten Zeit kam es zu einem Einbrechen vieler Laienbewegungen (vor allem der Katholischen Aktion), von dem sie sich bis heute nicht wirklich erholt haben.
Auch die Erinnerung der Kirche an die Franco-Zeit ist schmerzlich. 7.000 Geistliche wurden im Bürgerkrieg von den Republikanern teilweise wahllos umgebracht, weil ihnen nachgesagt wurde, die Franco-Seite zu unterstützen. Weil es während der Diktatur wohl enge Verbindungen zwischen Franco, seinen Anhängern und der streng kirchlich konservativen Gemeinschaft "Opus Dei" gab, haben sich viele Spanier von der Kirche abgewandt.
Katholiken sind in der Mehrheit - aber ihre Zahl schwindet
Wer für die Republik ist, stellt sich heute immer noch meist gegen die Kirche. Die Zahl der Monarchie-Gegner, die im König die Fortführung der Diktatur sehen, nimmt nach jüngsten Umfragen vor allem an den Universitäten zu. Nach dem Ende der Diktatur wurde die Kirche trotz der ihr in der Verfassung zugewiesenen neutralen Rolle von verschiedenen Interessengruppen politisiert, was sie ebenfalls Mitglieder gekostet hat.
Egal, ob das Land sozialistisch oder konservativ regiert wird, die katholische Kirche muss dabei zusehen, wie die Zahl bekennender Katholiken – besonders unter Jugendlichen - seit Jahren sinkt. Für das Jahr 2019 meldete das Forschungsinstitut CIS einen neuen Tiefstand an praktizierenden Katholiken. So mache der Anteil der Katholiken nur noch 22,7 Prozent der Bevölkerung aus. Zwar seien mehr als zwei Drittel (67,4 Prozent) der Spanier katholisch; die meisten von ihnen gingen aber nicht regelmäßig zur Messe oder zur Beichte.
Expertinnen und Experten sehen weiterhin einen hohen Einfluss der Kirche im Land. Laut der spanischen Bischofskonferenz gibt es in Spanien 2.600 katholische Schulen sowie sechzehn Hochschulen. 1,5 von 45 Millionen Spaniern bekommen demnach eine religiöse Ausbildung. Auch die Infrastruktur der Kirche ist noch weitgehend intakt. Spanien hat 72 Diözesen, es gibt rund 23.000 katholische Pfarreien. Zum Vergleich: Deutschland, dessen Bevölkerung nur weniger als doppelt so groß ist, zählt 27 Bistümer und (bisher) noch rund 11.000 Pfarrgemeinden. Auf 45 Millionen Spanier kommen knapp 18.000 Priester und 812 Klöster, dazu tausende Ordensleute. (Stand 2019).
Steuerprivilegien nur für die katholische Kirche
Im Jahr 2023 meldete die katholische Kirche in Spanien zudem einen Höchststand an Steuereinnahmen. Demnach habe die Kirche 320 Millionen Euro durch Steuern eingenommen - eine Zunahme um mehr als acht Prozent (rund 25 Millionen Euro). Eine Kirchensteuer wie in Deutschland gibt es nicht. In ihrer Steuererklärung geben die Spanier stattdessen an, ob sie 0,7 Prozent ihrer Einkommensteuer an die Katholische Kirche oder für andere soziale Zwecke abgeben wollen. So bringt ein Kirchenaustritt in Spanien keine finanziellen Vorteile. Protestanten, Juden und Muslime warten bislang vergeblich darauf, sich in den spanischen Steuererklärungen neben der Katholischen Kirche zur Auswahl stellen zu dürfen. Etwa 40 Prozent der Spanier lassen der Kirche das Geld zukommen.
Diese Einkünfte stellen aber nur einen kleinen Teil der Gesamtfinanzierung der katholischen Kirche in Spanien dar. Der größte Anteil stammt aus direkten und indirekten Zahlungen und Begünstigungen durch Staat, Autonome Regionen und Kommunen – basierend auf Finanzgesetzen und seit drei Jahrzehnten unveränderten Verträgen zwischen Spanien und dem Heiligen Stuhl. Durch die Finanzgesetze und die Verträge mit dem Heiligen Stuhl ist die Katholische Kirche – im Gegensatz zu anderen Religionsgemeinschaften oder wohltätigen Einrichtungen – bis auf Ausnahmen von dieser Abgabe befreit.
Streit um Immobilienbesitz der Kirche
Während sein konservativer Vorgänger Mariano Rajoy ein treuer Kirchgänger und seine "Volkspartei" Unterstützer des Klerus ist, will der sozialistische Ministerpräsident Sánchez den Einfluss der Kirche eher beschneiden. Mit Unterstützung linker Parteien wie "Podemos" will der Politiker den Christen ihren Platz keineswegs streitig machen, jedoch sollen Steuergelder nur noch an öffentliche Schulen fließen, nicht aber an die staatlich unterstützten halbprivaten Einrichtungen, die 28 Prozent der Bildungseinrichtungen ausmachen und hauptsächlich unter der Obhut der katholischen Kirche stehen. Sánchez, dessen Töchter eine öffentliche Schule besuchen, tritt auch für einen Unterricht ohne das verpflichtende Schulfach Religion ein: "Religion ist ein persönliches Recht, das jeder in seiner Freizeit ausüben sollte."
Die Regierung verfolgt darüber hinaus das Ziel, dass die Kirche ihr Eigentum offenlegt und damit ihre wirtschaftliche Substanz. Seit Jahrzehnten gibt es Streit um den Immobilienbesitz der Kirche in Spanien. Das Problem begann 1946 unter der Franco-Diktatur, welche der Kirche das Recht einräumte, jede Immobilie, mit Ausnahme der Gotteshäuser, ohne Vorlage von Papieren und nur mit der Unterschrift eines Bischofs, als kirchliches Eigentum ins Grundbuch eintragen zu lassen. Das Gesetz blieb bis 2015 in Kraft. In dieser Zeit wurden Kirchen und Kathedralen, aber auch katholische Schulen, Grundstücke und Privathäuser als Eigentum der Kirche eingetragen, ohne dass zuvor die tatsächlichen Eigentümer der Kulturgüter nachgewiesen worden wären.
Spaniens imposante Kirchen und Kathedralen sind nicht nur Orte des Glaubens, sondern auch touristische, viel Geld einbringende Attraktionen. Der Wallfahrtsort Santiago de Compostela, angebliche Grabstätte des Apostels Jakobus, zieht Jahr für Jahr Millionen Pilger an. Seit 1982 Papst Johannes Paul II. und 1987 der Europarat zur Wiederbelebung der Jakobswege aufriefen, hat auf dem ganzen Kontinent eine Renaissance dieser "europäischen Kulturbewegung" eingesetzt, wie eine immer weiter steigende Zahl von Pilgern belegt. Auch die Kathedrale von Sevilla mit ihrem Giralda-Turm und dem Kolumbus-Grab besuchen jährlich Hunderttausende von Touristen. Niemand verlässt Barcelona, ohne Gaudis Sagrada Familia besucht zu haben. Und die meisten fahren eigentlich nur nach Cordoba, um die weltberühmte Moscheen-Kathedrale zu sehen. 2013 machte der Fall dieser "Mezquita" Schlagzeilen. Unter dem Motto "Kathedrale-Moschee von Cordoba: Das Erbe aller" starteten Geschichtsprofessoren, Juristen und Journalisten eine Initiative, um die angeblich "juristische, wirtschaftliche und symbolische Vereinnahmung" des Baus durch die Kirche zu stoppen. Die Gruppe warf dem Bischof von Cordoba vor, still und heimlich die muslimischen Symbole aus der Kathedrale entfernen zu lassen und die Eintrittsgelder zudem nur in die Kirchenkassen fließen zu lassen, obwohl die Kirche 2006 illegal das Monument ins Grundbuch habe eintragen lassen. Die Moschee stammt aus dem 8. Jahrhundert. Erst nach der Rückeroberung Spaniens durch die katholischen Könige im Jahre 1492 wurde sie in eine katholische Kirche umgewandelt.
Die Klagen und Rückgabeforderungen von Gemeinden und Privatperson nahmen derart zu, dass die sozialistische Regierung die Kirche 2017 aufforderte, die Eigentumsrechte ihrer Immobilien zu klären. Die katholische Kirche prüfte daraufhin ihre Besitzverhältnisse -fast 40.000 Kirchen, Kathedralen und Gebäude-, katalogisierte Kirchen, Schulen, Wohnungen und andere Einrichtungen. Und kam 2022 zu den Ergebnis: Von den rund 35.000 Immobilien, davon 20.000 Kultstätten, gehören 965 Wohnungen oder Gebäude anderen.
Spannungen innerhalb der Kirche
Auch innerhalb der Kirche gibt es Spannungen. Die Jesuiten stehen traditionell eher "links", Anhänger des "Opus Dei" eher "rechts". Beide kämpfen an ihren Eliteschulen und Universitäten um die besten Talente des Landes und ihren Einfluss. Die Wirtschaftsschulen IESE (Instituto de Estudios Superiores de la Empresa, geleitet vom "Opus Dei") sowie ESADE (Escuela Superior de Administración y Dirección de Empresas, von Jesuiten geführt) gehören zu den besten der Welt.
Der Missbrauchsskandal innerhalb der katholischen Kirche nahm Spanien nicht aus. Nach monatelangen Beratungen haben Spaniens katholische Bischöfe im Juli 2024 einen Entschädigungsplan für Betroffene von sexuellem Missbrauch beschlossen, der eine "ganzheitliche Wiedergutmachung" vorsieht und psychologische, soziale, spirituelle und finanzielle Aspekte umfasst. Damit sollen auch jene Opfer entschädigt werden, deren Fälle strafrechtlich verjährt sind oder aus anderen Gründen von der Justiz nicht geahndet werden können. Dies stellt - nach anhaltendem öffentlichen und politischen Druck - eine Wende dar. Bisher hatte die Kirche in Spanien Entschädigungszahlungen in der Regel erst nach entsprechenden Gerichtsurteilen geleistet. Für die Umsetzung soll ein spezielles Gremium eingerichtet werden - bestehend aus kirchlichen, juristischen und medizinisch-forensischen Experten.
Benediktinerabtei am Franco-Mausoleum soll weg
Anfang des Jahres 2025 eröffnete Spaniens offiziell die Gedenkveranstaltungen zum 50. Todesjahr Francisco Francos. Unter dem Leitsatz "Spanien in Freiheit" soll ein Reigen von über 100 Veranstaltungen das ganze Jahr über daran erinnern, wie sich Spanien nach dem Tod des Diktators politisch, wirtschaftlich und vor allem gesellschaftlich modernisierte und in eine Demokratie verwandelte. Für die Oppositionsparteien sind die Fest- und Gedenkakte nichts weiter als ein Versuch des sozialistischen Regierungschefs, von Skandalen und Gerichtsverfahren abzulenken, in die sein Umfeld verwickelt ist - etwa um von den Korruptionsvorwürfen gegen seinen Bruder und seine Ehefrau abzulenken.
"Der Faschismus, den wir als überwunden betrachtet haben, ist bereits wieder die drittstärkste politische Kraft in Spanien und in Europa", warnte Sánchez. Deshalb sei es umso wichtiger, an die Gräueltaten der Diktatur und die Beschneidung der Freiheiten zu erinnern, so der Ministerpräsident. Das gelte vor allem für die Generationen, die das Franco-Regime nur aus Geschichtsbüchern kennen. Tatsächlich meinen laut einer Umfrage der Zeitung "El País" im September 2024, 26 Prozent der spanischen Männer zwischen 18 und 26 Jahren, dass ein autoritäres System nicht unbedingt schlechter als eine Demokratie sein muss. Bei den Spanierinnen im gleichen Alter waren rund 18 Prozent dieser Meinung.
Sánchez benutzt die Franco-Vergangenheit jedoch auch immer wieder gerne, um seine politischen Gegner in die Ecke zu drängen und seine eigenen Wähler gegen "Rechts" zu mobilisieren. Parteipolitische Kämpfe, die auch die Kirche treffen. Noch in diesem Jahr will Sánchez das zum Franco-Mausoleum gehörende Benediktinerkloster auflösen, um das "Tal der Gefallenen" zu einem "Erinnerungs- und Dialogzentrum" zu machen. Den dortigen Benediktinern, die sich wehren, ihr Kloster aufzugeben, wirft Sánchez vor, geholfen zu haben, dass das "Tal der Gefallenen" zu einem faschistischen Pilgerort wurde. Der aktuelle Streit darum, wie man mit der Erinnerung an Franco umgehen soll, zeigt, wie sehr die Franco-Vergangenheit die Spanier heute immer noch spaltet. (KNA, epd, vatican news, Herder, CNA)